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Nach Wahl-Schlappe der Ampel: Ex-CSU-Chef Stoiber fordert Vertrauensfrage von Scholz
Merz schließt Koalition mit BSW aus + Scholz ruft Koalition nach Wahl-Klatsche zur Arbeit auf + Frankreichs Rassemblement National will weitere Rechte um sich scharen + Der Newsblog zur Europawahl.
Stand:
Europa hat gewählt. Parteien rechts der Mitte konnten hinzugewinnen. Auch in Deutschland. Vor allem im Osten hat die AfD Rekordgewinne eingefahren. Das populistische „Bündnis Sahra Wagenknecht“ konnte ebenfalls vielerorts punkten. Von den ehemals großen etablierten Parteien konnte nur die Union Gewinne erzielen. Die Parteien der Ampel-Koalition sind fast deutschlandweit eingebrochen.
Insgesamt können die Deutschen am Sonntag, 9. Juni, 96 Abgeordnete ins Europaparlament schicken, das in der kommenden Legislaturperiode 720 Sitze umfassen wird.
Die Europawahl ist die zweitgrößte demokratische Abstimmung der Welt. Rund 360 Millionen EU-Bürgerinnen und -Bürger waren zwischen dem 6. und 9. Juni an die Urnen gerufen, um ihre Stimme für das neue Europaparlament abzugeben. (mehr im Newsblog unten).
- Eine interaktive Wahlkarte mit allen Ergebnissen nach Landkreisen und Bundesländern in Deutschland finden Sie hier.
- Was der Rechstruck nun für die EU bedeutet, lesen Sie hier.
- Berlin zerfällt bei der Europawahl in drei Teile, der Osten ist zersplittert, die Linke klammert sich an Neukölln – und die FDP ist nicht mehr stärkste liberale Kraft. Hier sind die Trends der Europawahl für Berlin.
Stoiber fordert Vertrauensfrage von Scholz
Der frühere bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Edmund Stoiber ist am Montagabend in Berlin für sein Lebenswerk mit dem Politikaward geehrt worden. Die Preisverleihung am Tag nach der Schlappe der Ampel bei der Europawahl nutzte der 82-Jährige, um von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Vertrauensfrage im Bundestag zu fordern.
„Es ist für mich eine Frage der Hygiene“, sagte Stoiber. Wenn man als Bundeskanzler mit 14 Prozent aus einer bundesweiten Wahl hervorgehe und „riesige Aufgaben“ zu bewältigen habe, dann reiche das nicht aus.
Der frühere SPD-Chef Franz Müntefering, der die Laudatio auf Stoiber hielt, widersprach. „Es gibt in unserem Deutschland eine Leitkultur, und diese Leitkultur ist das Grundgesetz. Und im Grundgesetz steht nichts über Hygiene“, sagte der 84-Jährige. (dpa)
Ramelow warnt nach Europawahl vor Spaltung zwischen Ost- und West
Merz schließt Koalition mit BSW aus

Frankreichs Rassemblement National will weitere Rechte um sich scharen
Die rechtspopulistische Partei Rassemblement National (RN) in Frankreich will nach ihrem Sieg bei der Europawahl für die von Präsident Emmanuel Macron angesetzte Neuwahl des Parlaments weitere Rechte um sich scharen, auch aus der rechtsextremen Partei Reconquête. „Ich selbst bin vollkommen bereit, mit Persönlichkeiten zu diskutieren, die nicht aus dem Rassemblement National stammen und die den Ehrgeiz teilen, in einigen Wochen einen Teil unserer Ideen an die Macht zu bringen und - auch im Rahmen einer Kohabitation - den Wiederaufbau des Landes einzuleiten“, sagte RN-Parteichef Jordan Bardella am Montagabend in Paris. Eine Kohabitation bedeutet in Frankreich, dass der Präsident und der Premierminister unterschiedliche politische Richtungen vertreten.
