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Jobberatung für ukrainische Geflüchtete

© IMAGO/Political-Moments

Jobs für Ukrainer und Belarussen in Deutschland: Welche Hürden es gibt – und welche Chancen

Die einen fliehen vor Bomben und Drohnen, die anderen vor Diktatur und Foltergefängnissen: Zehntausende Ukrainer und Belarussen leben heute in Deutschland. Wie gut finden sie Arbeit?

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Die Ukraine und Belarus sind zwei Nachbarländer, deren Situation unterschiedlicher kaum sein könnte. Eines von ihnen – die Ukraine – wehrt sich seit mehr als drei Jahren gegen einen groß angelegten russischen Angriffskrieg.

Belarus hingegen wird seit mehr als drei Jahrzehnten von Diktator Alexander Lukaschenko regiert, der wiederum seinen Verbündeten im Kreml, Wladimir Putin, bei dessen Kriegstreiberei unterstützt.

Eines aber eint die beiden Staaten: Viele Menschen sind geflohen, unter anderem nach Deutschland. Die einen suchen Schutz vor russischen Raketen und Kampfdrohnen. Die anderen vor staatlicher Repression, Justizwillkür und einem brutalen Straflagersystem, das manch einer nicht überlebt.

Dieser Artikel geht der Frage nach, wie es ihnen in der Fremde ergeht. Wie leicht – oder schwer – fällt es ihnen, in Deutschland Arbeit zu finden? In welchen Branchen sind sie tätig? Was sind ihre größten Hürden?

Viele Ukrainer in Gastronomiebetrieben

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren im November 2024 offiziell 296.000 Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland beschäftigt. Das ist fast ein Viertel der 1,25 Millionen Menschen, die in den vergangenen Monaten aus dem Kriegsland in die Bundesrepublik gekommen sind. Ermöglicht wurde dies unter anderem durch „Job Turbo“, ein spezielles Integrationsprogramm der Arbeitsagentur.

Zwei, die es geschafft haben, sind Jewhenija Misjura und Daniil Sbrojew. Misjura ist Geschäftsführerin des ukrainischen Restaurants Fayna in Berlin-Tiergarten. Sowohl der Alltagsbetrieb des Restaurants als auch die Belieferung mit Lebensmitteln erfolgt vorwiegend durch ukrainische Menschen. Sbrojew ist Inhaber eines Berliner Cafés in der Walstraße und träumt davon, eine ganze Kette von Gastronomiebetrieben zu gründen.

Ein wichtiger Faktor für beruflichen Erfolg seien Deutschkenntnisse, sagt Julija Sabadasch von European People Media, einer Social-Media-Plattform, die sich an ukrainische Menschen in Deutschland richtet. Über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen ihren Angaben zufolge mehr als ein Drittel der Ukrainer, die in Deutschland Arbeit gefunden haben.

Zu Beginn des Krieges seien viele hauptsächlich im Dienstleistungssektor und in Arbeiterberufen beschäftigt gewesen, führt sie aus. Heute seien die Einsatzbereiche breiter gefächert. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer hätten Anstellungen etwa auch im IT- und Technikbereich, im Versicherungswesen und in kreativen Berufen – etwa als Grafikdesigner – gefunden.

Jewhenija Misjura, Geschäftsführerin des ukrainischen Restaurants Fayna in Berlin

© privat

Seit dem vergangenen Jahr sei es vielen Exil-Ukrainern zudem gelungen, in Deutschland ihr eigenes Unternehmen zu eröffnen. Dazu gehören Restaurants, Schönheitssalons und Geschäfte, die ukrainische Waren verkaufen.

„Eine Beschäftigung bedeutet allerdings nicht immer, dass der Mensch nicht in die Ukraine zurückkehren möchte“, betont Sabadasch. „Viele sehen in der Arbeit vor allem eine Chance, finanziell unabhängig vom Arbeitsamt zu werden, Erfahrungen zu sammeln und sich in die Gesellschaft zu integrieren.“

Belarussische Diaspora ist gut vernetzt

Die Gruppe der in Deutschland lebenden Belarussinnen und Belarussen ist deutlich kleiner; in den vergangenen Jahren kamen rund 30.000 Menschen aus dem kleinen osteuropäischen Land in die Bundesrepublik. Von ihnen hatten laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Ende Februar 13.440 Männer und Frauen eine Arbeit.

