
© imago/ITAR-TASS/IMAGO/Alexander Patrin
EU-Beobachter zweifeln offizielles Ergebnis an: Wahlkommission erklärt prorussische Regierung zum Sieger in Georgien
Die Lage nach der Wahl in Georgien ist unübersichtlich: Die Regierungspartei feiert ihren Sieg, die Opposition spricht von Wahlbetrug. Wahlbeobachter bestätigen Verstöße.
Stand:
Die Parlamentswahl in Georgien ist nach Ansicht internationaler Wahlbeobachter unter anderem durch „Druck“ auf Wähler beeinträchtigt worden. Der Urnengang sei durch „Ungleichheiten (zwischen den Kandidaten), Druck und Spannungen“ gestört worden, urteilten die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), des Europarats, des Europaparlaments und der Nato am Sonntag in einer gemeinsamen Erklärung.
Sie brachten Bedenken zur Glaubwürdigkeit des offiziellen Ergebnisses zum Ausdruck, das die Moskau-freundliche Regierungspartei zur Siegerin erklärte.
Bei der Parlamentswahl in der Südkaukasusrepublik hat die Wahlkommission die Regierungspartei zur Siegerin erklärt. Die nationalkonservative Partei Georgischer Traum des Milliardärs Bidsina Iwanischwili kam nach Auszählung fast aller Wahlzettel auf 54,09 Prozent der Stimmen, wie Wahlleiter Giorgi Kalandarischwili in der Hauptstadt Tiflis mitteilte.
Nach Auszählung der Stimmen aus 99,6 Prozent der Wahlbezirke fehlten noch einige aus dem Ausland, sagte er. Das vorläufige amtliche Endergebnis stehe deshalb noch aus. Mehrere proeuropäische Oppositionsbündnisse erkennen dieses vorläufige Ergebnis nicht an und haben Proteste angekündigt.
Milliardär Iwanischwili präsentierte sich schon kurz nach Schließung der Wahllokale bei einer Feier mit seinen Anhängern und Feuerwerk in Tiflis als Sieger, ohne dass aussagekräftige Ergebnisse vorlagen.

© AFP/GIORGI ARJEVANIDZE
Die proeuropäischen Oppositionsparteien sprechen von Wahlbetrug und beanspruchen den Wahlsieg für sich. „Wir erkennen die gefälschten Ergebnisse der gestohlenen Wahlen nicht an“, sagte in der Nacht zum Sonntag (Ortszeit) die Chefin der größten Oppositionspartei UNM, Tina Bokuschawa.
Die prowestliche Präsidentin Salome Surabischwili hatte nach der Veröffentlichung von Nachwahlbefragungen erklärt, dass die Opposition summarisch auf 52 Prozent der Stimmen komme und im Parlament eine prowestliche Mehrheit bilden könne. Dagegen sah die Wahlkommission die vier Oppositionsblöcke, die den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schafften, bei über 37 Prozent.
Wahlbeobachter beklagen Wahlrechtsverstöße
In dem Land waren Hunderte Wahlbeobachter von Dutzenden verschiedenen Nichtregierungsorganisationen im Einsatz. Mehrere von ihnen beklagen massive Wahlrechtsverstöße. Die Vereinigung junger georgischer Anwälte Gyla registrierte laut einer Mitteilung zahlreiche Fälle, in denen Personen mehrfach abstimmten.
Wahlbeobachter seien zudem bei ihrer Arbeit behindert worden, teilte Gyla mit. Die Vereinigung forderte, dass die Wahlkommission Klarheit schaffen müsse.
Die vorläufigen Wahlergebnisse spiegelten nicht den Willen der Wähler wider, hieß es in einer Erklärung des proeuropäischen NGO-Bündnisses Myvote, die auch von der georgischen Stelle der bekannten Antikorruptionsorganisation Transparency International verbreitet wurde.
Internationales im Video sehen Sie hier
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) will das Urteil ihrer rund 500 Wahlbeobachter heute bekanntgeben. Wahlrechtsexperten hatten schon im Vorfeld einen Missbrauch staatlicher Ressourcen durch die Regierungspartei beklagt.