Ein erstes Treffen hatte Bardella am Montag mit der Spitzenkandidatin von Reconquête für die Europawahl, Marion Maréchal. „Ich wollte mich mit ihr unterhalten und über unser heutiges Bestreben sprechen, eine möglichst breite Mehrheit zu bilden.“ Mit anderen Rechten wolle das RN als nationale Union bei der Parlamentswahl mit dem Ziel antreten, die Regierung und das Amt des Ministerpräsidenten zu übernehmen, sagte Bardella. Mit Maréchal seien noch keine Vereinbarungen getroffen worden. „Im Moment geht es um Diskussionen.“
Das RN kam bei der Europawahl auf 31,36 Prozent der Stimmen, Reconquête erzielte 5,47 Prozent. Maréchal ist die Nichte der RN-Führungsfigur Marine Le Pen und war früher in deren Partei aktiv, ehe sie vor gut zwei Jahren in die rechtsextreme Konkurrenzpartei wechselte. (dpa)
Scholz will Verteilung von EU-Spitzenposten noch im Juni klären
Nach der Europawahl will Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die künftige Besetzung der Spitze der EU-Kommission und weiterer wichtiger Posten in Brüssel noch im Juni klären. „Ich bin dafür, dass wir alle diese Herausforderungen in diesem Monat bewältigen - also schnell und zügig entscheiden“, sagte Scholz am Montag in Berlin. „Es gibt keinen Anlass, sich viel zu lange damit aufzuhalten.“
Mit Blick auf von der Leyen betonte der Kanzler, es bleibe bei der Position der Ampel-Regierung, dass sich die Kommissionspräsidentschaft auf eine Mehrheit „traditionell demokratischer Parteien im Europäischen Parlament stützen“ müsse. Scholz und weitere Vertreter der „Ampel“ hatten zuvor gefordert, dass sich von der Leyen im Parlament nicht mit den Stimmen von Parteien am rechten Rand ins Amt wählen lassen dürfe. (AFP)
Nach dem schlechten Abschneiden der Ampel-Parteien bei der Europawahl hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu geschlossener, gemeinsamer Arbeit aufgerufen. „Das Wahlergebnis war für alle drei Regierungsparteien schlecht“, sagte Scholz am Montag nach einem Treffen mit dem Präsidenten Chiles, Gabriel Boric, in Berlin. Gefragt worden war er nach seiner persönlichen Verantwortung für das 13,9-Prozent-Wahldebakel der SPD. „Keiner ist gut beratet, der jetzt einfach zur Tagesordnung übergehen will“, sagte Scholz weiter.
Endergebnis in Österreich: Rechte FPÖ gewinnt Europawahl mit 25,4 Prozent
Die EU-kritische rechte Partei FPÖ hat die Europawahl in Österreich mit 25,4 Prozent der Stimmen für sich entschieden. Laut dem Endergebnis, das nach Auszählung aller Briefwahlstimmen am Montag vorlag, wurde die konservative Kanzlerpartei ÖVP mit 24,5 Prozent knapp dahinter auf Platz zwei verwiesen. Die sozialdemokratische SPÖ erhielt 23,2 Prozent der Stimmen.
Die Grünen, die in Österreich gemeinsam mit der ÖVP regieren, kamen am Sonntag auf rund 11,1 Prozent, während die liberalen Neos 10,1 Prozent erhielten.
Die FPÖ gewinnt drei Mandate dazu und wird sechs Abgeordnete in das neu zusammengesetzte EU-Parlament schicken. Die ÖVP-Fraktion schrumpfte um zwei Mandate und wird künftig nur mehr mit fünf Parlamentariern vertreten sein - mit ebenso vielen wie die SPÖ. Grüne und Neos sicherten sich jeweils zwei Mandate.
