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Internationale Krisenbewältigung: „Stabilität kann man nicht mit Waffen allein schaffen“
Die westliche Weltordnung wankt, Europas Sicherheit steht auf dem Spiel: Fährt Deutschland die Mittel für humanitäre Hilfe weiter zurück, drohen Chaos, Flucht und Instabilität, sagt Martin Frick.
Stand:
Die Münchner Sicherheitskonferenz und ihre Nachbeben haben außen- und sicherheitspolitische Gewissheiten durchgerüttelt. Über vieles, was über Jahrzehnte ein stabiler Rahmen war, wurde schlicht hinweggefegt. Nichts scheint mehr sicher.
Europas Sicherheitsarchitektur muss im Eiltempo neu aufgestellt und in die Tat umgesetzt werden.
Zweifellos muss dafür viel Geld in die Hand genommen werden, wofür neue Schulden wohl unumgänglich sind. Aber gerade, weil es um Investitionen in die Zukunft geht, darf das nicht mit Tunnelblick auf einen verengten Sicherheitsbegriff geschehen.
Humanitäre Hilfe und internationale Krisenbewältigung müssen Teil der umfassenden Überlegungen zu Deutschlands und Europas Sicherheit sein.

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In der sich wandelnden Weltlage heißt Sicherheit zu Hause auch Stabilität in Europas Nachbarschaft. Das gilt für die Ukraine genauso wie für den Nahen Osten, Nordafrika oder die Sahel-Zone.
Wenn die Welt in Trümmern liegt, sind auch Deutschlands Sicherheit und Wohlstand in Gefahr. Deswegen muss sich Deutschland auch zukünftig aller Werkzeuge des sicherheitspolitischen Instrumentariums bedienen.
Sicherheit heißt nicht nur Kriegsgerät, sondern auch Mittel für die humanitäre Hilfe bereitzustellen – und für Programme zur Krisenbewältigung, die aktive Diplomatie ergänzen. Darüber sind sich im Prinzip Sicherheitsexpertinnen, Generäle und Politik einig. Die vergangene Regierung hat das sogar in eine nationale Sicherheitsstrategie gegossen.
Doch sobald es ums Geld geht, werden aus den Instrumenten der „soft power“ schnell „soft targets“.
Deutsche Gelder verhindern Katastrophen
Deutschland hat international den Ruf einer wirtschaftlichen Großmacht und sitzt an vielen Verhandlungstischen, weil es sich glaubhaft und partnerschaftlich für Demokratie und Menschenrechte einsetzt – nicht zuletzt durch humanitäre Hilfe und Resilienzförderung.
Deutsche Gelder verhindern Katastrophen. Ohne sie sterben Menschen. Gerade hat substanzielle humanitäre Unterstützung in Gaza eine Hungersnot abgewendet. In der Sahelzone oder in Somalia geben durch Deutschland geförderte landwirtschaftliche Programme tausenden Dorfgemeinschaften Perspektiven jenseits von Migration und Extremismus.
Diese verhinderten Fluchtbewegungen oder Hungersnöte sind medial vielleicht weniger eindrücklich, sparen aber enorme Kosten und stärken Deutschlands Rolle als Krisenvermittler – eine Einflussmöglichkeit, die sonst meist auf den wirtschaftlichen Bereich beschränkt ist.

© World Food Programm (WFP)
Im alten „Westen“ steht dieses Konzept der multilateralen Zusammenarbeit leider unter so starkem Druck wie nie zuvor. Der Rückzug der Vereinigten Staaten zieht der regelbasierten Ordnung den Boden unter den Füßen weg. Andere Staaten wie Belgien, die Niederlande und das Vereinigte Königreich haben ebenfalls Kürzungen angekündigt. Das System der internationalen Hilfe steht am Rande der Zahlungsunfähigkeit – mit unabsehbaren Folgen.
Berlin investiert vergleichsweise wenig
In der aktuellen Weltunordnung heißt das: mehr Hunger, mehr Vertreibung, mehr Extremismus, mehr Konflikte und mehr Räume, die radikale Kräfte besetzen werden, sobald sich die multilateralen Partner zurückziehen.
Das sind geopolitische Szenarien, in denen Waffen keine Antwort liefern. Deswegen wäre Deutschlands Rückzug aus der internationalen Hilfe ein strategischer Fehler.

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Wenn wir so intensiv und dringlich über mehr Geld für Sicherheit diskutieren, dann müssen wir auch über humanitäre Hilfe und Krisenbewältigung sprechen.
Die Richtwerte im Haushaltsentwurf der Vorgängerregierung sind keine geeignete Grundlage. Humanitäre Hilfe zu halbieren und Krisenbewältigung um mehr als ein Drittel zu kürzen, wurde der Weltlage damals nicht gerecht und wird es heute noch viel weniger.
Humanitäre Hilfe und gezielte Entwicklungszusammenarbeit passen zu Deutschlands Geschichte und sind eine bewährte bundesrepublikanische Tradition. Sie sind aber keine „Charity-Veranstaltung“, wie oft suggeriert wird.
Selbst wer weniger für Menschlichkeit übrig hat, kann nicht ignorieren, dass Deutschland durch vergleichsweise geringe Investitionen in diese Bereiche Sicherheit, Stabilität und geopolitischen Einfluss gewinnt.
Für humanitäre Hilfe, Krisenbewältigung und Hungerbekämpfung hat Deutschland 2024 weniger als 0,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausgegeben – das war vor den Kürzungsplänen und ist eine im Vergleich zu den geplanten Rüstungsausgaben kostengünstige Investition.
Stabilität kann man nicht mit Waffen allein schaffen. Viele Instrumente, die wir für eine veränderte Weltordnung brauchen, sind bereits in unserem Werkzeugkoffer. Deutschland sollte nicht sie ausrangieren, sondern gezielter nutzen.
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