
© IMAGO/SNA/IMAGO/Stanislav Krasilnikov
„Notorisch korrupte Militärpolizei“: Russische Soldaten nutzen im Krieg unerlaubt Privatfahrzeuge – trotz drakonischer Strafen
Weil es an Militärfahrzeugen fehlt, verwenden russische Soldaten Privatfahrzeuge. Der Preis ist hoch. Werden sie von der russischen Militärpolizei erwischt, drohen Strafen und Zwangsversetzungen.
Stand:
Weil es den russischen Truppen in der Ukraine offenbar immer häufiger an funktionsfähigen Militärfahrzeugen mangelt, nutzen Soldaten nun anscheinend vermehrt Privatfahrzeuge. Das berichtete der Militärblogger und Autor „ChrisO_wiki“ unter Berufung auf Berichte russischer Soldaten am Freitag via X.
Die Vehikel stammen entweder aus dem Privatbesitz russischer Soldaten oder sie wurden den Einheiten von der Zivilbevölkerung vor Ort geschenkt, berichtet der Militäranalyst. Obwohl die Fahrzeuge „für die Logistik und den Transport auf dem Schlachtfeld“ unverzichtbar seien, werde seitens der Militärverwaltungen „hart gegen deren Einsatz vorgegangen“, heißt es weiter.
„ChrisO_wiki“ beruft sich auf einen Bericht der russischen Militärbloggerin Anastasia Kaschewarowa, die einen Vorfall aus dem „nördlichen Militärbezirk“ schildern soll. Demnach habe die neue Militärverwaltung in dieser Region eine Anordnung erlassen, die den Einsatz von nicht genehmigten Privatfahrzeugen strikt untersagt und deren Beschlagnahmung vorsieht.
Wenn wir keine Munition und kein Personal liefern, wird jemand an vorderster Front ohne Unterstützung dastehen.
Russischer Soldat
„Ab dem 27. November wird jedes humanitäre Fahrzeug ohne Registrierung angehalten und beschlagnahmt“, so Kaschewarowa. Dem Beschluss folgend sollen der Fahrzeugführer oder der zuständige Befehlshaber im Falle eines Verstoßes „zum Angriff geschickt“ werden. „ChrisO_wiki“ zufolge sei diese „deutliche Verschärfung“ der russischen Militärverwaltung nicht nur als „kontraproduktive Strategie“ zu werten – für die Soldaten sei sie gleichzusetzen mit „einer Hinrichtung“.
Russische Soldaten bauen Kleintransporter um
In einem kurz zuvor veröffentlichten Bericht über den Einsatz von Privatfahrzeugen an der russischen Front beruft sich der Militärblogger auf die Schilderungen eines nicht namentlich erwähnten russischen Soldaten. Der Mann berichtet, dass viele der zivilen Kleintransporter mit Geldern von den Soldaten, deren Familien oder Freunden gekauft worden seien.
Oftmals handele es sich dabei um „Buggys“ oder alte sowjetische „Buchankas“ (Kleintransporter des Herstellers UAZ), die umgebaut und mit dürftigen Mitteln aufgerüstet wurden, um im Kriegsgebiet militärisches „Personal, Material oder Proviant zu ihren Stellungen zu transportieren“. In sozialen Medien wie Facebook oder X kursieren Fotos von modifizierten, mutmaßlich russischen Fahrzeugen, die an Gefährte aus dem postapokalyptischen Science-Fiction-Film „Mad Max“ erinnern. Unabhängig überprüfen ließ sich das Bildmaterial allerdings nicht.
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Der Soldat schildert weiter, wie er an Kontrollpunkten von Aufsehern zu seinem Privatfahrzeug befragt wurde. Nachdem man dort sämtliche Daten aufgenommen habe, erhalte man bereits am nächsten Tag einen Strafbefehl, der entweder „eine Verwarnung, eine Prämienstreichung oder die Zwangsversetzung in eine Angriffseinheit“ beinhalte.
Der Mann kritisiert das „Dilemma“, mit dem sich russische Soldaten konfrontiert sehen: „Wenn wir keine Munition und kein Personal liefern, wird jemand an vorderster Front ohne Unterstützung dastehen.“ Auch der „Feind in der Nachhut“ werde früher oder später die Destabilisierung bemerken. „Das nennt man Störung eines Kampfeinsatzes“, schließt der Soldat.

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Schikane und Korruption bei der russischen Militärpolizei?
„ChrisO_wiki“ zufolge erfolge die strenge Sanktionierung infolge des Gebrauchs von Privatfahrzeugen aus verschiedenen Gründen. Einerseits würden viele der Fahrzeugkontrollen an den Checkpoints von der russischen Militärpolizei (MP) durchgeführt werden. Diese wiederum liege im ständigen Streit „mit den einfachen Soldaten“ und nutze die Überprüfung für Schikanen jeglicher Art.
Sie versuchten Fahrzeuge zu konfiszieren, in denen die Sanitätskompanie verwundete Soldaten transportiert.
Andrej (russischer Soldat)
Der Militärblogger beschreibt die MP als „notorisch korrupt“. So würden Angehörige der Militärpolizei von Soldaten mitunter „Bestechungsgelder für kleinere Vergehen“ verlangen. Auch die Konfiszierung von Privatautos für den eigenen Gebrauch sei keine Seltenheit.
Ein Soldat, der sich selbst Andrej nennt und im russisch besetzten Teil der ukrainischen Region Saporischschja dient, berichtete einem Korrespondenten des Medienprojektes „Sever.Realii“ vom US-amerikanisch finanzierten Radiosender „Radio Liberty“ von seinen Erlebnissen mit der russischen Militärpolizei.
Demnach sollen Angehörige der MP versucht haben, zwei UAZ-Kleintransporter zu beschlagnahmen, die die Einheit von Zivilisten aus der nordrussischen Hafenstadt Archangelsk geschenkt bekommen habe. „Sie haben sie uns einfach gegeben. Unser Dienstwagen war schon vor langer Zeit kaputtgegangen“, berichtet der Soldat. „Wir bräuchten keine zivilen Autos, wenn wir unsere eigenen militärischen hätten.“
Eines Tages sei die Militärpolizei beim Truppenstandort aufgetaucht, um auf Befehl „alles mitzunehmen, was nicht registriert ist“. Andrej zufolge versuchten sie dabei auch „Fahrzeuge zu konfiszieren, in denen die Sanitätskompanie verwundete Soldaten transportiert.“ Die Soldaten konnten die MP-Angehörigen allerdings auf den nächsten Tag vertrösten. Bevor die Kleintransporter abgeholt wurden, entfernten die Männer die Zündkerzen aus den Fahrzeugen, sodass sie nicht mitgenommen werden konnten.
Warum werden Privatfahrzeuge beschlagnahmt?
Als offizieller Grund für die Beschlagnahmung von Privatfahrzeugen wird angegeben, dass russische Soldaten beim Fahren von zivilen Fahrzeugen Verkehrsunfälle verursachen. Bereits im August berichtete ein russischer Militärblogger einem Korrespondenten von „Sever.Realii“, dass der Auslöser für das rigorose Vorgehen mehrere Autounfälle seien, die von Soldaten mit nicht autorisierten Zivilfahrzeugen verursacht wurden.
„Die Soldaten sind militärisch, aber die Autos sind zivil“, erklärt der Militärblogger. Das Militär sei dazu verpflichtet, im Falle eines Unfalls die Verantwortung und rechtliche Konsequenzen zu übernehmen. „Aber die Armee hat von dem Fahrzeug überhaupt keine Kenntnis.“
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