zum Hauptinhalt
Frankreichs neuer Premier Barnier muss verschiedene politische Gruppierungen in seiner Regierung vereinen. (Archivbild)

© Stephane de Sakutin/Pool AFP/AP/dpa

Trotz Linksruck bei Wahlen in Frankreich: Macron ernennt konservativ geprägte Regierung

Die Krise in Frankreich ist mit Ernennung der neuen Regierung nicht beendet. Der Streit der politischen Lager hält an und das Land muss dringend seine Finanzen sanieren.

Stand:

Frankreich hatte mehrheitlich links gewählt, bekommt nun aber eine stärker rechts geprägte Regierung als zuvor: Elf Wochen nach den vorgezogenen Parlamentswahlen hat Präsident Emmanuel Macron 39 Regierungsmitglieder ernannt, wie aus der am Samstagabend in Paris veröffentlichten Liste hervorgeht. Sechs Ministerinnen und Minister gehören dem konservativen Lager an, unter ihnen Innenminister Bruno Retailleau, bislang Fraktionschef der Republikaner im Senat.

Außenminister wird der bisherige Europaminister Jean-Noël Barrot. Der 41-Jährige ist ein Befürworter einer gemeinsamen Schuldenaufnahme in der EU. Der ihm beigeordnete Europaminister Benjamin Haddad ist künftig für die deutsch-französischen Beziehungen zuständig. Neuer Wirtschaftsminister wird der 33-jährige Antoine Armand, ein Vertrauter Macrons.

Das linke Lager, das bei der Wahl die relative Mehrheit erreicht hatte, ist nur mit einem einzigen Minister in der Regierung vertreten: Der frühere sozialistische Abgeordnete Didier Migaud, der zuletzt die Transparenzbehörde leitete, wurde zum Justizminister ernannt. Mehrere linke Politiker hatten Angebote des konservativen Premierministers Michel Barnier ausgeschlagen, weil sie dessen politische Linie ablehnen.

Verteidigungsminister Sébastien Lecornu und Kulturministerin Rachida Dati bleiben im Amt. Die ebenfalls zum konservativen Lager gehörende bisherige Arbeitsministerin Catherine Vautrin wird Ministerin für regionale Angelegenheiten.

Die Geschlechtergerechtigkeit ist mit je 20 Männern und Frauen inklusive des Premierministers den Zahlen nach gewahrt. Allerdings sind die einflussreichsten Ressorts von Männern besetzt. Mindestens drei der Regierungsmitglieder haben nordafrikanische Wurzeln, neben Dati auch der künftige Anti-Diskriminierungs-Staatssekretär Othman Nasrou.

Keine politischen Schwergewichte

Auffällig ist, dass keiner der potenziellen Präsidentschaftskandidaten an der Regierung beteiligt ist und mehrere politische Schwergewichte nicht mehr beteiligt sind. Dafür soll Barnier ausdrücklich gesorgt haben. Sowohl der bisherige Innenminister Gérald Darmanin als auch der bisherige Wirtschaftsminister Bruno Le Maire haben die Regierung verlassen. Der konservative Fraktionschef Laurent Wauquiez lehnte nach eigenen Angaben das Wirtschaftsministerium ab.

Die Opposition reagierte empört. Die neue Regierung sei „weit entfernt von dem Wunsch nach Veränderung“, den die Wähler zum Ausdruck gebracht hatten, sagte die rechtspopulistische Fraktionschefin Marine Le Pen. „Diese Aufstellung ist weder rechtmäßig, noch erfolgversprechend. Wir werden sie schnellstmöglich abschaffen“, sagte der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon. Der sozialistische Parteichef Olivier Faure meinte: „Eine reaktionäre Regierung, die der Demokratie den Stinkefinger zeigt.“

Das neue Kabinett soll am Montagnachmittag zu seiner ersten Sitzung zusammentreten. Es wird erwartet, dass Barnier am 1. Oktober seine Regierungserklärung in der Nationalversammlung abgibt.

Der konservative Premierminister Michel Barnier hatte Macron bereits am Donnerstagabend eine Liste mit 38 Kabinettsmitgliedern vorgelegt. Nach Angaben aus bisherigen Regierungskreisen soll Sébastien Lecornu Verteidigungsminister bleiben.

Angesichts der schwierigen Mehrheitsverhältnisse hatte sich die Regierungsbildung länger hingezogen als üblich. So hatte Barnier Schwierigkeiten, linksgerichtete Politiker für sein Kabinett zu gewinnen. Das links-grüne Wahlbündnis Neue Volksfront lehnte eine Zusammenarbeit ab, da es sich durch die Ernennung eines konservativen Premierministers seines Wahlsiegs beraubt sieht. Aus Protest gegen die Mitte-rechts-Ausrichtung der neuen Regierung demonstrierten am Samstag tausende Menschen in Frankreich gegen Barnier und Präsident Macron.

Linksbündnis trotz Wahlsiegs außen vor

Bei der Parlamentswahl war das Linksbündnis vor den Mitte-Kräften von Präsident Emmanuel Macron und den Rechtsnationalen um Marine Le Pen gelandet. Eine absolute Mehrheit erhielt keines der Lager und keiner Partei gelang es, mit Partnern eine regierungsfähige Mehrheit auf die Beine zu stellen.

Unsere Videos zu Macron:

Nach langem Zögern ernannte Macron vor zwei Wochen den konservativen Barnier (73) zum neuen Premier. Die Hoffnung war, dass es dem ehemaligen Brexit-Chefunterhändler der EU mit seinem Verhandlungsgeschick und Talent zum Kompromiss gelingen würde, genügend Partner für eine handlungsfähige Regierung zu finden. Am Donnerstagabend legte Barnier Macron dann sein Personaltableau vor. Wegen „letzter Anpassungen“, wie es seitens der Regierung hieß, wurde die Vorstellung des Kabinetts dann von Freitag auf heute verschoben. 

Misstrauensvotum droht

Über eine absolute Mehrheit, die politische Vorhaben von Präsident Macron einfach umsetzen kann, wird die künftige Regierung auf keinen Fall verfügen. Möglicherweise wird Barnier je nach Regierungsvorhaben auf die Unterstützung unterschiedlicher Partner setzen müssen und auch auf die Duldung durch das rechtsnationale Rassemblement National von Marine le Pen angewiesen sein. Staatschef Macron, der mit den Neuwahlen seine Position stärken wollte, steht dadurch geschwächt da. Da er in der Außenpolitik die Oberhand hat und mit Barnier einen proeuropäischen Premier an seiner Seite, dürfte sich aber an der Zusammenarbeit mit Brüssel und Berlin kaum etwas ändern.

In der Innenpolitik steht der neuen Regierung indes mit dem Haushalt für das kommende Jahr gleich eine Belastungsprobe bevor. Wegen einer zu hohen Neuverschuldung betreibt die EU-Kommission im Moment ein Defizitverfahren gegen Frankreich. An einem drastischen Sparkurs in Frankreich mit seinen traditionell hohen öffentlichen Ausgaben führt eigentlich kein Weg vorbei und über die Frage möglicher Steuererhöhungen ist schon Streit zwischen Barnier und dem Macron-Lager entbrannt. (AFP, dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })