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Israels Armee soll dauerhaft in Teilen des Gazastreifens bleiben.

© AFP/Menahem Kahana

Netanjahu will Gaza dauerhaft besetzen: Kommen jetzt die israelischen Siedler zurück?

Israel will die Offensive in Gaza ausweiten. Die Radikalen in der Regierung scheinen darin eine Chance zu sehen, dauerhaft im Küstenstreifen zu bleiben. Was das bedeutet, erklären Experten.

Stand:

Für Bezalel Smotrich ist die Sache klar. „Wir werden den Gaza-Streifen endlich besetzen“, sagte der scharf rechte, israelische Finanzminister am Montag. Und: Die Israelis sollten keine Angst vor dem Wort „Besatzung“ haben.

Am Sonntagabend hatte das israelische Sicherheitskabinett für die Ausweitung des Krieges in Gaza gestimmt. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte dazu am Montag, dass das israelische Militär künftig dauerhaft in eroberten Gebieten stationiert werden soll, bis die Terrororganisation Hamas besiegt und die verbliebenen israelischen Geiseln befreit seien. Zuvor war bereits die Mobilisierung Zehntausender Reservisten beschlossen worden.

Außerdem kündigte Netanjahu an, dass ein Teil der palästinensischen Bevölkerung umgesiedelt werde, besonders vom Zentrum in den Süden des Gazastreifens. Zum eigenen Schutz der Palästinenser in diesen Gebieten, argumentierte der Premier.

Die Radikalen sehen eine Chance zur Wiederbesiedlung gekommen

Die Radikalen im israelischen Kabinett scheinen nun, 20 Jahre nach dem Abzug des jüdischen Staates aus dem Gazastreifen, ihre Chance zu sehen, diesen wiederzubesiedeln. Smotrich etwa gehört zur israelischen Siedlerbewegung.

2005 war Israel nach jahrelanger Besetzung aus dem Gazastreifen abgezogen und hatte die 21 Siedlungen dort geräumt. Damals sprach sich eine Mehrheit der Israelis für die Aufgabe der Siedlungen und den Rückzug aus dem notorisch unruhigen Küstenstreifen aus. In den Jahren danach fand man sich damit ab, dass es immer wieder wechselseitigen Beschuss gab.

Doch dann kam der 7. Oktober, bei dem die Hamas ein Massaker in Israel verübte, mehr als 1200 Israelis tötete und mehr als 250 Menschen verschleppte. Es wurde deutlich: Das Sicherheitskonzept mit einem bewachten Zaun ist nicht aufgegangen – und die Hamas nicht einzudämmen.

Die große Frage war seitdem, wie eine Zukunft des Gazastreifens aussehen kann. Ein schlüssiges Konzept, auf das sich alle Seiten einigen können, ist nicht in Sicht.

Seit Beginn des Krieges gegen die Islamisten haben vor allem die rechten bis rechtsextremen Politiker in Netanjahus Regierung immer wieder davon gesprochen, Gaza wieder besiedeln zu wollen. Finanzminister Smotrich sagte am Montag etwa: „Wir werden Gaza besetzen, um zu bleiben. Es wird kein Rein- und wieder Rausgehen geben.“

Offizielles Ziel der Regierung ist das zwar bislang nicht. Doch einen Plan für die Zukunft Gazas gibt es ebenso wenig und eine militärische Besatzung könnte zumindest darauf hindeuten, dass man längerfristig in Gaza zu bleiben gedenkt.

Im Moment scheint eine Wiederbesiedlung keine Priorität für die Regierung zu sein. Aber mit der Zeit wird die Wahrscheinlichkeit, dass diese eintritt, immer größer.

Nimrod Goren, Präsident und Gründer von Mitvim, dem israelischen Institut für regionale Außenpolitik.

„Im Moment scheint eine Wiederbesiedlung keine Priorität für die Regierung zu sein. Aber mit der Zeit wird die Wahrscheinlichkeit, dass diese eintritt, immer größer“, sagt Nimrod Goren, Präsident und Gründer von Mitvim, dem israelischen Institut für regionale Außenpolitik. Die Zustimmung der Regierung zu den Kriegsplänen entspreche „den ideologischen Bestrebungen der meisten Koalitionspartner, die eine fortgesetzte israelische Präsenz im Gazastreifen und eine höhere Kampfintensität dort anstreben“, sagt er.

