
© AFP/Dimitar Dilkoff
„Natürlich ist es gefährlich, Hackfleisch zu nehmen“: In Moskau müssen von Altersarmut betroffene Rentner containern
„Moskau aus der Sicht der Bürger“, kommentiert eine Frau, als sie Senioren beim Containern filmt. Ökonomen zeichnen düstere Prognosen: Wegen ansteigender Arzneimittelpreise „sterben Rentner dann einfach“.
Stand:
In der russischen Hauptstadt sind die Bürger offenbar immer häufiger dazu gezwungen, den Müll nach abgelaufenen, aber noch essbaren Produkten zu durchsuchen. Das berichtete der ehemalige Berater des ukrainischen Innenministeriums, Anton Gerashchenko, am Sonntag via X und beruft sich dabei auf ein Video, das Moskauer beim Durchsuchen eines Müllcontainers zeigen soll.
In dem Videomitschnitt filmt eine Frau mehrere ältere Menschen, die zwei Müllcontainer eines Supermarktes durchstöbern. Der Discounter „Pjatjorotschka“ soll sich der Filmenden zufolge in der Straße Ulitsa Serpukhovskiy Val im Süden Moskaus befinden. Unabhängig überprüfen ließen sich die Videoaufnahmen bislang nicht.
Was ist nur aus Russland geworden?
Moskauer Bürgerin beim Containern
„Moskau aus der Sicht der Bürger“, kommentiert die Frau ihre Videoaufnahmen. „Oma verflucht Putin, wenn sie ihn im Fernsehen sieht, und das ist richtig so. Wann werden sie ihm die Eier und all seine männlichen Teile abschneiden?“, fragt die Filmende. Während die Frau über die im Müllcontainer liegenden Lebensmittel schwenkt, erklärt sie: „Das ist abgelaufenes Essen. Die armen Leute.“
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Im Video ist zu sehen, wie sich die Menschen vor den Müllcontainern über die Verwendung der verderblichen Lebensmittel unterhalten. Die filmende Frau regt an, die abgelaufene Milch zur Herstellung für Pfannkuchen oder Kefir zu verwenden. Die saure Sahne könne man hingegen für Pasteten nutzen. „Eier sind gefährlich“, bemerkt eine Person. „Natürlich ist es gefährlich, Hackfleisch zu nehmen“, ergänzt die filmende Frau später im Video.
Die Frau resümiert „Verdammte Scheiße. Was ist nur aus Russland geworden?“ Während sie eine noch geschlossene Milchpackung im Mülleimer filmt, erklärt sie: „Heute haben sie gut erhaltene Lebensmittel weggeworfen. Sie hatten wohl Mitleid mit uns.“
Die Filmende fragt eine ältere Frau, was sie dazu bringe, im Müllcontainer zu suchen und ergänzt „Sei ehrlich!“ Die Frau erwidert: „Wir sind daran gewöhnt.“ Auf weitere Nachfragen beteuert die ältere Dame jedoch umgehend, dass sie genügend Rente bekomme und lediglich ihrer Schwester helfe. „Ich habe genug“, versichert die Gefragte.
Top-Ökonom prognostiziert mehr Altersarmut
Wirtschaftsexperten prognostizieren, dass der Angriffskrieg gegen die Ukraine in absehbarer Zeit ein immer größer werdendes Loch in die russische Staatskasse reißt.
Der russische Top-Ökonom und ehemalige Professor der renommierten Moskauer HSE-Wirtschaftshochschule, Igor Lipsits, berichtete der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in einem Interview, dass Russland zwar Überschüsse aus dem Öl- und Gas-Export in einem „Nationalen Wohlfahrtsfonds“ angehäuft habe, allerdings schrumpfe der Puffer kontinuierlich. „Mir und anderen Ökonomen scheint, dass Russland in diesem Jahr den Krieg noch finanzieren kann. Aber danach ist unklar, wo das Geld herkommen soll.“
Schon Ende dieses Jahres könne es „zu leeren Regalen in den Supermärkten kommen“, weil es Russland an Fremdwährungen fehle, um Importe zu bezahlen, prognostizierte der Ökonom bereits im Juli. Lipsits hält auch eine Lebensmittelzuteilung über Marken „wie in der Sowjetunion“ für möglich.
Ein weiteres Defizit werde es bei Medikamenten geben, da 90 Prozent der Wirkstoffe aus dem Ausland kämen, so der 74-Jährige. Allein im vergangenen Jahr seien Pharmazeutika um „mehr als 26 Prozent teurer geworden“. Als Hauptleidtragende sieht der Ökonom vor allem Rentner und Menschen mit einem geringen Einkommen.
Massenproteste oder Unruhen werde es trotz zunehmender Altersarmut und Geldnot in der Bevölkerung nicht geben, erwartet Lipsits. „Die Leute hungern dann eben, Rentner nehmen nur noch billige Medikamente und sterben einfach“. Entsprechend werde sich nicht die politische Situation ändern, sondern die Bevölkerungszahl, prognostiziert der russische Wirtschaftsexperte.
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