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Kämpfer in Syrien am 28.11.

© AFP/AAREF WATAD

Offenbar kein „nennenswerter Widerstand“: Dschihadisten erobern erstmals seit 2016 Teile der Millionenstadt Aleppo

Im Bürgerkriegsland Syrien haben dschihadistische Gruppen eine überraschende Offensive gegen Assad gestartet. Bei den Kämpfen sollen mindestens 255 Menschen getötet worden sein.

Stand:

Bei den schwersten Kämpfen in Syrien seit Jahren sind dschihadistische Kämpfer und ihre von der Türkei unterstützten Verbündeten nach Angaben von Aktivisten und Augenzeugen in die Großstadt Aleppo im Nordwesten des Landes eingedrungen.

Die Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) und ihre Verbündeten „kontrollieren fünf Stadtteile der Stadt Aleppo“, sagte der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, am Freitag der Nachrichtenagentur AFP. Sie seien „ohne nennenswerten Widerstand“ der syrischen Armee vorgerückt.

Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte erreichten Kämpfer der Dschihadistengruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) und mit ihr Verbündete am Freitagmorgen die Tore der Stadt. Durch die seit Tagen andauernde Gewalt wurden demnach bereits 255 Menschen getötet. Unter den Getöteten ist einer iranischen Nachrichtenagentur zufolge auch ein General der iranischen Revolutionsgarden, die die syrische Armee unterstützen.

Wie die Beobachtungsstelle mitteilte, stehen mittlerweile „mehr als 50 Dörfer und Städte“ in den Regionen Aleppo und Idlib im Norden und Nordwesten des Landes unter der Kontrolle von HTS und mit ihr verbündeter und von der Türkei unterstützter Fraktionen.

Ein Sicherheitsbeamter der syrischen Regierung sagte, die Armee habe Verstärkung in die Stadt Aleppo geschickt. Im Westen der Stadt sei es zu „heftigen Kämpfen und Zusammenstößen gekommen“, sagte er. Ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP berichtete ebenfalls von heftigen Schusswechseln wenige Kilometer rund um Aleppo. Seinen Schilderungen zufolge rückten die Dschihadisten mit Panzern vor.

Heftigste Kämpfe seit 2020

„Zum ersten Mal seit fast fünf Jahren hören wir ständig Raketen und Artilleriegranaten, manchmal auch Flugzeuge“, sagte ein 51-jähriger Bewohner von Aleppo der AFP am Telefon. Die Menschen hätten Angst, „dass sich das Kriegsszenario wiederholt und wir gezwungen sein werden, aus unserer Heimat zu fliehen“.

Im Nordwesten Syriens grenzt die großteils von der Regierung kontrollierte Provinz Aleppo an die letzte große Rebellen- und Dschihadisten-Hochburg Idlib. Am Mittwoch hatten die Dschihadisten und ihre Verbündeten eine überraschende Großoffensive gegen die Streitkräfte der Regierung gestartet - es sind die heftigsten Kämpfe seit dem Jahr 2020. 

Zudem seien bei Luftangriffen der mit der syrischen Regierung verbündeten russischen Armee, die ins Kampfgeschehen eingegriffen habe, mindestens 19 Zivilisten getötet worden. Die russischen Flugzeuge hätten ländliche Gebiete in der östlichen Region Aleppo angegriffen, erstmals seit Jahren seien auch syrische Flugzeuge beteiligt gewesen.

Die Dschihadistengruppe HTS kontrolliert Teile mehrerer syrischer Provinzen, darunter Aleppo und Idlib. Die Gruppe ist ein syrischer Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida.

Höchstrangiger iranischer General im Land getötet

Die Dschihadisten hatten demnach am Mittwoch in der Gegend zwischen der von der Regierung kontrollierten Provinz Aleppo und der Dschihadisten-Hochburg Idlib im Norden des Landes angegriffen. Die Dschihadisten hätten zwei Dörfer im Westen der Provinz Aleppo sowie drei Dörfer in einem von der Regierung gehaltenen Gebiet in der Provinz Idlib erobert.

Den Aktivisten zufolge wurden seit Mittwoch mehr als 80 Soldaten der Regierungstruppen von Präsident Baschar al-Assad und Kämpfer ihrer Verbündeten getötet. Bei den übrigen Toten soll es sich um Aufständische der HTS und anderer Gruppen handeln.

Nach Angaben aus Teheran wurde bei den am Mittwoch begonnenen Kämpfen auch ein General der iranischen Revolutionsgarden getötet. General Kjumars Purhaschemi, einer der „höchstrangigen iranischen Berater in Aleppo“ sei getötet worden, meldete die Nachrichtenagentur Tasnim. 

Der Iran sicherte der syrischen Regierung seine Unterstützung zu. Außenminister Abbas Araghtschi betonte während eines Telefonats mit seinem syrischen Kollegen Bassam al-Sabbagh „die anhaltende Unterstützung Irans für die syrische Regierung, Nation und Armee im Kampf gegen den Terrorismus“.

Tausende Menschen flüchten

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind durch die Gefechte seit Mittwoch rund 14.000 Menschen in der Umgebung von Idlib und westlich von Aleppo vertrieben worden.

Die Lage verschlechtere sich insbesondere für die Zivilbevölkerung, sagte David Carden, stellvertretender regionaler UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in Syrien, der Deutschen Presse-Agentur. „Wir erhalten Berichte über Kinder mit mehreren Verletzungen durch Schrapnell“, sagte er.

Im syrischen Bürgerkrieg sind die anfangs demokratisch geprägten Oppositionskräfte in den letzten Jahren zunehmend durch islamistische Kräfte verdrängt worden. Auf der anderen Seite kämpfen unter anderem Russland, die Hisbollah und der Iran an der Seite des Diktators Assad gegen alle Aufständischen. (Trf, AFP/dpa)

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