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Collage aus Bildern von Donald Trump und Mark Rutte vor einer Flagge die einen MIx aus Nato-, EU- und US-Flagge abbildet.

© Gestaltung: Tagesspiegel/Fotos: IMAGO/Sem van der Wal, IMAGO/ZUMA Press Wire/Michael Brochstein

Nato-Gipfel in Den Haag: Die große Trump-Appeasement-Show

Auf Beistand durch die USA kann sich Europa nicht mehr verlassen. Um ihn werben muss es beim Nato-Treffen trotzdem. Gefragt ist Anbiederung an Trump – die Arbeit beginnt nach dessen Abreise.

Anja Wehler-Schöck
Ein Kommentar von Anja Wehler-Schöck

Stand:

Mark Rutte ist ein cleverer Stratege. So kurz wie möglich will der Nato-Generalsekretär den Gipfel halten, der an diesem Dienstag in Den Haag beginnt. Nur zweieinhalb Stunden werden die Staats- und Regierungschefs der 32 Mitglieder planmäßig aufeinandertreffen.

Rutte will einen Wutanfall des US-Präsidenten verhindern – um (fast) jeden Preis. Würde Donald Trump in Rage den Rückzug seines Landes aus der Nato verkünden, wäre das für den Westen ein fatales Signal an seine Feinde.

Streitthemen wie die Zukunft der Ukraine klammert Rutte daher aus. Selbst die Lage in Nahost soll keine zentrale Rolle spielen. Die Nato konzentriere sich schließlich auf den euroatlantischen Raum, sagt ihr Generalsekretär. Ob er damit durchkommt, ist allerdings fraglich.

Denn die europäischen Partner sind irritiert. „Europa kann nicht helfen.“ Mit diesen Worten hatte Trump ihre diplomatischen Bemühungen mit dem Iran lapidar abgetan – und sich stattdessen für den Kriegseintritt der USA entschieden.

In so mancher europäischen Hauptstadt wird man sich gerade fragen: Zieht uns der Präsident, der angetreten ist, um alle Kriege zu beenden, in eine militärische Konfrontation mit dem Iran hinein?

Gut möglich, dass Trump schon bald nicht mehr reicht, was Rutte als plakativen Erfolg des Gipfels feiern will: die Einigung auf ein „Fünf-Prozent-Ziel“. Der US-Präsident soll sehen, dass die Europäer seine Forderung nach höheren Verteidigungsausgaben ernst nehmen und es als seine Errungenschaft verbuchen.

Die eigentliche Arbeit beginnt für Europa also, sobald Trump wieder abgereist ist.

Anja Wehler-Schöck über den Nato-Gipfel

3,5 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung wollen die Nato-Mitglieder künftig für Verteidigung ausgeben plus 1,5 Prozent für sicherheitsrelevante Infrastrukturmaßnahmen. Ausnahmen für finanzschwache Bündnispartner wie etwa Spanien soll es nicht geben. Wohl aber für ein Land: nämlich die USA. „Wir nicht, aber die anderen schon“, sagt Trump unumwunden.

Gefragt ist Anbiederung an Trump

Statt als Ort des strategischen Austauschs auf höchster Ebene zu dienen, wird der Nato-Gipfel somit zur Trump-Appeasement-Show. Gefragt ist Anbiederung – an einen US-Präsidenten, der weder für die Werte steht, zu deren Verteidigung die Nato gegründet wurde, noch die Einschätzung des Bündnisses mit Blick auf die strategische Bedrohung durch Russland teilt.

Nato-Generalsekretär Mark Rutte (links) im März 2025 bei Donald Trump im Weißen Haus.

© Imago/CNP/AdMedia

Der rechtskonservative US-Thinktanker Sumantra Maitra skizzierte Anfang 2023 das Konzept einer „ruhenden Nato“. Bei diesem Szenario wären die USA zwar noch Nato-Mitglied, hätten in Europa jedoch keine nennenswerten Truppen stationiert und trügen zur Verteidigung des Kontinents nicht mehr wesentlich bei.

Diese Vorstellung wirkt heute nicht mehr abwegig. Im Gegenteil. Nach dem Nato-Gipfel will die US-Regierung mit Gesprächen über den Abzug von Truppen aus Europa beginnen. In einem internen Pentagon-Memo, das Ende März geleakt wurde, schrieb US-Verteidigungsminister Pete Hegseth: Dass die USA Europa im Falle eines militärischen Vorstoßes Russlands substanziell oder überhaupt unterstützen würden, sei unwahrscheinlich.

Das heißt im Klartext: Für die Trump-Administration steht die Beistandspflicht gemäß Artikel 5 des Nato-Vertrags zur Disposition. Anders als für frühere US-Regierungen stellt die Verteidigung Europas für sie keinen Wert an sich dar. Alles ist Teil der Verhandlungsmasse.

Ist es für die europäischen Nato-Mitglieder also noch sinnvoll, um einen Partner zu buhlen, den man nicht mehr an seiner Seite weiß, auf dessen Wort man sich nicht mehr verlassen kann? Die nüchterne Antwort lautet: Europa hat derzeit keine andere Wahl. Denn den Europäern fehlen zur eigenen Verteidigung bislang entscheidende Fähigkeiten. Unter anderem bei der Aufklärung, bei der Flugabwehr, der Luftbetankung und der Satellitenkommunikation werden die Europäer noch auf Jahre auf die USA angewiesen sein.

Europa hat sich durch Jahrzehnte der Trägheit in einen Zustand äußerster Verwundbarkeit manövriert. Er muss so schnell wie möglich beendet und die europäischen Fähigkeitslücken geschlossen werden.

Allein durch höhere Ausgaben wird das nicht gelingen. Europa muss nicht nur mehr, sondern vor allem auch besser in seine Verteidigung investieren. Ziel müssen gemeinsame Standards, Beschaffung und Strategie sein.

Die eigentliche Arbeit beginnt für Europa also, sobald Trump wieder abgereist ist. Scheitern die Europäer an diesen Aufgaben, droht sich Ruttes Prophezeiung zu erfüllen: „Wenn wir jetzt nicht aufrüsten, müssen wir in vier oder fünf Jahren Russisch lernen oder nach Neuseeland auswandern.“

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