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Mitte Oktober, kurz nach dem Anschlag der Hamas in Israel, gaben US-Präsident Joe Biden (links) und Israels Premier Benjamin Netanjahu eine Pressekonferenz in Israel.

© dpa/AVI OHAYON

Israels Premier in Washington: So wichtig ist Netanjahus Rede vor dem US-Kongress

Israels Premier Benjamin Netanjahu wird in den kommenden Tagen den US-Präsidenten treffen und vor dem Kongress sprechen. Was von dem Besuch zu erwarten ist, analysieren Experten.

Stand:

Der israelische Premier hatte diese Reise sehnsüchtig erwartet. Am Montag traf Benjamin Netanjahu in Washington ein. Es ist sein erster USA-Besuch seit Beginn seiner jetzigen Amtszeit 2020.

Seit Planung der Reise hat sich die Lage in den USA drastisch verändert. Nach dem Attentat auf Donald Trump wurde dieser von den Republikanern offiziell zum Kandidaten gekürt. US-Präsident Joe Biden – aktuell an Corona erkrankt – erklärte vergangenes Wochenende seinen Rücktritt vom Wahlkampf. Statt seiner will sich nun Vize-Präsidentin Kamala Harris für die Präsidentschaft bewerben. Netanjahu wird beide Berichten zufolge treffen. Biden empfängt ihn, sofern er wieder genesen ist, am Donnerstag im Weißen Haus.

Der eigentliche Anlass der Reise aber bleibt der gleiche: Netanjahu wird am Mittwoch eine Rede vor dem US-Kongress halten. Eingeladen wurde er vom Sprecher des US-Repräsentantenhauses, dem Republikaner Mike Johnson. Es wird erwartet, dass Netanjahu in seiner Rede um weitere Unterstützung für seinen Kurs im Krieg mit der Hamas im Gazastreifen werben wird.

Der Besuch des israelischen Premiers ist von hoher Bedeutung. Er könnte sowohl Auswirkungen auf den Gazakrieg, als auch auf amerikanischen Wahlkampf haben – und auf Netanjahus Position in Israel.

Biden und Netanjahu verstehen sich immer weniger

Lange hatte er auf eine Einladung von Joe Biden gewartet. Das letzte Mal begegneten sich beide kurz nach dem 7. Oktober, dem Tag, als die Terrororganisation Hamas Israel brutal überfiel. Biden besuchte damals Israel, es gab eine gemeinsame Pressekonferenz, der US-Präsident bekräftigte die Unterstützung der Vereinigten Staaten für Israel.

Im Laufe des Gazakrieges aber verschlechterte sich die Stimmung der beiden Männer zusehends. Biden verlor zunehmend die Geduld mit Netanjahus Vorgehen und kritisierte dessen fehlende Vision für eine Zukunft des Gazastreifens.

Biden ist ein Befürworter einer Zwei-Staaten-Lösung mit einem israelischen und einem palästinensischen Staat. Dabei stößt er jedoch auf großen Widerstand von israelischer Seite.

Einen diplomatischen Eklat löst Netanjahu Ende Juni aus, als er in einem Video behauptete, Bidens Regierung würde Waffenlieferungen an Israel zurückhalten. Die US-Seite reagierte darauf mit Unverständnis und scharfer Kritik am israelischen Premier. Der Streit um die Verzögerungen bezog sich vor allem auf die Lieferungen sogenannter 2000-Pfund-Bomben mit sehr hoher Sprengkraft.

Beobachter blicken mit Spannung auf ein Treffen. Die Frage ist: Inwiefern kann Biden Netanjahu von seinem harten Kurs im Gazastreifen abbringen und ihn zu Kompromissen in den Verhandlungen mit der Hamas bewegen?

„Im Idealfall sollte das Treffen zu einem Durchbruch bei der Umsetzung des Biden-Plans führen, der die Freilassung der Geiseln, ein Ende des Krieges, eine Deeskalation an der israelisch-libanesischen Grenze, Fortschritte bei der Zwei-Staaten-Lösung und eine Normalisierung der Beziehungen zu Saudi-Arabien vorsieht“, sagt Nimrod Goren, Senior Fellow für israelische Angelegenheiten am Middle East Institute in Washington, dem Tagesspiegel.

Netanjahu aber lehne wichtige Komponenten dieses Plans ab, erklärt er weiter, und könne das Treffen nutzen, um seine Widerstandsfähigkeit zu demonstrieren.

