
© dpa/EPA/Pool/Abir Sultan
Netanjahu ruft Iraner zur Rebellion auf: Das nutzt den Mullahs und schadet der Opposition
Israels Premier ermuntert das iranische Volk, sich gegen ihre Führung zu erheben. Doch das gibt den Herrschern die Möglichkeit, jeden Widerstand als von außen gesteuert zu diskreditieren.

Stand:
Grüße aus Jerusalem an das stolze iranische Volk – mit diesen Worten beginnt Benjamin Netanjahu am Dienstag eine knapp fünfminütige Videobotschaft. Und die hat es in sich.
Es ist nicht das erste Mal, dass Israels Premier zur Rebellion gegen die Führung in Teheran aufruft. Doch dieses Mal tut er es ganz unverhohlen.
Die Menschen sollten auf die Straßen gehen, gegen die Tyrannei protestieren und ebenso „kühn wie mutig“ ihre Freiheit erkämpfen. „Lasst nicht zu, dass diese fanatischen Mullahs euer Leben auch nur eine Minute länger ruinieren.“
Das wünscht sich eine Mehrheit im Iran schon seit vielen Jahren. Doch Netanjahus Aufruf zum Umsturz schadet der Opposition – und nützt den Machthabern.
Auch dass Israels Regierungschef seinen Appell mit einem Angebot der besonderen Art flankiert, ändert daran wenig: Der jüdische Staat würde mit seinem Wissen dem Iran helfen, die extreme Wasserknappheit zu beenden, unter der das Land in diesem Sommer besonders leidet.
Eine brutale Unterdrückungsmaschinerie
Das mag für viele Iranerinnen und Iraner angesichts der verheerenden Lage zunächst verlockend klingen. Die Staudämme sind leer, die Wasserspeicher auch. Immer wieder fällt der Strom aus.
Nur: Vom Schreibtisch in Jerusalem aus lässt sich leicht gegen die Mächtigen wettern. Ganz anders sieht es aus, wenn man im Iran selbst aufbegehrt.
Jede Form von Kritik wird damit zur Gefahr für Leib und Leben. Weil die Staatsmacht sie als vom ,zionistischen Erzfeind’ gesteuerten Widerstand diskreditiert.
Christian Böhme über die Folgen von Netanjahus Aufruf
Denn dort wird mit aller Gewalt jede Form von Widerstand gebrochen. Die Unterdrückungsmaschinerie war schon immer brutal und gnadenlos – jetzt hat sie offenkundig eine noch größere Dimension erreicht. Just am selben Tag, an dem Netanjahu auf Sendung ging, wurde das Ausmaß der Repression vom Regime selbst mit Zahlen belegt.
Ein Polizeisprecher sagte, allein während des Zwölftagekriegs gegen Israel vom 13. bis 25. Juni seien 40.000 Sicherheitskräfte rund um die Uhr im Einsatz gewesen, es habe in dieser Zeit etwa 21.000 Festnahmen gegeben.
Die willkürlich verhängten Todesurteile und vollstreckten Hinrichtungen wurden nicht erwähnt. Doch sie sind fester Bestandteil der Abschreckungsstrategie der Herrscherclique.
Was der Polizeisprecher mit einschüchternder Absicht allerdings kundtat, ist der Grund für Hunderte Festnahmen: Die „Verdächtigen“ seien wegen Spionage im Auftrag Israels sowie unerlaubter Foto- und Videoaufnahmen inhaftiert worden. Sie hätten sich als Kollaborateure und Agenten des Mossad des Hochverrats schuldig gemacht.
Das zeigt zum einen, wie weitgehend der israelische Geheimdienst die Islamische Republik infiltriert hat – und wie sehr das die Mullahs erschüttert.
Eine Steilvorlage für die Mullahs
Zum anderen dienen solche Anschuldigungen dem Sicherheitsapparat als willkommener Vorwand, gegen jede Form „unbotmäßigen“ Verhaltens vorzugehen. Sogar Telefonate mit Verwandten im Ausland können einem zum Verhängnis werden.

© Imago/Abacapress/SalamPix
Jede Form von Kritik wird damit zur Gefahr für Leib und Leben. Weil die Staatsmacht sie als vom „zionistischen Erzfeind“ gesteuerten Widerstand diskreditiert.
Deshalb ist Netanjahus Aufruf zum Aufstand eine Steilvorlage für die Mullahs: Seht her, der Feind will die rechtmäßige Regierung stürzen. Wer dabei mitmacht, gehört ins Gefängnis oder an den Galgen.
Die meisten Iranerinnen und Iraner werden das zwar für Propaganda halten. Dennoch macht es Israels Premier dem Regime leicht, die Opposition und ihren Wunsch nach Freiheit als von außen gesteuert zu denunzieren.
Würden die Gegner der Führung in Teheran auf Netanjahus Videobotschaft antworten, sie täten es wohl mit dem Ausdruck großen Bedauerns: Grüße aus dem Iran, du hast unserem Anliegen leider geschadet.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false