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Knochenreste und Krematorien: Mütter in Mexiko entdecken ein verstecktes Folterlager der Mafia
Sie lockten mit Jobs als Wachleute oder Erdbeerpflücker: Ein mexikanisches Kartell hat junge Menschen entführt und zu Killern ausgebildet. Viele überlebten das „Folter-Camp“ nicht.
Stand:
Alles begann mit einem anonymen Anruf. Er ging ein beim Frauenkollektiv der „Suchenden Kriegerinnen“ im mexikanischen Bundesstaat Jalisco. Die Gruppe sollte sich doch einmal die Izaguirre-Farm näher anschauen, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung. Dann wurde aufgelegt.
Oft sind solche Hinweise falsche Fährten, doch manchmal führen sie die Frauen ans Ziel: an die Orte, an denen Kriminelle ihre Töchter und Söhne, ihre Brüder, ihre Männer ermordet und vergraben haben.
In diesem Fall war die genannte Farm keine Unbekannte. Schon im September hatte dort die Nationalgarde nach einer bewaffneten Konfrontation zehn Personen festgenommen, zwei Entführte befreit und eine Leiche sichergestellt.
Im Januar wurden dort erneut 38 Personen verhaftet, wobei sich später herausstellte, dass 36 von ihnen Opfer von Zwangsrekrutierung der Mafia waren. Die Staatsanwaltschaft verkündete, die Farm – zwei unscheinbare Häuser und eine Lagerhalle – habe als geheimes Trainingscamp eines Kartells gedient. Eine Suche nach menschlichen Überresten blieb aber angeblich ergebnislos.

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Doch die „Suchenden Kriegerinnen“ trauten diesen Angaben nicht. Mexikanische Funktionäre schlampen häufig, stecken mit der Mafia unter einer Decke oder vertuschen aus politischen Gründen die Spuren der Gewalt im Land. Deshalb machte sich die Gruppe am 5. März auf den Weg.

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Eigentlich hätte die Farm aufgrund der Ermittlungen abgeriegelt und bewacht sein müssen – doch das war nicht der Fall. Die Frauen marschierten einfach auf das verlassene Gelände und begannen zu suchen.
Es dauerte nicht lange, da fanden sie: zerfetzte Klamotten, Abschiedsbriefe, Ringe, Personalausweise, zersplitterte und verkohlte Knochenreste, drei unterirdische Verbrennungsöfen, Rucksäcke, einen Altar für satanische Riten, Koffer und Schuhe, über 200 verstaubte Schuhe.

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„Es war schmerzhaft“, beschreibt Indira Navarro, die Leiterin des Kollektivs, die grausame Entdeckung. „Hier waren sie also abgeblieben. Hier, wo all diese Koffer lagen, wurden auch die Illusionen, Projekte und Lebensträume von so vielen jungen Menschen beerdigt.“

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Mexiko wird seit Beginn des Drogenkriegs 2006 von Gewalt überzogen: Mehr als 350.000 Menschen wurden seitdem ermordet, 115.000 wurden verschleppt und werden bis heute vermisst.

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Jeden Tag veröffentlichten die Frauen aus Jalisco neue Fotos von der Farm in ihren sozialen Medien. Die schiere Menge der gruseligen Fundstücke sorgte selbst in einem durch die Gewalt des Drogenkriegs abgestumpften Land für Erschauern und Solidaritätskundgebungen.

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Irgendwann wurde auch Präsidentin Claudia Sheinbaum in ihrer morgendlichen Presseaudienz darauf angesprochen. Sie sprach von einer „schlimmen Angelegenheit“ und versprach Ermittlungen.
Doch wer in Mexiko traut schon der Staatsanwaltschaft? Ausgerechnet der Einrichtung, die im Jahr 2014 das Verschwinden von 43 Lehramtsstudenten vertuschte, um Politiker und Militärs zu schützen?