Die Israelis legen großen Wert auf die Beziehungen des jüdischen Staates zu den Vereinigten Staaten.

David Frank, emeritierter Professor für Rhetorik und politische Kommunikation

Angesichts des fortlaufenden US-Wahlkampfes könnte Biden aber auch auf Netanjahu zugehen, sagt David Frank, emeritierter Professor für Rhetorik und politische Kommunikation an der Universität Oregon. „Der Krieg zwischen Israel und Hamas hat tiefe Gräben in der Partei der Demokraten aufgerissen. Solange die Republikaner es auf die Stimmen der US-Juden abgesehen haben, vermute ich, dass Biden seine ‚Umarmungsstrategie‘ fortsetzen und Netanjahu bei seinem Treffen mit dem israelischen Premierminister mit offenen Armen begrüßen wird“, sagt er.

Netanjahu selbst hat bei dem Treffen aber auch die innenpolitische Situation in Israel im Blick. Seit Monaten wächst der Druck auf ihn, endlich Fortschritte in den Verhandlungen mit der Hamas für eine Feuerpause zu machen und die verbliebenen israelischen Geiseln aus dem Gazastreifen freizubekommen. Aus den Reihen der parlamentarischen Opposition, aber auch in der israelischen Protestbewegung werden seit langem Neuwahlen gefordert.

In Israel werden Neuwahlen gefordert

Hier könnte Netanjahu seine Rede im US-Kongress von Nutzen sein: „Die Israelis legen großen Wert auf die Beziehungen des jüdischen Staates zu den Vereinigten Staaten“, sagt Experte David Frank. Die Israelis wollten unbedingt, dass sich das amerikanische Publikum weiterhin für die Sicherheit Israels einsetzt. „Netanjahu ist der einzige israelische Politiker, der in der Lage ist, vor einem amerikanischen Publikum wie ein Amerikaner zu klingen.“

Netanjahu sollte seine Rede nutzen, um ein Geisel-Abkommen voranzutreiben.

Nimrod Goren, Präsident und Gründer des israelischen Instituts Mitvim

Viele Israelis allerdings hielten die Einladung des US-Kongresses für verfrüht, sagt Nimrod Goren. „Sie sind der Meinung, dass eine solche Einladung erst dann hätte ausgesprochen werden sollen, wenn Netanjahu ein Abkommen zur Beendigung des Krieges und zur Freilassung der Geiseln unterzeichnet“, sagt er. „Netanjahu sollte seine Rede nutzen, um ein solches Abkommen voranzutreiben. Er sollte auch seine Unterstützung für eine Zweistaatenlösung zum Ausdruck bringen, die Fortschritte in Richtung einer israelisch-saudischen Normalisierung ermöglichen würde.“

Wahrscheinlicher ist jedoch, dass der israelische Regierungschef für eine weitere Unterstützung seiner derzeitigen Linie werben und weitere Unterstützung von den USA erbitten wird. Die Vereinigten Staaten sind mit Abstand der größte Geldgeber Israels seit dessen Staatsgründung. Seit Beginn des Gazakrieges nach dem 7. Oktober unterstützten die USA den jüdischen Staat mit mindestens 12,5 Milliarden Dollar an Militärhilfen.

Insofern spielt Netanjahus Besuch auch im amerikanischen Wahlkampf eine Rolle. Die Rede, die Netanjahu vor Abgeordneten beider Parteien hält, dürfte besonders für die Demokraten eine Herausforderung werden. Mitglieder der Partei, aber auch einige demokratische Wähler, sind unzufrieden mit dem israel-freundlichen Kurs von Bidens Regierung seit dem 7. Oktober.

Im Gegensatz dazu fahren die Republikaner einen mehr oder weniger kritiklosen, pro-israelischen Kurs. Die Einladung an Netanjahu kam aus ihren Reihen. „Donald Trump und die republikanische Partei versuchen, sich die Stimmen der amerikanischen Juden zu sichern“, sagt David Frank. „Deshalb wird Netanjahus Rede für eine beträchtliche Anzahl von US-Juden die Behauptung der republikanischen Partei untermauern, dass sie deren Interessen und die Interessen Israels besser vertritt als die demokratische Partei.“

Wie bei fast allen politischen Feldern ist auch Israel inzwischen ein polarisierendes Thema in den USA. „Das war während der jahrzehntelangen Beziehungen nicht der Fall, wurde aber in den letzten Jahren durch Netanjahus Vorliebe für die Republikaner noch verstärkt“, sagt Nimrod Goren.

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