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Mai 2025. Palästinenser inspizieren die Schäden, die ein israelischer Luftangriff auf mehrere Häuser in einem Lager westlich von Khan Yunis verursacht hat.

© dpa/Abed Rahim Khatib

Nur ein Sohn hat überlebt: Neun Kinder einer Kinderärztin bei israelischem Luftangriff in Gaza getötet

Bei einem Angriff in Khan Yunis tötete die israelische Luftwaffe neun von zehn Kindern einer Kinderärztin, während diese im Krankenhaus arbeitete. Ihr Mann und ein Sohn überlebten den Angriff.

Stand:

Am Freitag sind durch einen israelischen Luftangriff in Khan Yunis neun Kinder einer Kinderärztin getötet worden. Nur ein Sohn und ihr Mann, der ebenfalls Arzt ist, überlebten den Angriff mit schweren Verletzungen, wie mehrere internationale Medien übereinstimmend berichten. Die Kinderärztin, Dr. Alaa al-Najjar, hatte demnach zum Zeitpunkt des Luftangriffs im Nasser-Krankenhaus in Khan Yunis gearbeitet.

Als die Mutter vor ihrem Haus im Süden der Stadt ankam, bargen Rettungskräfte bereits die Leichen ihrer Kinder. Das teilte ihr Schwager, der ebenfalls zum Ort des Geschehens geeilt war, der New York Times mit. „Wir hatten drei verkohlte Leichen geborgen und waren dabei, die vierte herauszuziehen“, fuhr er fort. „Sie erkannte sie sofort.“

Angaben der Gesundheitsbehörden in Gaza zufolge konnte zu Beginn der Tod von sieben Kindern festgestellt werden. Der Tod zwei weiterer vermisster Kinder wurde mittlerweile bestätigt. Alaa al-Najjars getötete Söhne und Töchter waren zwischen sieben Monaten und zwölf Jahren alt.

Am Ort des Geschehens entdeckte der Schwager seinen jüngeren Bruder und Mann der Ärztin sowie das einzige Kind, das den Luftangriff überlebt hatte.

Dem Guardian berichtete er: „Als ich ankam, war ich schockiert. Ich fand meinen Neffen Adam, der überlebte und auf der Straße unter den Trümmern lag. Er war mit Ruß bedeckt, seine Kleidung war fast zerrissen, aber seine Seele war noch in ihm. Mein Bruder lag auf der anderen Seite, blutete stark aus Kopf und Brust, und sein Arm war abgetrennt. Er atmete noch – mühsam.“

Ahmed al-Farra, Leiter der Kinderstation des Nasser-Krankenhauses und Chef der Mutter, sagte, dass sich der Vater in einem kritischen Zustand mit schweren Hirnverletzungen befinde. Der elfjährige Sohn befinde sich in mittelschwerem Zustand, fügte er hinzu.

Wie konnte das Haus der Familie Najjar angegriffen werden?

Der New York Times teilte das israelische Militär in Bezug auf den Fall der Familie al-Najjar mit, dass es „eine Reihe von Verdächtigen“ in einem Gebäude in der Nähe israelischer Streitkräfte in Khan Yunis angegriffen habe, jedoch noch prüfe, ob „unbeteiligte Zivilisten zu Schaden gekommen“ seien.

Der Schwager der Mutter berichtete der New York Times, das Haus der Familie Najjar sei nicht direkt getroffen worden. Im Nachbargebäude seien Autoreifen gelagert worden, sagte Schwager Ali al-Najjar, und diese seien durch die Explosion in Brand geraten. Das Feuer habe sich schnell auf das Haus der Familie ausgebreitet, vermutete er.

Kaum sichere Schutzzonen in Gaza

Das israelische Militär hat seit Dezember 2023 viele Palästinenser im Gebiet Khan Yunis aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen – andernfalls drohten potenziell tödliche Angriffe. Israelische Offizielle sagen, diese Maßnahmen zeigten, wie sehr man sich bemühe, die Zivilbevölkerung im Gazastreifen in diesem Krieg zu schützen.

Doch die sogenannten „sicheren Zonen“ im Süden des Gazastreifens, in die Menschen aus Khan Yunis fliehen sollten, sind stark überfüllt und bieten oft keine ausreichende Versorgung mit Wasser, Nahrung oder medizinischer Hilfe. Weiterhin griff das israelische Militär auch sogenannte „sichere Zonen“ bereits aus der Luft an.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO und das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF betonten, dass es daher im Gaza-Streifen keine sicheren Zonen gäbe. Norwegian Refugee Council (NRC) und International Rescue Committee (IRC) wiesen wiederholt darauf hin, dass die sogenannten sicheren Zonen keine notwendigen Bedingungen für menschliches Überleben bieten würden.

Der Schwager der Kinderärztin berichtete der New York Times, die Familie Najjar sei dem Evakuierungsaufruf des israelischen Militärs nicht gefolgt. Er sagt, die Familie sei in ihrem Haus geblieben, weil sie nicht in der Lage gewesen sei, ihre zehn Kinder – darunter ein Säugling – in ein überfülltes Zeltlager ohne Versorgungsinfrastruktur zu bringen.

Zudem seien sie nicht überzeugt gewesen, dass es anderswo in Khan Yunis sicherer gewesen wäre, fügte er hinzu. „Zu Hause hatten sie Wasser, sie hatten Solarpanels mit Stromversorgung.“

Die neue israelische Offensive bedroht auch die Zivilisten in Gaza

Der tödlichste Krieg in der Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts hat laut dem Gesundheitsministerium in Gaza bereits mehr als 50.000 Menschen im Gazastreifen das Leben gekostet. Die veröffentlichten Opferlisten umfassen Tausende Kinder. Nicht nur aktiver Beschuss, auch der Hungertod droht zehntausenden palästinensischen Kindern.

Eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Untersuchung der New York Times ergab, dass Israel zu Beginn des Krieges seine Einsatzregeln geändert und die Zahl der als akzeptabel gefährdeten Zivilisten bei Angriffen auf militärische Ziele erhöht habe.

In den vergangenen Wochen hat das israelische Militär seine Luftangriffe im Gazastreifen verstärkt und eine großangelegte Bodenoffensive angekündigt. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu begründete diese mit dem Ziel der endgültigen Niederlage der Hamas – der militanten Gruppe, die seit Langem den Gazastreifen kontrolliert.

Doch Kritiker – auch viele in Israel – sagen, der Krieg drohe sich endlos hinzuziehen, ohne dass ein klares Ende in Sicht sei. In der Zwischenzeit steigt die ohnehin schon immense Zahl ziviler Opfer im Gazastreifen weiter an.

(dasa/New York Times/The Guardian/AFP)

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