Opposition ist zersplittert
Die Opposition in dem Land am Schwarzen Meer ist allerdings zerstritten. Einige Parteien hatten sich zu Wahlbündnissen zusammengeschlossen.
Das Wahlbündnis Einheit, dem auch die bei der Parlamentswahl 2020 größte Oppositionspartei Vereinte Nationale Bewegung (UNM) angehört, erhielt den Angaben der Wahlkommission zufolge rund zehn Prozent der Stimmen. Das Wahlbündnis Koalition für den Wandel ist demnach das stärkste Oppositionsbündnis mit rund elf Prozent der ausgezählten Stimmen. Zwei weitere Blöcke landeten jeweils unter zehn Prozent
Opposition fürchtet Abkehr des Landes vom EU-Kurs
Insgesamt waren rund 3,5 Millionen Georgier im In- und Ausland zur Stimmabgabe aufgerufen. Die Wahlbeteiligung lag nach vorläufigen Angaben bei rund 59 Prozent – drei Prozentpunkte höher als noch 2020.

© imago/Le Pictorium/Jan Schmidt-Whitley
Das Land am Schwarzen Meer hat 3,7 Millionen Einwohner und ist seit Ende 2023 EU-Beitrittskandidat. Der Beitrittsprozess liegt aber wegen umstrittener Gesetze auf Eis. Knapp eine Woche vor der Wahl hatten Zehntausende in Tiflis für eine Annäherung an die EU demonstriert.
Vor allem junge Leute äußern immer wieder den Wunsch, dass Georgien Teil der EU wird. Sie wollen die Visafreiheit erhalten, im Ausland studieren und fürchteten um Einhaltung der Menschenrechte unter der zunehmend autoritären Führung des Georgischen Traums, sagten Studentinnen bei der Demonstration für Europa.
Deutsche Politiker kritisieren Wahlbeeinflussung
Deutsche Außenpolitiker haben massive Wahlrechtsverstöße bei der Parlamentswahl in Georgien beklagt. „Insbesondere auf dem Land wurden Wählerinnen und Wähler massiv unter Druck gesetzt und wir haben schwer wiegende Manipulationen gesehen“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe, der sich derzeit als Wahlbeobachter in Georgien aufhält, dem ZDF.
Der europapolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Gunther Kriechbaum, sagte am Sonntag der Nachrichtenagentur AFP: „Der Wahlkampf war geprägt von Staatspropaganda und Fake-News, in dem Oppositionsparteien so gut wie nicht vorkamen. Die im Raum stehenden massiven Wahlrechtsverstöße verurteilen wir auf Schärfste.“
Kriechbaum forderte, die pro-europäischen Kräfte in Georgien weiter zu unterstützen. „Diese aufzugeben, hieße deren Hoffnungen aufzugeben, eines Tages in einem Land leben zu dürfen, in dem Freiheit, Unabhängigkeit und Rechtsstaatlichkeit selbstverständlich sind“, sagte Kriechbaum. Dies würde letztlich dem russischen Präsidenten Wladimir Putin „in die Karten spielen“.
Georgien ist gespalten
Wenige Tage später waren wieder Zehntausende auf den Straßen der Hauptstadt, diesmal bei einer Kundgebung des Georgischen Traums. Die Partei hatte Busse organisiert, mit denen Menschen aus den teils weit entfernten Regionen des Landes am Schwarzen Meer in die Hauptstadt gefahren wurden.
Die traditionell gespaltene und mit mehreren Wahlbündnissen angetretene Opposition befürchtet, dass sich Georgien unter Führung des in Moskau reich gewordenen Oligarchen Iwanischwili noch stärker dem großen Nachbarn Russland zuwendet und endgültig von seinem EU-Kurs abkommt.
Die von ihm gegründete Regierungspartei Georgischer Traum versprach im Wahlkampf hingegen Frieden und Stabilität – und schürte Ängste vor einem Krieg mit Russland, sollte die Opposition gewinnen. Als Erste gratulierten der ungarische Regierungschef Viktor Orbán und der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev dem Georgischen Traum zum Sieg. (Trf, dpa, Reuters)
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: