zum Hauptinhalt
Der sogenannte Islamische Staat hat Tausende jesidische Frauen und Mädchen sexuell versklavt.

© dpa/Ismael Adnan

Massaker an Jesiden: Es war ein Völkermord

Tausende Jesiden wurden vom sogenannten Islamischen Staat ermordet und versklavt. Nun stimmt der Bundestag über die Anerkennung des Genozids an ihnen ab.

Ein Gastbeitrag von Düzen Tekkal

Im Dezember 2022 richteten wir mit unserer Menschenrechtsorganisation HÁWAR.help eine Veranstaltung aus zum Thema Gerechtigkeit für die Überlebenden von Vergewaltigungen im Irak und in Syrien – dort, wo vor acht Jahren die Terrormiliz Daesch wütete, hierzulande besser bekannt als „Islamischer Staat“.

Auf dem Podium berichtete die junge Jesidin Jihan Alomar über das, was ihr und ihrer Familie damals angetan wurde.

Die Geschichte des Überlebens der Alomars ist eine von Entwurzelung und Rettung, aber auch von quälender Ungewissheit. Während Jihan und ihrer Mutter die Flucht aus der Daesch-Gefangenschaft gelang und sie mittels eines Sonderkontingents für Überlebende des Genozids in Deutschland aufgenommen wurden, blieb ein Teil der Familie in Irak zurück.

In der Gefangenschaft stirbt man jeden Tag ein bisschen

Vom Vater fehlt bis heute jede Spur. Schwester Sausan wurde von den Daesch-Kämpfern verschleppt und als Sklavin gehalten. Im Herbst 2022 gelang es, sie zu befreien.

Jihan empfindet großes Glück, Sausan bald wieder in die Arme schließen zu können. Noch befindet sie sich in einem Camp in Irak. Jihan hat aber auch Angst vor dem Wiedersehen. Angst, die Spuren der Versklavung auf Sausans Gesicht zu sehen.

Die Jesidin war 16 Jahre alt, als Daesch sie verschleppte. Als Erwachsene kommt sie frei, doch sie ist mehr als nur acht Jahre gealtert. Mit HÁWAR.help begleiten wir seit Jahren Daesch-Überlebende. Sie sagen: In der Gefangenschaft stirbt man jeden Tag ein bisschen. Das gräbt sich tief in die Gesichtszüge.

2700
Jesiden werden noch immer vermisst

Die Alomars haben die Hölle auf Erden überlebt. Die Terrormiliz legte binnen weniger Tage im August 2014 ihre Heimat Schingal im Nordwesten Iraks in Schutt und Asche. Systematisch wurden etwa 5000 Jesiden auf der Stelle umgebracht, Mädchen und Frauen in die sexuelle Sklaverei gezwungen und die Jungen fortan zu Kindersoldaten gedrillt. Mehr als 2700 Jesiden werden noch vermisst.

Hunderttausende Vertriebene leben bis heute in schlecht ausgestatteten Lagern in der Region. Es darf keine Randnotiz sein, dass sich mehr als 1000 Personen von Deutschland aus auf den Weg machten, um sich Daesch in Irak und Syrien anzuschließen und ein „Kalifat“ aufzubauen, in dem für (in ihren Augen) „Ungläubige“ kein Platz ist.

Ich kann nichts weiter tun, als meine Stimme zu erheben.

Jihan Alomar gelang die Flucht vor dem sogenannten Islamischen Staat

Jihan begann ihre Schilderungen auf dem Podium sehr gefasst, doch dann kamen ihr die Tränen. „Ich kann nicht glauben, wie wenig in Deutschland über das, was in Irak und in Syrien geschah und teilweise immer noch geschieht, berichtet wird. Ich kann nichts weiter tun, als meine Stimme zu erheben. Ich hoffe, dass es sich irgendwann ändert.“

Bundestag stimmt über Anerkennung des Genozids an den Jesiden ab

Jihans Wunsch und der so vieler Überlebender soll jetzt ein Stück weit Rechnung getragen werden: Deutschland wird voraussichtlich den Genozid an den Jesiden offiziell als solchen anerkennen. An diesem Donnerstag stimmt der Bundestag über den Antrag der Bundestagsfraktionen von Grünen, SPD, FDP und CDU im Bundestag ab.

Es ist mehr als nur ein symbolischer Akt. Es ist eine Heilung. Denn nichts wünschen sich die Überlebenden mehr als Gerechtigkeit. Dass die Welt ihr Leid sieht und die Täter bestraft werden.

Die Jesiden werden verfolgt, seit es sie gibt. Sie haben aufgehört, die Genozide zu zählen, die an ihnen verübt wurden. Doch zum ersten Mal in ihrer langen Geschichte gingen die Bilder der Verfolgung im August 2014 um die Welt.

Mehr noch als Kriege, die grausam genug sind, stellen Genozide einen Angriff auf die regulative Idee dar, dass die Menschheit frei von Unterdrückung und Gewalt ihre Geschicke in die Hand nimmt und eine gemeinsame Zukunft auf dieser Erde gestaltet.

Der Tatsache, dass Daesch den perfiden Plan hatte, die Jesiden in ihrer Gesamtheit auszulöschen – weltweit nur etwa eine Millionen Menschen – wird nun klar in der Anerkennung durch die Bundesrepublik festgehalten: Es war Völkermord.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false