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Nach dem Aus für die Registrierung von Regenbogenkindern in Mailand gingen am vergangenen Samstag Eltern und Kinder auf die Straße - hier auf dem Platz vor der Scala, dem weltberühmten Opernhaus. 

© dpa-LaPresse/Alessandro Bremec

Regenbogenfamilien in Italien: Melonis Parteifreund findet Leihmutterschaft schlimmer als Kindesmissbrauch

Seit Tagen tobt in Italien eine erbitterte Debatte um die Kinder gleichgeschlechtlicher Eltern. Ein rechter Abgeordneter hat jetzt einen neuen Tiefpunkt gesetzt.

| Update:

In Italien verschärft sich der Streit um die Rechte von Regebogenfamilien. Ein enger Parteifreund von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nannte Leihmutterschaft jetzt „ein schlimmeres Verbrechen als Pädophilie“. Ein schockierender Satz, fand selbst der konservative „Corriere della sera“.

Federico Mollicone ist wie Meloni Mitgründer ihrer Partei Fratelli d’Italia und seit dem Wahlsieg der rechtsextremen Partei Vorsitzender der Parlamentskommission für Kultur, Wissenschaft und Unterricht. „Wir stehen hier Leuten gegenüber“, so Mollicone im TV-Sender La Sette, „die sich ein Kind ausssuchen, als ginge es um die Farbe ihres Hauses.“

Alles begann vor einer guten Woche mit einer Art Verwaltungsvorgang. Da wurde bekannt, dass der Präfekt von Mailand – wie in Frankreich sind Präfekten die Vertreter der Zentralregierung im Land – dem Bürgermeister der Metropole untersagt hatte, künftig zwei Frauen oder zwei Männer als Eltern Neugeborener zu registrieren. Er konnte sich darauf berufen, dass der Kassationsgerichtshof kurz vor Jahresende ein entsprechendes Urteil gefällt hatte.

Zwei Höchstgerichte haben entschieden

Auf die Klage eines Männerpaars entschied das höchste Gericht, dass die Rechtslage nur die Eintragung des Samenspenders erlaube. Dessen Partner – oder im Falle zweier Mütter der Partnerin – bleibe vorerst nur der Weg der Adoption. Zugleich forderten die Richter:innen die Politik zum Handeln auf, weil die Kinder queerer Eltern andernfalls auf Dauer geringere Rechte hätten als die heterosexueller Paare. Deutlich hatte 2021 der Verfassungsgerichtshof eine Reform angemahnt.

Diese Rechte ist schlimmer als unsere schlimmsten Befürchtungen.

Gabriele Piazzoni, Vorsitzender von Italiens LGBTIQ-Verband Arcigay

Die Adoption nennt auch die Regierung immer wieder als Ausweg; deshalb könne von einer Diskriminierung der Regenbogenkinder keine Rede sein. Sie ist allerdings nach Auffassung der Kritiker:innen ein langer, teurer Weg, der zudem, anders als die sofortige Eintragung der Elternschaft, nicht hilft, viele bürokratische Hürden zu überwinden.

Doch Handeln, wie von den höchsten Gerichten gefordert, ist von der rechten Regierungsmehrheit nicht zu erwarten, im Gegenteil: Am Mittwoch brachte sie einen Gesetzentwurf ein, der einige Regenbogenfamilien erst gar nicht mehr entstehen lassen soll. Die in Italien verbotene Leihmutterschaft würde dann auch verfolgt, wenn Schwangerschaft und Geburt im Ausland stattfinden. „Meloni will Gefängnis für schwule Paare“, titelte die linke Tageszeitung „Il manifesto“.

„Frauenkörper sind keine Ware, die man kaufen oder mieten kann, erst recht nicht, wenn die Frauen arm oder in Schwierigkeiten sind“, so Luca Ciriani, ein Minister und Parteifreund Melonis, und ließ durchblicken, dass sich die Opposition diesem feministischen Argument ja wohl nicht verschließen könne: Er hoffe auf eine breite Mehrheit wenigstens für diesen Grundsatz.

FdI-Männer besorgt um ausgebeutete Frauen

Bereits vor einer Woche lehnte die zweite Parlamentskammer, der Senat, es ab, die europäische Kindschaftsrichtlinie in italienisches Recht zu übernehmen.

Sie sieht vor, dass die Anerkennung der Elternschaft in einem EU-Staat automatisch auch in allen andern gelten soll. Das Argument der Regierungsmehrheit im Senat: Damit werde, wenn ein Kind von einer dritten Frau ausgetragen worden sei, das Verbot der Leihmutterschaft in Italien umgangen.

Inzwischen befeuern immer neue Interviews aus dem Regierungslager die Debatte. Schwule Paare gäben die Kinder anderer Mütter für ihre eigenen aus, wetterte Federico Rampelli (FdI), immerhin Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, der ersten Parlamentskammer. Er sei weniger besorgt um diese Kinder „als um die Frauen, die ausgebeutet würden“.

Eugenia Roccella, die rechtskatholische Ministerin für Familie, bekannte zwischen den Zeilen offen, dass ihr die Verhinderung von Leihmutterschaft wichtiger sei als gleiche Rechte für alle Kinder: Man dürfe das Austragen fremder Kinder nicht ermutigen, indem man sie anerkenne.

Roccellas Ministerium trägt seit dem Wahlsieg der Rechten den Zusatz „für Geburtenrate“. Die allerdings ist jüngsten Zahlen des italienischen Statistikamts Istat zufolge im vergangenen Jahr wie bereits seit einem Jahrzehnt erneut gesunken. Mit einem Minus von drei Prozent rutscht Italien jetzt erstmals unter 400.000 Geburten.

„Regierung ist sadistisch“

Aber auch die Hetero-Norm scheint Roccella wichtiger – trotz ihrer Beteuerungen, sie habe nichts gegen gleichgeschlechtliche Paare. Wo Mama und Papa die Eltern seien, so die Ministerin, garantiere dies einem Kind „mehr Stabilität und das bestmögliche familiäre Umfeld“.

Zwei Kollegen übernahmen es nun, die bisher größte Menge Öl ins Feuer zu gießen. Das alte ultrakonservative Narrativ, das Schwule und Kinderschänder in eins setzt, hatte zuerst der frühere Lega-Abgeordnete Simone Pillon wieder ins Spiel gebracht. Die Leihmutterschaft – auf der Rechten spricht man lieber vom „Miet-Uterus“ – sei kriminell und müsse „ebenso bestraft werden wie Pädophilie“. Kommissionschef Mollicone setzte dann noch eins drauf, als er das eine als noch schlimmer als das andere bezeichnete.

Arcigay, die Interessenvertretung der italienischen LGBTIQ-Gemeinde, ist entsetzt: „Diese Regierung setzt eine Strategie der Verfolgung gegen LGBTIQ-Personen um“, kommentierte der Vorsitzende von Arcigay, Gabriele Piazzoni, bereits vor dem Interview-Marathon. Ihr „ideologischer Furor“ untergrabe den Frieden ganzer Familien. „Eine sadistische Regierung wütet gegen Menschen, die bereits am Rande stehen oder in Schwierigkeiten stecken.“ Diese Rechte, so Piazzoni, sei „schlimmer als unsere schlimmsten Befürchtungen.“

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