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Polizeibeamte setzen einen Wasserwerfer ein, um die Menge während einer Kundgebung von Anhängern der Oppositionsparteien zu zerstreuen.

© REUTERS/IRAKLI GEDENIDZE

Update

Größte Proteste seit Wochen: Polizei geht mit Wasserwerfern gegen Demonstranten in Georgien vor

Die Demonstrationen wegen des Stopps von EU-Beitrittsverhandlungen in der Ex-Sowjetrepublik Georgien schwellen wieder an. In der Nacht wurden mehr als 100 Menschen festgenommen.

Stand:

Die Polizei in der Südkaukasusrepublik Georgien hat nach eigenen Angaben allein in der Hauptstadt Tiflis (Tbilissi) 107 Menschen bei Protesten in der vergangenen Nacht festgenommen. „Ungeachtet der mehrfachen Aufrufe von Vertretern des Innenministeriums, sprengte die Aktion auf dem Rustaweli-Prospekt vor dem Parlamentsgebäude Georgiens mehrfach die vom Gesetz für Versammlungen und Kundgebungen festgelegten Normen“, teilte das Ministerium zur Begründung mit.

Demonstranten hätten Polizisten mit Steinen beworfen, Barrikaden gebaut und Gegenstände verbrannt. Auslöser der Proteste sind die aus Sicht der Opposition gefälschten Wahlen und die Ankündigung der Regierung, die Beitrittgespräche mit der EU auf Eis zu legen.

Die Demonstrationen in der Nacht waren Augenzeugen zufolge die größten in den vergangenen Wochen. Zehntausende sollen sich in Tiflis daran beteiligt haben, auch in anderen Städten wurde demonstriert. Der Unmut ist groß, die Mehrheit der Bevölkerung ist Umfragen zufolge für einen EU-Beitritt, der auch als Ziel in der Verfassung festgeschrieben ist.

Ein Mann schwenkt eine Flagge der Europäischen Union, als sich Demonstranten in der Innenstadt von Tiflis versammeln.

© AFP/GIORGI ARJEVANIDZE

Laut Polizeibericht wurden zehn Beamte bei den Auseinandersetzungen verletzt. Einer davon sei nach wie vor im Krankenhaus. Zur Anzahl der verletzten Demonstranten machten die Behörden keine Angaben. Die Polizei setzte beim Auseinandertreiben der Menge Wasserwerfer und Tränengas ein.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bekundete ihre Solidarität mit den Demonstranten. Diese hätten den Wasserwerfern der Polizei die EU-Flagge entgegengehalten, schrieb sie auf der Plattform X. Der Kandidatenstatus sei für Georgien eine historische Chance. „Es ist an der Regierung, die Stimme ihres Landes zu hören“, forderte sie.

EU hatte den Beitrittsantrag ihrerseits auf Eis gelegt

Der seit Monaten immer wieder aufflammende Protest hat sich diesmal daran entzündet, dass die nationalkonservative Regierung unter Ministerpräsident Irakli Kobachidse Verhandlungen über einen EU-Beitritt auf Eis gelegt hat.

Polizisten eskortieren einen Demonstranten während einer Kundgebung von Anhängern der Oppositionsparteien.

© REUTERS/IRAKLI GEDENIDZE

Vor Ende 2028 werde Georgien nicht mit Brüssel über einen Beitritt verhandeln und bis dahin auch keine Haushaltszuschüsse der EU annehmen.

Er wertete Kritik der EU am zunehmend autoritären Kurs der nationalkonservativen Regierungspartei Georgischer Traum als unangemessenen Druck auf sein Land. Ende Oktober war die Partei zum Sieger der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Parlamentswahl erklärt worden.

Der EU-Botschafter in Georgien, Pawel Herczynski, kritisierte die Gewalt gegen friedliche Demonstranten und nannte die Entscheidung der Regierung in Tiflis sehr bedauerlich. „Was gestern passiert ist, steht klar im Widerspruch zur Politik der vorherigen Regierung Georgiens, ja sogar aller vorherigen Regierungen Georgiens. Es steht auch im Widerspruch zum Willen der überwiegenden Mehrheit der georgischen Bevölkerung.“

Georgischer Gesellschaftsumbau nach russischem Vorbild?

Die EU selbst hatte Anfang des Jahres erklärt, der Beitrittsantrag Georgiens sei als Reaktion auf neue Gesetze gegen „ausländische Agenten“ und LGBTQ-Rechte auf Eis gelegt worden. Diese Gesetze sind Kritikern zufolge drakonisch und von Russland inspiriert und gegen Menschenrechtsgruppen und andere Nichtregierungsorganisationen gerichtet.

Mehr als hundert aktive georgische Diplomaten haben in einem offenen Brief gegen das Aussetzen der EU-Beitrittsgespräche durch die Regierung in Tiflis protestiert. Sie bezeichneten die Entscheidung als verfassungswidrig, sagte ein Diplomat am Freitag der Nachrichtenagentur Reuters.

Einer im Internet verbreiteten Kopie des Schreibens zufolge haben bislang 114 Diplomatinnen und Diplomaten im Außenministerium und in Vertretungen Georgiens im Ausland den Brief unterzeichnet.

Die frühere Sowjetrepublik Georgien hat im Dezember 2023 gemeinsam mit der Ukraine und der Republik Moldau den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten. Das Verhältnis hat sich aber rapide verschlechtert, weil die Regierungspartei zunehmend europakritisch agiert und angeblichen ausländischen Einfluss im Land beschränken will.

Die angestrebte Kontrolle über die Zivilgesellschaft ähnelt dabei den Methoden in Russland. Auch Brüssel hat deshalb die Annäherung auf Eis gelegt. Die Opposition will am Europakurs festhalten. Sie wirft der Regierung vor, ihr Wahlsieg sei nur durch Manipulation erreicht worden. (Trf, dpa, Reuters, AFP)

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