zum Hauptinhalt
Im Khan al-Shuna-Markt in der Altstadt von Aleppo drängeln sich die Menschen auch im Ramadan nicht. Die Lebensmittelpreise sind hoch.

© IMAGO/Middle East Images/IMAGO/Hibatullah Barakat

Mein neues Syrien: „Ich will den Finanzminister sprechen!“

Ein Mann verzweifelt, weil er seine Rente nicht ausgezahlt bekommt. Er kämpft ums wirtschaftliche Überleben – wie viele Syrer. Folge Fünf der Kolumne.

Mohammad Albayoush
Eine Kolumne von Mohammad Albayoush

Stand:

Ich befand mich im Informationsministerium, um die Ankunft einer saudischen Delegation zu filmen, die ein Treffen mit dem Finanzminister geplant hatte. Plötzlich stürmte ein alter Mann in den Raum und redete laut auf den Sekretär und den Büroleiter des Ministers ein.

„Ich muss den Minister sprechen!“, rief der alte Mann verzweifelt. „Ich brauche dringend meine Rente. Die Zentralbank hat mir gesagt, ich brauche eine Bescheinigung von Ihnen, um meine Rente zu bekommen. Also bin ich hier.“

Doch der Büroleiter sagte nur knapp, ohne weitere Erklärung: „Setzen Sie sich“. Der alte Mann setzte sich neben mich und begann, mir seine Geschichte zu erzählen.

Seit dem Umsturz keine Rente

Seit zwei Monaten hat er keine Rente erhalten. Er lebt mit seiner ebenfalls betagten Frau zusammen. Sie haben ihre beiden Söhne verloren, die im Bürgerkrieg an einem Armee-Kontrollpunkt in Damaskus festgenommen worden waren. Bis heute weiß er nicht, was mit ihnen geschehen ist.

„Ich kann mich nicht mehr so bewegen wie früher“, sagte er mit zitternder Stimme. „Ich habe nichts mehr. Nicht einmal mein Fahrrad funktioniert noch, und ich kann es mir nicht leisten, es reparieren zu lassen.“

Das Schlimmste aber: „Jeden Tag gehe ich zur Bank, aber sie schicken mich hierher, und hier sagt man mir, ich solle zur Bank gehen. So laufe ich von Büro zu Büro, auf der Suche nach meiner Rente.“

Seine Augen sind müde und voller Verzweiflung. Ein stilles Zeugnis für das Leid und die wirtschaftliche Not, die so viele Menschen in diesem Land quält.

Nur Beamten geht es besser

Syrien ist ein Land, das nicht nur vom Krieg zerrissen ist, sondern auch von Armut und Hunger. Wer in Damaskus durch die Straßen läuft, sieht keine blühende Metropole, sondern einen Ort, an dem Menschen hungern; die Inflation treibt die Preise in schwindelnde Höhen.

Bewohner im Stadtteil Al-Qaboon in Damaskus treffen sich zum Fastenbrechen im Ramadan. Die Lebensmittelpreise sind explodiert.

© REUTERS/KHALIL ASHAWI

Selbst wohlhabendere Menschen, die einst komfortabel lebten, verarmen und kämpfen darum, ihre Wohnungen zu halten. Die Armut in Syrien betrifft somit längst nicht mehr nur die, die schon vorher arm waren – sie hat mittlerweile die Mittelschicht erreicht.

Die Kluft zwischen der Bevölkerung und den Staatsbediensteten ist enorm. Während die Beamten ihre Gehälter pünktlich erhalten, irren Rentner wie der alte Mann von Behörde zu Behörde, betteln um das, was ihnen zusteht.

Diejenigen, die von der Armut betroffen sind, haben nicht nur mit leeren Taschen zu kämpfen, sondern auch mit dem Gefühl, dass niemand ihre Not wahrnimmt.

Die Euphorie und der Moment der Erleichterung nach dem Sturz des Regimes von Bashar al-Assad war nur von kurzer Dauer. Die Realitäten des täglichen Lebens haben die Menschen schnell eingeholt. 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })