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Machtkampf der Drusen-Scheichs: Der Mann, der über den Frieden in Syrien mitentscheidet
Scheich al-Hijri will seinen Einfluss innerhalb der drusischen Gemeinschaft vergrößern. Er setzt dabei auf Israel als Verbündeten und stellt sich so gegen die syrische Regierung. Was hat er vor?
Stand:
Im Juli waren im Süden Syriens, in der mehrheitlich von Drusen bewohnten Provinz Suwaida, gewalttägige Auseinandersetzungen mit Beduinen ausgebrochen. Die Armee der Übergangsregierung intervenierte, und Israel bombardierte zur Unterstützung der Drusen den Süden des Nachbarlandes und die Hauptstadt Damaskus.
Im Zentrum der religiösen und politischen Spannungen in der Region steht seit Jahren ein Mann: Scheich Hikmat al-Hijri. Er ist einer der prominentesten spirituellen Führer der drusischen Gemeinschaft, einer ethnisch-religiösen Minderheit, die vor allem in Syrien, im Libanon und auf den von Israel besetzten Golanhöhen lebt. Ihr Glaube ist eine Ableitung vom schiitischen Islam.
Doch die politischen Positionen al-Hijris sind kontrovers. Er war lange loyal zum gestürzten Regime des Ex-Diktators Baschar al-Assad und ist nun die treibende Kraft hinter den Annäherungsversuchen an Israel. Der 60-Jährige hat seine eigene Agenda – die in den Augen vieler Syrer mehr mit Selbsterhalt als mit einer Vertretung seiner Glaubensgemeinschaft zu tun hat.
Gespaltene Gemeinschaft
Hikmat al-Hijri wurde 1965 in Venezuela geboren, wuchs jedoch in Syrien auf und studierte Jura an der Universität Damaskus. Im Jahr 2012, nach dem Tod seines Bruders Ahmed al-Hijri, übernahm er die religiöse Führung und wurde zum offiziellen Sheikh al-’Aql – dem höchsten spirituellen Vertreter der Drusen in Suwaida.
Doch er ist nicht nur Geistlicher, sondern ein machtbewusster Stratege, der zwischen innerdrusischer Konkurrenz, geopolitischer Unsicherheit und persönlicher Vergangenheit navigiert.

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Aber der 60-Jährige nicht der einzige Anführer der Minderheit, deren etwa 700.000 Anhänger ungefähr drei Prozent der syrischen Bevölkerung ausmachen. Auch Scheich Leth al-Balous und Scheich Youssef Jarbou vertreten starke religiöse und politische Strömungen innerhalb der Gemeinschaft.
Zwischen ihnen entwickelte sich über die Jahre eine tiefe Kluft. Die Drusen-Gemeinschaft in Suwaida ist seither in mehrere Lager gespalten, jedes folgt einem anderen Scheich mit unterschiedlichen politischen Ausrichtungen.
Später Bruch mit Assad
Während viele drusische Führer eine klare oppositionelle Haltung gegenüber dem Regime von Assad einnahmen, pflegte al-Hijri über Jahre eine enge Beziehung zur syrischen Regierung. Seine Nähe zum Geheimdienstapparat und seine Zurückhaltung gegenüber den Protestbewegungen machten ihn zum Ziel scharfer Kritik innerhalb der Gemeinschaft.
Doch mit der Zeit änderte sich sein Kurs. 2021 war er von einem Sicherheitschef öffentlich beleidigt worden, eine Demütigung, die sein Verhältnis zum Regime dauerhaft beschädigte. Es folgte ein langsamer, aber klarer Wandel: Al-Hijri distanzierte sich zunehmend vom Assad-Regime.

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Nach dem Sturz des Diktators im Dezember 2024 forderte er eine neue Verfassung, einen säkularen Staat sowie eine Regierung von Technokraten – und positionierte sich damit gegen die neue islamistische Führung in Damaskus, die unter der Leitung des ehemaligen Milizenführers Ahmed al-Scharaa entstand.
Machtkampf unter Scheichs
In der Provinz Suwaida eskalierte die Lage im Sommer 2025. Verschiedene drusische Gruppen, besonders jene von Scheich Jarbou und Scheich al-Balous, begannen Gespräche mit der neuen Regierung über Sicherheitsgarantien und eine Waffenruhe, da es immer noch Gefechte gegeben hatte.

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Scheich al-Hijri hingegen lehnte jegliche Kooperation kategorisch ab. Er warf den anderen Führern Opportunismus vor und bezeichnete das Abkommen als „Verrat an der Würde der Drusen“.

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Damit entstand ein noch tieferer Riss innerhalb der drusischen Bevölkerung: Die einen suchten pragmatische Lösungen mit der Zentralregierung, andere, unter al-Hijris Führung, forderten Autonomie und riefen zum Widerstand auf.
Nach dem Machtwechsel in Damaskus verlor al-Hijri an politischem Rückhalt. Seine Nähe zum alten Regime machte ihn innerhalb der neuen Ordnung verdächtig. Er fürchtete, die Kontrolle über die drusische Gemeinschaft zu verlieren.
Such nach ausländischen Unterstützern
Als Reaktion darauf begann er übereinstimmenden Berichten zufolge nach ausländischer Unterstützung zu suchen, insbesondere in Israel.
Sein Kalkül: In einer instabilen Region könnte die Nähe zur israelischen Grenze ein strategischer Vorteil sein. Die Regierung in Jerusalem wiederum verfolgt die Entwicklungen in Suwaida nicht zuletzt wegen der drusischen Minderheit in Israel und auf den völkerrechtlich zu Syrien gehörenden Golanhöhen, wo es seine Besatzungszone erweitert hat.
Einige Kritiker behaupten, dass al-Hijri mit drusischen Führern aus Israel in Kontakt stehe, um eine Art autonomen Status für die Region zu erreichen. Damit würde er angesichts der wachsenden Popularität seiner Rivalen seine eigene Macht sichern.
Gemeinschaft rückt zusammen
Die jüngsten Übergriffe durch bewaffnete Beduinen und andere Milizen auf die drusische Bevölkerung in Suwaida versetzten die Gemeinschaft in Angst und Schrecken. Viele Drusen, selbst jene, die al-Hijris politische Linie kritisch sehen, versammelten sich notgedrungen hinter ihm, weil sie in ihm den Einzigen sehen, der entschlossen gegen äußere Bedrohungen auftritt.
Diese Entwicklung hat den Einfluss des kontroversen Religionsführers kurzfristig gestärkt – doch sein Kurs bleibt riskant, denn er geht auf Konfrontation mit der Regierung in Damaskus und bietet Israel einen Vorwand, sich in innersyrische Angelegenheiten einzumischen.
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