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Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu besucht Truppen im Gazastreifen.

© IMAGO/ZUMA Press Wire/IMAGO/Maayan Toaf/Israel Gpo

Pragmatismus statt Gerechtigkeit: Nur Israel kann den Gaza-Krieg beenden – auch wenn es ihn nicht begonnen hat

Die EU will Sanktionen, deutsche Kulturschaffende appellieren an den Kanzler. Israel ist isoliert. Und muss sich bewegen. Es wäre kein Zeichen von Schwäche.

Sidney Gennies
Ein Kommentar von Sidney Gennies

Stand:

Wo soll das enden? Wie soll es enden? Der Krieg in Gaza polarisiert die Welt in einer Art und Weise, die den Blick auf diese beiden eigentlich wichtigen Fragen versperrt.

Während in Gaza Tausende sterben, diskutiert die mediale Öffentlichkeit, wie denn nun genau und in welcher Zahl wirklich gestorben wird. Ob an Hunger oder im Bombenhagel. Und wer daran Schuld trägt.

Israel, weil es die benötigten Hilfen nicht hinreichend zulässt, oder die Hamas, weil sie ihrer Vernichtungsideologie nicht abschwört, die Geiseln nicht freilässt, sich nicht um das Leid der eigenen Bevölkerung schert und das Sterben der Palästinenser für ihre Propaganda nutzt.

Das Schicksal der Geiseln spielt bei den Regierenden immer weniger eine Rolle. Wird höchstens noch genutzt als Rechtfertigung eines Krieges, aus dem viel folgen kann. Nur eines nicht: Gerechtigkeit.

International schwenkt die Stimmung um. Der 7. Oktober 2023 schaffte in dem vielschichtigen und tragischen Konflikt in Nahost auf brutalste Weise einen seltenen Moment der Klarheit. Terroristen der Hamas überfallen Israel, richten unter Zivilisten das größte Massaker an Juden seit dem Holocaust an.

Von den Verblendeten und Antisemiten abgesehen, ist die Solidarität mit dem israelischen Volk damals groß. Die Unterstützung dabei, die Geiseln zu befreien und die Sicherheit des jüdischen Staats wiederherzustellen, wird von den wenigsten infrage gestellt.

Fragen stellen heute viele. Frankreich und zuletzt Kanada wollen Palästina als Staat anerkennen. Die EU-Kommission schlägt Sanktionen gegen Israel vor. Bei seinem Besuch fordert Außenminister Wadephul Israel auf, UN-Helfer in den Gazastreifen zu lassen.

Und mehr als 200 deutsche Kulturschaffende wenden sich in einem offenen Brief an Bundeskanzler Friedrich Merz, fordern ihn auf, Waffenlieferungen an Israel zu stoppen. Keine Extremisten, wie sie teils auf als propalästinensisch verbrämten Protesten in deutschen Innenstädten als Wortführer auftraten. Keine Apologeten des Terrors. Es sind prominente Gesichter einer hilflosen Öffentlichkeit, einer verzweifelten. Menschen, hinter denen sich viele versammeln können.

Die Solidarität mit Israel ist Empörung gewichen über das unfassbare Leid, das aus einem Krieg folgt, der längst nicht mehr der Sicherheit des israelischen Volkes dient. Der als Rachefeldzug wahrgenommen werden muss gegen Palästinenser – nicht nur gegen die Hamas. Annexionspläne ultrarechter israelischer Minister inklusive. Das Kalkül der Hamas – das kann man bedauern und anprangern, aber nicht ignorieren – ist aufgegangen. Israel ist isoliert.

Die Empathie findet ihren Weg zu jenen, die als Opfer wahrgenommen werden. Der Zorn richtet sich gegen die, die Macht über andere ausüben. Ist das gerecht? Sicher nicht.

Denn wahr bleibt, dass die Hamas das Leiden sofort beenden könnte, indem sie die Waffen niederlegt und die Geiseln freilässt. Wahr ist aber auch, dass sie das nicht tut. Das Schicksal der Palästinenser ist den Terroristen egal. Einer Demokratie wie Israel darf es nicht egal sein. Ob es nun gerecht ist oder nicht: Die Möglichkeit, das Sterben zu beenden, liegt faktisch bei der israelischen Regierung.

Das ist die moralische Falle, aus der Israel nicht herauskommt. Weil sie auch den Hardlinern um Benjamin Netanjahu nutzt, die vom Narrativ leben, dass ihre Härte der Weg zu Frieden und Sicherheit sei, sodass jedes Weniger an Härte als Einknicken vor der Barbarei der Terroristen wahrgenommen werden müsse.

Deutschland hat bisher gut daran getan, sich mit öffentlichen Ratschlägen zurückzuhalten. Israel muss seinen eigenen Weg aus dem Krieg finden, selbst wenn es ihn nicht begonnen hat.

Dass der aktuelle Weg keiner ist, den die deutsche Öffentlichkeit auf Dauer bereit ist mitzutragen, wird dieser Tage deutlich. Auch die israelische Regierung muss das zu spüren kriegen. Sei es über Sanktionen oder einen Stopp der Waffenexporte. Nicht weil es gerecht wäre, sondern weil es notwendig ist.

Und weil Fragen von Schuld und Gerechtigkeit eben keine Geisel retten und keinen palästinensischen Zivilisten. Es ist die Zeit für radikalen Pragmatismus.

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