Bei der EU-Wahl waren 6,37 Millionen Menschen in Österreich wahlberechtigt. Davon beteiligten sich 56,3 Prozent an dem Votum. (dpa)
US-Regierung erwartet weitgehend unveränderte EU-Außenpolitik
Rekord-Nutzung des Wahl-O-Mats vor Europawahl
AfD schafft TikTok-Sieg bei der Europa-Wahl
TikTok hat nach Einschätzung von Fachleuten maßgeblich zum Ergebnis der Europawahl beigetragen. Die Zustimmung junger Wähler zur AfD sei auf deren Präsenz in dem Sozialen Netzwerk zurückzuführen – und auf die dortige Abwesenheit der anderen Parteien, erklärte die Bildungsstätte Anne Frank am Montag in Frankfurt.Linke will sich nach Wahldebakel neu aufstellen
Trotz Schlappe bei Jungwählern: SPD und Grüne weiter für Wahlalter ab 16 - Merz dagegen
Trotz massiver Verluste bei jungen Wählern halten Grüne und SPD an der Forderung nach einer Senkung des Wahlalters für Bundestagswahlen von derzeit 18 auf 16 Jahre fest.Grünen-Spitze ruft Koalition zur Zusammenarbeit auf: „Kann kein Weiter-so geben“
Steinmeier ruft zum Schutz des vereinten Europas auf
Nach den Erfolgen rechter Parteien bei der Europawahl hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zur Verteidigung eines weltoffenen und friedlichen Europas aufgerufen. „Vergessen wir nie, was Nationalismus und Hass in Europa angerichtet haben“, sagte er am Montag in Oradour-sur-Glane im Westen Frankreichs bei einem Gedenken für die Opfer eines SS-Massakers vor genau 80 Jahren. „Vergessen wir nie das Wunder der Versöhnung, das die Europäische Union erreicht hat. Schützen wir unser vereintes Europa! Und vergessen wir nie den Wert der Freiheit.“ (dpa)
Medwedew fordert Rücktritt von Scholz und Macron
Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew hat mit Häme auf das Ergebnis der Europawahl reagiert und den Rücktritt von Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gefordert. Die Ergebnisse seien ein „Abbild Eurer inkompetenten Politik der Unterstützung der Bandera-Führung“ in der Ukraine „auf Kosten der eigenen Bevölkerung und Eurer idiotischen Wirtschafts- und Migrationspolitik“, schrieb Medwedew am Montag im sozialen Netzwerk X. Moskau nutzt den Namen immer wieder, um die politische Führung in Kiew als faschistisch zu diffamieren.
Für Scholz und Macron sei nun die Zeit zum Rücktritt, schrieb Medwedew anschließend. „Auf den Müllhaufen der Geschichte.“ Der 58-Jährige, der als Vizechef des nationalen Sicherheitsrats in Russland nach wie vor in einflussreicher Position sitzt, galt zu Zeiten seiner Präsidentschaft 2008 - 2012 als Hoffnungsträger für einen liberalen Wandel Russlands. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat er sich zu einem Hardliner in der Moskauer Politik entwickelt, der Kiew und dem Westen regelmäßig mit hetzerischen Aussagen in sozialen Netzwerken droht.
Im Gegensatz zu Medwedew hat der Kreml das Ergebnis zurückhaltender kommentiert. Noch seien die proeuropäischen und proukrainischen Kräfte an der Macht. Die rechten Parteien seien aber dabei, diese zu überholen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Russland werde die Entwicklung aufmerksam verfolgen. Dabei widersprach er Vorwürfen, sich in die europäische Politik einzumischen. Im Vorfeld der Wahlen hatte es Berichte über Geldzahlungen aus Russland an Politiker des rechten Spektrums gegeben. (dpa)
Merz sieht Sieg bei Europawahl als „Ansporn“ für Union
CDU-Chef Friedrich Merz sieht nach dem Sieg der Union bei der Europawahl Rückenwind für die Auseinandersetzung mit der Ampel-Koalition in Berlin. Das Ergebnis sei für die Parteien der Bundesregierung „ein komplettes Desaster“, sagte er am Montag nach Sitzungen der CDU-Spitzengremien in Berlin. Die Grünen seien die großen Verlierer der Wahl. Die Union habe ein deutlich besseres Ergebnis als bei der Bundestagswahl 2021 erzielt. Mit 30 Prozent liege es „an der Untergrenze“ dessen, was er erwartet habe. Die CDU werde sich daher nicht zurücklehnen, sondern dies sei „ein Ansporn“ weiterzuarbeiten.
Merz wies besonders auf die anstehenden Landtagswahlkämpfe in Ostdeutschland hin. Dass die AfD bei der Europawahl im Osten stärkste Kraft geworden sei, sei eine große Herausforderung für alle Parteien. „Die AfD ist die Partei, die mittlerweile von der Ampel am meisten profitiert.“ Vor allem von der SPD gingen viele Wähler direkt zur AfD, weil sie unzufrieden seien. Die CDU nehme dies als Auftrag, sich besonders um Themen zu kümmern. (dpa)

„Nicht cool, Politiker zu sein“: Blogger stellt in Zypern Wahl auf den Kopf
Ein 24 Jahre alter Blogger hat die Europawahl in Zypern auf den Kopf gestellt. Der zuvor in der Politik völlig unbekannte Fidias Panagiotou erhielt aus dem Stand 19,4 Prozent der Stimmen. Er lag damit nur wenige Prozentpunkte hinter den etablierten Parteien, der erstplatzierten konservativen Partei DISY (24,8 Prozent) und der kommunistischen AKEL (21,5 Prozent). Politischer Beobachter werten den Erfolg als Protest vieler unzufriedener Wähler.
