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Rauch steigt von einem brennenden Frachtschiff im Schwarzen Meer vor der türkischen Küste auf. Der Videoausschnitt wurde vom ukrainischen Sicherheitsdienst SBU veröffentlicht.

© AFP/SECURITY SERVICE OF UKRAINE

Ukraine greift mit Drohnen an: Russlands Schattenflotte im Visier – gibt es eine neue Front im Schwarzen Meer?

Mit dem Drohnenangriff auf zwei Öltanker verschärft Kiew den Druck auf Russlands Schattenflotte. Das verändert womöglich die Machtverhältnisse im Schwarzen Meer.

Stand:

Die Wasserdrohne vom Typ „Sea Baby“ rast von hinten an einen Öltanker heran, die Sprengladung explodiert, ein Feuerball steigt auf. Videos der ukrainischen Streitkräfte aus dem Schwarzen Meer zeigen die jüngsten Angriffe auf Tanker der russischen Schattenflotte vor der türkischen Küste.

Zwei Schiffe, die „Kairos“ und die „Virat“, wurden von den Drohnen außer Gefecht gesetzt, bevor sie in einem russischen Hafen neues Öl laden konnten. Mit den Angriffen sendet die Ukraine eine Botschaft an den Kriegsgegner Russland – und an den Westen.

Mit Ölexporten an westlichen Sanktionen vorbei verdient der Kreml viel Geld zur Finanzierung des Krieges in der Ukraine. Zwar muss Russland sein Öl wegen der Sanktionen weit unter Preis verkaufen: Für ein Barrel (159 Liter) erhält Moskau nur 36 Dollar – der Weltmarktpreis liegt bei rund 64 Dollar.

Drittstaaten transportieren Öl für Moskau

Doch Russland nimmt laut der Internationalen Energieagentur IEA mit dem Verkauf von Öl an Länder wie China, Indien oder die Türkei, die die Sanktionen nicht mittragen, immer noch 13 Milliarden Dollar im Monat ein. Trotz der Sanktionen gehören auch EU-Staaten weiterhin zu den Abnehmern russischen Öls – monatlich im Wert von mehr als einer Milliarde Euro.

Die sogenannte Schattenflotte – bestehend aus Hunderten Tankern unter Flaggen von Drittstaaten, die für den Transport von russischem Öl eingesetzt werden – transportiert die russischen Exporte über das Meer. Auch die „Kairos“ und die „Virat“, die für Gambia fahren, sollen zur Flotte gehören.

Die Türkei als Hüterin der Seeverbindung zwischen dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer darf die Schiffe nicht aufhalten. Laut dem Vertrag von Montreux aus dem Jahr 1936 muss sie die Meerengen Dardanellen und Bosporus selbst in Kriegszeiten für Handelsschiffe neutraler Staaten offenhalten. Dazu zählen auch die fremdbeflaggten Tanker der Schattenflotte.

Die „Kairos“ und die „Virat“ wurden in internationalen Gewässern angegriffen. Der türkische Verkehrsminister Abdulkadir Uraloglu teilte mit, die „Kairos“ sei nach dem Angriff am Freitag in Brand geraten. Türkische Schiffe holten die 25 Besatzungsmitglieder von Bord und versuchten, das Feuer zu löschen.

Die „Virat“ wurde ebenfalls am Freitag und dann erneut am Samstag angegriffen. Beide Schiffe waren unbeladen und auf dem Weg zum russischen Ölhafen Noworossijsk, der am Samstag ebenfalls mit Seedrohnen angegriffen wurde.

Bisher hatte sich Kiew bei Militäraktionen gegen Moskau im Schwarzen Meer auf den nördlichen Teil des Meeres beschränkt. So nah an der türkischen Küste schlugen die Ukrainer bisher nie zu.

Teil des russischen Ölhafens Noworossijsk am Schwarzen Meer (Archivbild)

© Reuters/Caspian Pipeline Consortium (CPC)

Jetzt habe Kiew die Taktik geändert, sagt der Istanbuler Sicherheitsexperte Yörük Işık. Der Westen habe die Ukraine aus Furcht vor höheren Ölpreisen lange davon abbringen wollen, den russischen Ölhandel im Schwarzen Meer anzugreifen, sagt Işık dem Tagesspiegel.

Jetzt mache Kiew nicht mehr mit: Die Ukraine wolle ihre militärischen Fähigkeiten demonstrieren und habe die Tanker der Schattenflotte als Ziele ausgewählt, weil die Schiffe vom Westen mit Sanktionen belegt seien. Die Partner der Ukraine seien aufgefordert, ebenfalls mehr zur Durchsetzung der Sanktionen zu tun.

Neue Drohne hat 1500 Kilometer Reichweite

Kiew ist mit den Ergebnissen des Angriffs zufrieden. Die beiden lahmgelegten Tanker hätten russisches Öl im Wert von fast 70 Millionen Dollar zu den Abnehmern bringen können, wenn sie nicht getroffen worden wären, zitierte die ukrainische Zeitung „Kyiv Independent“ einen Vertreter der Sicherheitsbehörden.

Der Öltanker „Kairos“ aus Gambia ist mutmaßlich für Russland und dessen Schattenflotte unterwegs.

© Reuters/Yoruk Isik

Işık sieht die Angriffe als „perfektes Beispiel für asymmetrische Kriegsführung“. Die Drohnen seien als Waffen relativ billig, könnten dem russischen Ölhandel aber großen Schaden zufügen. Zudem habe die Ukraine darauf geachtet, das Risiko einer Verschmutzung des Meeres kleinzuhalten, indem leere Tanker ins Visier genommen wurden.

Erst vor wenigen Wochen hatten die ukrainischen Streitkräfte eine neue Version der Drohne „Sea Baby“ mit einer auf 1500 Kilometer erhöhten Reichweite vorgestellt.

Für die Türkei ist es sehr wichtig, dass dieser Krieg möglichst bald endet.

Yörük Işık, türkischer Sicherheitsexperte

Auch die Türkei, die als Vermittlerin im Ukraine-Krieg mehrere russisch-ukrainische Gesprächsrunden in Istanbul organisiert hat, gerät durch den Angriff auf die Schiffe unter Druck. Das Außenamt in Ankara sprach nach den Explosionen von „ernsthaften Risiken“ für die Schifffahrt, das Leben der Seeleute und die Umwelt.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte vor zwei Wochen in Ankara mit dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj konferiert und wirbt für ein russisch-ukrainisches Gipfeltreffen auf türkischem Boden.

Schon vor den Angriffen auf die Tanker sei sein Land als südlicher Anrainer des Schwarzen Meeres von Minen und elektronischen Störmanövern Russlands betroffen gewesen, sagt Işık. „Für die Türkei ist es sehr wichtig, dass dieser Krieg möglichst bald endet.“

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