Unter ihnen sind die Eheleute Artjom und Switlana Jerschow, die 2022 in Deutschland Asyl erhalten haben. Switlana macht eine Ausbildung zur Kurierfahrerin, Artjom arbeitet bereits für DHL Express. In ihrer Heimat Minsk betrieben sie eine Ladenkette, die Ersatzteile für Autos verkaufte. Heute träumen sie davon, ihr Geschäft in München fortzuführen, haben aber Angst vor der Konkurrenz und den gesetzlichen Vorschriften auf dem deutschen Markt.

Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko (li.) unterstützt Kremlchef Wladimir Putin bei dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

© IMAGO/SNA/IMAGO/Gavriil Grigorov

Unterm Strich wenden Menschen aus Belarus und der Ukraine unterschiedliche Strategien an, um in ihrer neuen Heimat Arbeit zu finden. Das geht aus einer Studie hervor, die das unabhängige belarussische Wirtschaftsforschungszentrum BEROC im vergangenen Jahr in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführt hat.

Ukrainer wenden sich demnach deutlich öfter an Arbeitsvermittlungsstellen, während Belarussen stärker auf Verbindungen zur Diaspora zurückgreifen. Das helfe ihnen dabei, ihren ursprünglichen Beruf auch hierzulande fortzusetzen, insbesondere im IT-Sektor. Dort wandern viele Belarussen auf Einladung internationaler Unternehmen nach Deutschland aus.

Lew Lwoski, akademischer Direktor von BEROC, sagt dem Tagesspiegel: „Am schwierigsten Fuß fassen können sowohl Belarussen als auch Ukrainer in Deutschland im Bildungsbereich, in der Werbebranche, beim Designmarketing, in Banken und im Handel.“

Große Probleme: Sprachkenntnisse und Kinderbetreuung

Eine große Hürde für beide Diasporas sind Deutschkenntnisse, die Arbeitgeber oft als Voraussetzung für eine Anstellung nennen. Ihre Integration in den Arbeitsmarkt wird außerdem durch teils mangelnde Angebote zur Kinderbetreuung erschwert. Auch die Anerkennung von Berufsabschlüssen funktioniert oft mühsam oder gar nicht.

Olexij Ukrajinskyj, ein Anästhesist aus der ukrainischen Hafenstadt Odessa, der seit 2016 in Deutschland arbeitet, hat deshalb einen Telegram-Kanal eingerichtet und Webinare veranstaltet, um Ärzten aus der Ukraine bei der Anerkennung ihrer Diplome in Deutschland zu helfen. Der Prozess sei oft aufwendig und teuer, sagt er. Viele geflüchtete Menschen, die große Teile ihres Vermögens verloren haben, stelle das vor ein gewaltiges Problem.

Unter den belarussischen Migranten verfügt nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit die Mehrheit über ein abgeschlossenes Studium oder eine andere Berufsqualifikation. Der Verein Razam, eine Interessensvertretung in Deutschland lebender Belarussen, weist jedoch auf das Problem der Bürokratie hin.

Aufgrund des langwierigen Verfahrens zur Bestätigung der beruflichen Qualifikationen sei es für viele Menschen häufig schwierig, einen Arbeitsplatz in ihrem Fachgebiet zu finden.

Wie viele Menschen bislang geflohen sind

Der UN-Flüchtlingskommissar registrierte Mitte Januar 2025 weltweit fast 6,9 Millionen ukrainische Flüchtlinge. Um den Jahreswechsel zählte das nationale Statistikamt nur noch rund neun Millionen erwerbstätige Bürger in dem kriegsgeplagten Land. Damit hat die Ukraine, die vor Kriegsbeginn mehr als 40 Millionen Einwohner zählte, in den vergangenen zehn Jahren fast die Hälfte ihrer arbeitsfähigen Bevölkerung verloren.

Belarus wiederum hat offiziellen Angaben zufolge derzeit gut neun Millionen Einwohner, von denen etwa vier Millionen arbeitsfähig sind. Aus dem osteuropäischen Land heraus gab es in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Fluchtwellen, die bislang letzte nach der brutalen Niederschlagung regimekritischer Massenproteste im Sommer 2020.

Nach der brutalen Niederschlagung der regierungskritischen Proteste im Sommer 2020 flohen viele Belarussinnen und Belarussen ins Ausland.

© dpa/Uncredited

Einer Studie des Soziologen Gennadi Korschunow, eines Experten am Belarussischen Zentrum für Neue Ideen, zufolge verließen allein im vergangenen Jahr etwa 220.000 Menschen Belarus. Korschunow stellt fest, dass etwa 120.000 belarussische Bürger nach Polen, etwa 50.000 nach Litauen, etwa 8000 nach Deutschland, 25.000 in andere EU-Länder, 11.000 nach Georgien und 5000 nach Israel auswanderten.

Wer will zurück, wer will bleiben?

Laut einer Umfrage, die das ukrainische Zentrum für Wirtschaftsstrategie im Februar 2025 durchführte, wollen immer weniger Menschen in das von Russland angegriffene Land zurückkehren. Im vergangenen Jahr waren es 48 Prozent, heute sind es nur noch 43 Prozent.

„Selbst nach Beendigung des Krieges könnten zwischen 1,7 und 2,7 Millionen Ukrainer im Ausland bleiben. Dies wird erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft haben, die jährlich 5,1 bis 7,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verlieren könnte“, heißt es in einer Mitteilung.

Kyjiw nach einem verheerenden russischen Angriff im vergangenen Sommer

© dpa/Anton Shtuka

Wassyl Woskobojnyk, Präsident des ukrainischen Verbandes der internationalen Arbeitsvermittler, geht davon aus, dass nach dem Ende des Krieges unter anderem Rentner in ihre Heimat zurückkehren werden.

Der belarussische Experte Lwowski zitiert die Ergebnisse einer BEROC-Studie, wonach 35 Prozent der Belarussen angaben, irgendwann in ihr Geburtsland zurückkehren zu wollen. 38 Prozent lehnen eine Rückkehr ab, 26 Prozent taten sich schwer mit der Antwort.

Ukraine und Belarus bemühen sich um Rückkehr eigener Bürger

Europäische Länder hätten aufgrund ihrer eigenen demografischen Krise ein großes Interesse daran, die geflüchteten Menschen in ihrem Arbeitsmarkt zu halten, sagt Woskobojnyk. „Um das Gleichgewicht der Arbeitskräfte aufrechtzuerhalten, sind die EU-Länder gezwungen, jedes Jahr bis zu einer Million Arbeitsmigranten anzuwerben“, meint der Experte.

Woskobojnyk prognostiziert einen Wettbewerb um Arbeitnehmer aus Osteuropa. Zudem rechnet er mit einer zweiten Auswanderungswelle aus der Ukraine nach Kriegsende, wenn auch Männer im wehrfähigen Alter das Land wieder verlassen dürfen.

Wirtschaftsforscher Lwowski weist auf politische Hindernisse für ukrainische und belarussische Migranten in der EU hin. Er führt das Beispiel Litauens an, wo die Regierung die Ukraine unterstützt, aber „die Bevölkerung nicht sehr glücklich über die Migranten ist“.

Die ukrainischen und belarussischen Behörden sind aufgrund des Arbeitskräftemangels und der demografischen Krise an der Rückkehr ihrer Bürger interessiert. In Belarus wurde 2023 eine „Kommission für die Rückführung von Bürgern“ gegründet.

Doch die Aussicht, in eine Diktatur zurückzukehren, ist wenig verlockend und so sind die Dienste der Kommission unter Belarussinnen und Belarussen nicht beliebt.

Die Ukraine begann Anfang 2025 mit der Einrichtung von „Unity Hubs“ in Deutschland, Tschechien und Polen. Diese Einrichtungen sollen die Rückkehr von Flüchtlingen fördern, insbesondere von solchen, die in der Energie- und Verteidigungsindustrie sowie für den Wiederaufbau des Landes nach dem Krieg benötigt werden.

Dieser Artikel wurde recherchiert mithilfe eines Stipendiums von Free Press Unlimited.

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