So sieht das auch Fidias Panagiotou selbst: „Es ist nicht cool, zu sagen, dass ich ein Politiker bin, denn Politiker haben Zypern beschmutzt“, erklärte er am Sonntagabend nach der Wahl vor Journalisten. Seine Wahl müsse ein Alarmsignal an die etablierten Parteien sein, die „seit Jahren miteinander um die eigenen Interessen zanken und sich nicht um das Volk kümmern“. Er spielte damit auf die in Nikosia herrschende Vetternwirtschaft unter Politikern und innerhalb der Parteien an, die viele Zyprer kritisieren. Sein Ziel sei es nun, der beste EU-Abgeordnete zu werden, den es jemals im Straßburger Parlament gab.
Fidias Panagiotou hat keine Ausbildung abgeschlossen und nach eigenen Angaben bislang keine Ahnung von Politik; auch über das Europäische Parlament wisse er nichts, werde jetzt aber viel fragen, lesen und lernen. Bisher arbeitet er als Blogger und hat mit seinen - teils auch umstrittenen - Videos auf Tiktok und Youtube vor allem auf Zypern eine große Zahl von Followern. Dass er hartnäckig sein kann, wenn er an etwas glaubt oder etwas erreichen will, zeigt ein Video, in dem er dokumentiert, wie er monatelang versuchte, Unternehmer und Milliardär Elon Musk zu treffen und ihn in den Arm zu nehmen - was schließlich auch gelang. (dpa)
Von der Leyen will auf Sozialdemokraten und Liberale zugehen - auf die Grünen zunächst nicht
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat Sozialdemokraten und Liberale nach dem Wahlsieg ihrer Parteienfamilie EVP bei der Europawahl zu einer Fortsetzung der bisherigen informellen Zusammenarbeit aufgefordert. „In diesen turbulenten Zeiten brauchen wir Stabilität, wir brauchen Verantwortlichkeit und wir brauchen Kontinuität“, sagte die deutsche CDU-Politikerin am Montag bei einer Pressekonferenz in Berlin. Man habe in den vergangenen fünf Jahren „gut und vertrauensvoll konstruktiv zusammengearbeitet“. Dies habe ein Fundament geschaffen, an das man nun anknüpfen könne.
Zu der Frage, warum sie zunächst keine Gespräche mit den europäischen Grünen führen werde, erklärte sie, die Gespräche mit den Sozialdemokraten und Liberalen seien der erste Schritt, auf den theoretisch weitere folgen könnten. CDU-Parteichef Friedrich Merz verwies allerdings darauf, dass das Mitte-Rechts-Bündnis EVP im neuen Europäischen Parlament schon gemeinsam mit den Sozialdemokraten und Liberalen auf eine komfortable Mehrheit von etwa 400 der 720 Stimmen kommt.
Zugleich schloss er wie von der Leyen auch eine Zusammenarbeit mit Parteien wie der Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nicht aus. „Die Wahlverlierer haben uns keine Bedingungen zu diktieren, mit wem wir sprechen und mit wem wir nicht sprechen“, sagte er. Von der Leyen hatte zuvor gesagt: „Um Zeit zu sparen, spreche ich mit denen, mit denen ich jetzt gut und lange zusammengearbeitet habe, aber das lässt auch Türen offen.“
Zum anhaltenden Streit über den für 2035 geplanten Verbrenner-Ausstieg sagte von der Leyen, dass sie weiter auf Technologieoffenheit und Pragmatismus setzen wolle. Damit deutete sie an, dass es bald einen konkreten Vorschlag geben könnte, wie das bereits beschlossene Aus für Verbrennermotoren verhindert werden könnte. Dies fordert unter anderem die deutsche FDP als Voraussetzung für eine Unterstützung von der Leyens. Um vom Europäischen Parlament erneut zur Kommissionspräsidentin gewählt zu werden, braucht die frühere deutsche Verteidigungsministerin die Unterstützung anderer Parteienfamilien. (dpa)
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