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Mit dem Fund auf der Farm war die Arbeit des Frauenkollektivs aber noch nicht zu Ende: Nach und nach meldeten sich Überlebende des Massakers – bei der Gruppe selbst und auch bei Medien.
Diese Augenzeugenberichte enthüllten das ganze Grauen: Viele der Opfer wurden augenscheinlich über Anzeigen für Jobs wie Wachleute in ganz Mexiko angeworben. Bei ihrer Ankunft an Busbahnhöfen im Stadtgebiet von Guadalajara und Tlaquepaque wurden sie dann verschleppt und auf die Ranch gebracht.

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Dort wollte das Kartell sie zu Killern ausbilden: Mit Folter in Form von Schlägen und Amputationen sollten sie desensibilisiert werden. Die Entführten mussten Mitgefangene vergewaltigen und Gladiatorenkämpfe absolvieren, in denen es um Leben oder Tod ging. Wer nicht überlebte, wurde in den Krematorien verbrannt und begraben.

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Die Mafia gab vor, Erdbeerpflücker zu suchen
Luis, einer der Rekruten, konnte bei einem Kampfeinsatz gegen ein anderes Kartell entkommen: „Den ganzen Tag über mussten wir trainieren“, erzählte er danach den Medien über seine Zeit in dem Lager. „Die Neuen wurden immer geschlagen. Wir durften nicht vor 12 Uhr nachts schlafen, wer das tat, wurde getötet. Die Älteren hatten mehr Freiheiten, aber zwei wurden erschossen, weil sie ohne Erlaubnis in den nahe gelegenen Tante-Emma-Laden gingen.“
Aus einem Bericht der mexikanischen Organisation „Tejiendo Redes Infancia“ geht hervor, dass in Mexiko jedes Jahr bis zu 35.000 Minderjährige Opfer von Zwangsrekrutierung werden.

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Auch Maria war noch keine 18 Jahre alt, als sie 2012 nach Guadalajara fuhr, um dort vermeintlich als Erntehelferin auf Erdbeerfeldern zu arbeiten. „Ich wurde entführt und auf der Farm festgehalten“, erzählte sie. Sie habe unter anderem die Leichen entsorgen müssen.
Dann mussten sie sich gegenseitig umbringen, das Kartell filmte die Szene und stellte sie in die sozialen Netzwerke.
Maria, Überlebende
„Eines Tages brachten sie fünf junge Männer. Sie waren Freunde. Das Kartell hatte sie auf einer Kirmes in Lagos de Moreno entführt. Dann mussten sie sich gegenseitig umbringen, das Kartell filmte die Szene und stellte sie in die sozialen Netzwerke.“ Maria zufolge wussten lokale Politiker und Sicherheitskräfte von den Vorgängen auf der Ranch, einige seien dort sogar vorbeigekommen.

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Wer schon lange wusste, was in der Region vor sich ging, waren Mexikos Streitkräfte. Aus bereits im Jahr 2022 gehackten Armeedokumenten geht hervor, dass der Korridor von Guadalajara an den Badeort Puerto Vallarta unter Kontrolle des Kartells „Jalisco Nueva Generación“ steht. Sogar der Name des Mafiabosses, dem die Region rund um die Izaguirre-Ranch unterstand, ist vermerkt: Gonzalo Mendoza Gaytán alias „El Sapo“ (der Frosch). Ermittlungen wurden dennoch nicht angestoßen.
Der Staatsanwalt von Jalisco kam nach dem Fund des Kollektivs jedenfalls ins Schleudern. Er rechtfertigte die schlampigen Ermittlungen mit den Worten, die Farm sei einfach „ziemlich groß“.
Generalstaatsanwalt Alejandro Gertz Manero bezeichnete diese Version zwar als „wenig glaubwürdig.“ Doch auch das hat einen schalen Beigeschmack, hat diese Kritik womöglich politische Gründe: Der Generalstaatsanwalt gehört zur linksnationalistischen Regierungspartei Morena, in Jalisco regiert die Opposition.
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