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Das polnisch-ukrainische Verhältnis ist angespannt.

© Imago/NurPhoto

Polens Zerwürfnis mit der Ukraine: Die miserable Außenpolitik lässt Warschaus Bedeutung schwinden

Streit um Getreide- und Waffenlieferungen: Polens Regierung verspielt die Chance, Europas Schwerpunkt gen Osten zu verschieben. Ist das alles nur dem Wahlkampf geschuldet?

Ein Gastbeitrag von Piotr Buras

Es war eine verheerende Woche für die polnisch-ukrainischen Beziehungen. Sie begann mit Warschaus Boykott der EU-Entscheidung, das zum Schutz der Landwirte in Polen und vier anderen osteuropäischen Ländern verhängte Embargo für ukrainische Getreideeinfuhren in die EU nicht zu verlängern. Kiew bezeichnete die Schließung der polnischen Grenze als inakzeptabel und verklagte Warschau vor der Welthandelsorganisation (WTO).

Später in der Woche wurde die UN-Generalversammlung Zeuge eines erbärmlichen Wortwechsels zwischen dem polnischen Präsidenten Duda und seinem ukrainischen Amtskollegen Selenskyj. Und auch die Erklärung des polnischen Premiers Morawiecki, Polen werde keine weiteren Waffen an die Ukraine liefern und stattdessen in seine eigene Verteidigung investieren, schockierte die internationale Öffentlichkeit.

Noch vor nicht allzu langer Zeit wurde das polnisch-ukrainische Paar als Achse eines neuen Europas gepriesen, das nach dem Ende des russischen Kriegs entstehen würde. Doch nach den Ereignissen der vergangenen Woche scheint dies nur noch eine Wunschvorstellung zu sein.

Das Wahlkampffieber im Vorfeld der Parlamentswahl in Polen am 15. Oktober, bei der viel auf dem Spiel steht, könnte die Nervosität der polnischen Politiker teilweise erklären. Die Regierungspartei PiS läuft Gefahr, ihre Macht zu verlieren und konkurriert mit der rechtsextremen Konföderation um die nationalistischen oder ländlichen Wähler, die Polens Unterstützung der Ukraine zunehmend skeptischer gegenüberstehen.

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So verweisen sie gerne auf die „Verteidigung nationaler Interessen“, auch wenn ihre dramatischen Ankündigungen kaum mit der Realität im Einklang steht. Nehmen wir die Waffenlieferungen: Die polnischen Depots sind fast leer, nachdem Warschau in den vergangenen Monaten fast 400 Panzer und jede Menge Ausrüstung im Wert von rund drei Milliarden Euro in die Ukraine geliefert hat.

400
Panzer und jede Menge Ausrüstung hat Warschau in den vergangenen Monaten an Kiew geliefert.

Dass es nicht mehr viel zu liefern gibt, ist nichts, wofür man sich schämen müsste. Doch dies einfach festzustellen, wäre für das Zielpublikum der PiS weit weniger beeindruckend, als die Bedeutung der Landesverteidigung hervorzuheben und mit anti-ukrainischen Untertönen zu garnieren.

Das vermeintliche Getreideproblem

Auch das Getreideproblem ist ein Beispiel dafür, dass Probleme zu Wahlkampfzwecken beschworen statt gelöst werden. Das Hauptproblem für die polnischen Landwirte sind die sehr niedrigen Getreidepreise. Diese werden jedoch von den internationalen Märkten bestimmt und nicht durch die ukrainischen Importe verursacht.

Experten im Getreidehandel sind der Meinung, dass in diesem Herbst keine größeren Marktverzerrungen aufgrund der ukrainischen Importe zu erwarten sind. Die Wut der Landwirte ist jedoch groß, für differenzierte Botschaften bleibt keine Zeit. Einfacher ist es, Brüssel, Berlin und nun auch Kiew Vorwürfe zu machen.

Die Krise der polnisch-ukrainischen Beziehungen lässt sich jedoch nicht nur mit Wahltaktik erklären. Der Streit ums Getreide zeugt von den strukturellen Herausforderungen für die bilateralen Beziehungen, die sich zwangsläufig aus dem Integrationsprozess der Ukraine in die EU ergeben werden.

Und die negativen Emotionen, die plötzlich zwischen den beiden Hauptstädten ausbrechen, erinnern daran, dass der Krieg und die bemerkenswerte Unterstützung Polens für die Ukraine die seit Langem bestehenden Missstände nicht beseitigt haben. Trotz der romantischen Phase seit Februar 2022 erfordern die Beziehungen zwischen der Ukraine und Polen eine geschickte Diplomatie.

Polens relative Bedeutung für die Ukraine hat abgenommen.

Piotr Buras

Polen als eines der größten EU-Mitgliedsländer und als Fürsprecher der Ukraine trägt in dieser Hinsicht besondere Verantwortung. Doch die miserable Außenpolitik Warschaus schadet sowohl den Ambitionen des Landes als auch der Partnerschaft mit seinem aktuell wichtigsten Nachbarn.

Tatsächlich ist Polens derzeitiger Streit mit der Ukraine zu einem großen Teil das Ergebnis seiner marginalisierten Position in Europa. Die einzigartige Unterstützung für die Ukraine sowie die geografische Lage als logistisches Drehkreuz wertete Polens Rolle in der westlichen Allianz nach dem Ausbruch des russischen Kriegs zunächst auf.

Dauerkonflikt der PiS-Regierung mit der EU

Seit andere Länder hinzugekommen sind und nun auch niederländisches, schwedisches oder deutsches Gerät in die Ukraine geliefert wird, hat Polens relative Bedeutung für die Ukraine abgenommen. Zudem konnte Warschau das Versprechen, den Schwerpunkt Europas nach Osten zu verlagern, nicht einlösen.

Die PiS-Regierung befindet sich in einem Dauerkonflikt mit der EU-Kommission über die Rechtsstaatlichkeit, ihre Beziehungen zu Deutschland sind katastrophal und die regionale Führungsrolle ist eine Illusion.

Auch scheint Kiew den Beziehungen zu Warschau nun weniger Aufmerksamkeit zu schenken und kämpft mit harten Bandagen, wenn es seinen Interessen dient (siehe Getreidekrise).

Die gescheiterte Außenpolitik der PiS

Im Hinblick auf die bevorstehende Debatte über die EU-Reform, die Erweiterung und den Wiederaufbau hat sich die Ukraine wieder auf die Länder konzentriert, die in der EU eine größere Rolle spielen, insbesondere Deutschland. Besonders bitter für Warschau ist Selenskyjs Unterstützungserklärung für den ständigen Sitz Berlins im UN-Sicherheitsrat.

Nein, Polen hat in der Ukraine keine Kehrtwende vollzogen. Doch die gescheiterte Außenpolitik der PiS schränkt den Einfluss und die Wirkung von Kiews wichtigstem Verbündeten stark ein.

Wenn sich der Staub nach der Wahl in Polen gelegt hat, wird die neue Regierung dringend dafür sorgen müssen, dass ihre Partner mehr Gründe haben, Warschaus Positionen zu berücksichtigen. Andernfalls könnte das polnische-ukrainische Zerwürfnis die Bemühungen des Westens im langen Krieg gegen Russland untergraben.

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