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Familienmitglieder und Unterstützer halten ein Foto von Tyre Nichols, der starb, nachdem er von Polizeibeamten aus Memphis verprügelt wurde, während einer Pressekonferenz mit dem Bürgerrechtsanwalt Ben Crump in Memphis, Tennessee.

© AP/dpa/Gerald Herbert

Update

Polizeigewalt in den USA: Der Tod von Tyre Nichols erschüttert und verwirrt

Wieder stirbt ein schwarzer Amerikaner an den Folgen von Polizeigewalt. Auch die Täter sind Schwarze. Waren auch sie Rassisten? Eine Analyse.

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Auf den ersten Blick erinnert vieles an die Tötung von George Floyd. Der war im Mai 2020 gestorben, nachdem ein weißer Polizist 8 Minuten und 46 Sekunden lang auf seinem Nacken gekniet hatte. Er könne nicht mehr atmen, hatte das Opfer mehrere Male gestöhnt, bevor es tatsächlich nicht mehr atmete.

In der Meldung der Polizei hieß es nach dem Tod des Schwarzen: „Mann stirbt nach medizinischem Vorfall während eines Polizeieinsatzes.“

So auch jetzt. In der Stadt Memphis prügeln am 7. Januar fünf Polizisten den unbewaffneten 29-jährigen Tyre Nichols zu Tode. Sie halten ihn bei einer Verkehrskontrolle an, schlagen mit Fäusten, Stiefeln und Schlagstöcken auf ihn ein. Er flieht, wird eingeholt und überwältigt, die Polizisten setzen zusätzlich Elektroschocks und Tränengas ein, treten ihm mehrfach ins Gesicht. Nichols ruft nach seiner Mutter.

Tyre Nichols war Vater eines vierjährigen Sohnes, lebte bei seiner Mutter und seinem Schwiegervater, arbeitete bei FedEx, liebte Sonnenuntergänge und Fotografie.

Das löste wochenlange, zum Teil gewaltsame Proteste aus

Am vergangenen Freitag wurden erstmals Videos des Gewaltverbrechens gezeigt, aufgenommen von polizeilichen Körperkameras und von einer Überwachungskamera. Entsetzen und Empörung sind groß. In Boston und New York, Memphis, Philadelphia und Washington gehen Menschen auf die Straße. Dennoch kommt es nicht zu einer nationalen Protestbewegung mit einer Vielzahl von Teilnehmern.

Woran liegt das? Die Transparenz der Polizeibehörde im Umgang mit der Tat ist ein erster Unterschied zum Fall Floyd. Dessen Tötung wurde nur deshalb bekannt, weil ein 17-jähriges Mädchen alles mit ihrem Handy aufnahm und das Video anschließend auf Facebook veröffentlichte. Das löste wochenlange, zum Teil gewaltsame Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus aus.

Diesmal dagegen wird schnell und entschlossen reagiert. Die fünf beteiligten Polizisten werden festgenommen und angeklagt. Ihnen wird Mord zweiten Grades, schwere Körperverletzung und Entführung zur Last gelegt. Mord zweiten Grades ist im Bundesstaat Tennessee, in dem Memphis liegt, eine Zwischenstufe zwischen Mord und Totschlag.

Am Montag (Ortszeit) gab die Polizei in Memphis die Suspendierung von zwei weiteren Beamten bekannt. Die Feuerwehr der US-Stadt habe zwei Rettungssanitäter und die Fahrerin eines Rettungswagens entlassen, weil sie den verletzten Nichols nicht angemessen medizinisch versorgt haben sollen, teilte die Feuerwehrchefin.

Sie sind berüchtigt für harte, manchmal brutale Methoden

Die Sondereinheit „Scorpion“, der alle fünf beschuldigten Polizisten angehörten, wird umgehend aufgelöst. Sie war erst 2021 gegründet worden, um die Kriminalität in besonders betroffenen Vierteln zu bekämpfen. Scorpion steht für „Street Crimes Operation to Restore Peace in Our Neighborhoods“. Ursprünglich bestand sie aus vier Einheiten mit jeweils zehn Sicherheitskräften. Polizeibeamte, die in solchen Einheiten ihren Dienst tun, sind oft in Zivil unterwegs und berüchtigt für harte, manchmal brutale Methoden.

Radley Balko hat sich intensiv mit dem Phänomen der Militarisierung der amerikanischen Polizei befasst. In der „New York Times“ schreibt er: „Die Beweislage ist überwältigend. Solchen Teams zusätzliche Befugnisse, einen Elitestatus und ein vages Mandat zu geben, ist eine Steilvorlage für Missbrauch.“

Sie bezeichnen auch das Vorgehen der fünf schwarzen Polizisten als „rassistisch“

Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen den Fällen Floyd und Nichols betrifft die Hautfarbe der Täter. Bei Floyd waren es vier Weiße, bei Nichols fünf Schwarze. Die besonders toxische Mischung aus Rassismus und Polizeigewalt, die George Floyd das Leben kostete, spielt bei Tyre Nichols allenfalls indirekt eine Rolle.

Die Anwälte von Nichols‘ Familie bezeichnen auch das Vorgehen der fünf schwarzen Polizisten als „rassistisch“, weil sie in einem System arbeiteten, das anti-schwarz sei. Dadurch würden sie sich mitschuldig machen an der Aufrechterhaltung weißer Vorherrschaft. Doch einer solchen definitorischen Ausweitung des Begriffs des Rassismus dürften nicht viele Amerikaner folgen.

Nach einer Zählung der Webseite „Mapping Police Violence“ starben im vergangenen Jahr in den USA 1186 Menschen bei Auseinandersetzungen mit der Polizei. Das ist die höchste Zahl seit zehn Jahren. Das Risiko, von einem Polizisten getötet zu werden, ist für Schwarze 2,5 mal höher als für Weiße.

Als Konsequenz aus der Tötung von Tyre Nichols haben Politiker und Bürgerrechtler an den Kongress appelliert, den „George Floyd Justice in Policing Act“ zu verabschieden. Der Gesetzentwurf, der nach dem Tod von George Floyd eingebracht worden war, sieht eine grundlegende Polizeireform vor. Das Repräsentantenhaus hat ihm bereits zugestimmt, doch im Senat hakt es noch. Nun wird erwartet, dass Präsident Joe Biden den Druck erhöht. Im Senat haben die Demokraten die Mehrheit.

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