Netanjahus Plan sorgt für Bestürzung bei den Angehörigen der Geiseln

Netanjahus Plan sorgt bei den Angehörigen der noch in Gaza verbliebenen Geiseln für Bestürzung. Schon seit Beginn des Krieges ist deren Schicksal immer wieder Streitpunkt.

Netanjahu wurde von Beginn an vorgeworfen, dass er nicht genug für die Freilassung der Festgehaltenen tue, in Israel gibt es deshalb fortlaufend große Proteste. 59 von ihnen sollen sich noch in Gaza befinden, rund 20 von ihnen noch am Leben sein.

Es ist schwer vorstellbar, dass die Hamas am Ende nicht mehr in irgendeiner Form existieren wird.

Paul Salem, Vizepräsident für internationales Engagement am Middle East Institute (MEI) in Washington

In der vergangenen Woche hatte Netanjahu tatsächlich betont, dass die Befreiung der Geiseln zwar wichtig, aber der Sieg über die Hamas das oberste Ziel sei. Ob dies zu erreichen ist, wird von vielen Beobachtern bezweifelt.

Die Hamas ist immer noch präsent im Gazastreifen. „Israel führt seit anderthalb Jahren Krieg, um die Hamas zu eliminieren, und es ist ihnen nicht gelungen“, sagt Paul Salem, Vizepräsident für internationales Engagement am Middle East Institute (MEI) in Washington. „Es ist schwer vorstellbar, dass die Hamas am Ende nicht mehr in irgendeiner Form existieren wird.“

Seit Wochen verhandeln Israel und die Hamas über ein Geiselabkommen, nachdem die im Januar ausgehandelte Waffenruhe einige Wochen später von Israel wieder gebrochen wurde.

„Die israelische Seite will die Geiseln und sie will, dass die Hamas eliminiert wird“, sagt Paul Salem. „Aber die Hamas wird nicht über ihre eigene Beseitigung verhandeln, und sie will die Geiseln nicht aufgeben. Denn das ist das einzige Druckmittel, das sie haben.“ Die Islamisten wiederum fordern einen Abzug der israelischen Truppen aus dem Gazastreifen.

Die Motivation hinter der neuen Ankündigung durch die Regierung könnte aber auch mit Donald Trump zu tun haben. Spekuliert wird, dass Israel mit der Ausweitung der Offensive wartet, bis der US-Präsident in der kommenden Woche nach Saudi-Arabien zu einem Gipfel mit Staatsoberhäuptern von Golfstaaten anreist.

Ein Staatsbesuch in Israel ist von Trump, der eine zentrale Figur für den Konflikt ist, nicht geplant. In der Vergangenheit drohte er bereits der Hamas und verlangte, dass diese alle Geiseln freilassen. Er will den Konflikt schnell beendet haben.

Netanjahu lenkte im Januar bei den Geiselverhandlungen ein

Netanjahu lenkte schon vor Beginn von dessen Amtszeit im Januar bei den Verhandlungen um eine Freilassung der Geiseln ein. Daraufhin kam eine brüchige Waffenruhe zustande. Beobachter gehen davon aus, dass nur der US-Präsident Israel noch von dem Besatzungsplan abbringen könne.

„Dass die Pläne im Voraus öffentlich bekannt gegeben werden, spiegelt das Bestreben wider, die Hamas im Hinblick auf den bevorstehenden Besuch von US-Präsident Donald Trump in der Region unter Druck zu setzen, damit sie möglicherweise Vorschlägen zustimmt, die sie bisher abgelehnt hat“, sagt Goren.

Allerdings hatte Trump selbst im Februar angekündigt, den Gazastreifen „übernehmen“ und diesen zur „Riviera des Nahen Ostens“ machen zu wollen. Israels arabische Nachbarn, etwa Jordanien und Ägypten, sollten dafür die im Gazastreifen lebenden Palästinenser aufnehmen. Diese lehnten das ab.

In der Zwischenzeit bedeutet die Ausweitung des Krieges weiteres Leid für die Palästinenser im Gazastreifen. Israel blockiert seit mehr als zwei Monaten die Hilfslieferungen, die humanitäre Krise dort wird immer katastrophaler. Nimrod Goren verweist auch hier auf Trumps Bedeutung für den Prozess.

„Von den Entscheidungen in Washington hängt es ab, wie sich die künftigen Ereignisse in Gaza entwickeln werden – in Bezug auf Kriegspläne, Geiselbefreiung und humanitäre Hilfe“, sagt der Experte. „Die Menschen in Gaza werden mit jedem Tag, an dem der Krieg nicht endet, weiter leiden.“

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