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Russlands Präsident Wladimir Putin beantwortet Fragen von Bürgern.

© AFP/ALEXANDER KAZAKOV

Update

„Es war nicht der strahlende Auftritt der vergangenen Jahre“: Viel Eigenlob, alte Narrative und neue Drohungen bei Putins Jahrespressekonferenz

Ausgewählte Journalisten und Bürger konnten Kremlchef Putin an diesem Freitag wieder ihre Fragen stellen. Für ihn ist die Show ein Forum zur Selbstdarstellung – und zur Rechtfertigung des Ukraine-Kriegs.

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Wladimir Putin war an diesem Freitag überall – im öffentlichen Raum wurde er auf Bildschirmen übertragen, im TV-Studio bekam er mehr als vier Stunden Zeit, um bei seiner traditionellen großen Jahrespressekonferenz Fragen von ausgewählten Menschen zu beantworten. So sieht Volksnähe im Sinne des Kremls aus.

Gleich zu Beginn der Veranstaltung ging es mit Fragen zum Krieg in der Ukraine los. Das Moderatoren-Team fragte Putin, ob Russland seine Ziele in der Ukraine mit militärischen oder diplomatischen Mitteln erreichen wolle und wie er als Oberbefehlshaber die Lage an der Front einschätze.

Russland will den Krieg angeblich „friedlich beenden“

Der Kreml-Chef antwortete wenig überraschend, dass Russland den „Konflikt friedlich beenden“ wolle und behauptete, die Ukraine zeige wenig Bereitschaft für eine friedliche Lösung. Allerdings gebe es inzwischen Signale, dass Kiew offen für einen Dialog sein könnte. Doch vorher müsse sich die Ukraine aus dem Donbass – den Gebieten Donezk und Luhansk – zurückziehen.

Was das heißt: Putins Friedensrhetorik ist an Bedingungen geknüpft. Mit dem Rückzug der Ukraine aus dem Donbass fordert Moskau faktisch die Anerkennung russischer Gebietsansprüche – eine Position, die Kiew bislang kategorisch ablehnt. Russland auf der anderen Seite beharrt auf seinen Maximalforderungen und hat bisher noch nicht mal einer längeren Waffenruhe zugestimmt.

Trotz aller diplomatischer Bemühungen der USA, der Ukraine und Europas greift die russische Armee auch die ukrainische Zivilbevölkerung weiter an.

Putin betonte auch, dass die „Grundursachen“ des Konflikts angegangen werden müssen, und verwies auf eine Rede vom Juni, in der es um prinzipielle Grundsätze ging.

Zur Erinnerung: Bei einem öffentlichen Auftritt drohte er der Ukraine damals mit weiteren Eroberungen – und bestritt erneut die Souveränität des Landes. Daran hat sich nichts geändert.

Was ebenfalls gleich blieb: das Narrativ, mit dem Putin die Invasion der Ukraine im Februar 2022 rechtfertigt. Bei seiner Jahrespressekonferenz sprach er von einem „Staatsstreich“ durch das „Kiewer Regime“ und schob der Ukraine die Verantwortung für den Krieg zu. Faktisch hat Russland 2014 die Krim annektiert, anschließend Separatisten im Osten der Ukraine unterstützt und führt seit 2022 eine Invasion durch.

Optimistisches Bild von der Front

Danach ging es auf der Veranstaltung mit Putin um die Lage an der Front. Der Kreml-Chef zählte eine Reihe angeblicher russischer Erfolge auf dem Schlachtfeld auf. „Die russische Armee rückt entlang der gesamten Frontlinie vor“, sagte er. Der „Feind“ ziehe sich in alle Richtungen zurück, so Putin. Und behauptet etwa, die Stadt Kupjansk, die Russland wieder verloren hat, sei zurückerobert worden.

Was sich dazu sagen lässt: Die Ukrainer haben Rückeroberungen gemeldet und auch der armee-nahe ukrainische Blog „DeepState“ verzeichnet Rückeroberungen. Zwar greift Russland demnach weiter in Richtung der Stadt an – von einer Wiedereroberung kann dennoch bisher nicht die Rede sein. Außerdem kommt die russische Armee nur langsam und unter hohen Verlusten voran.

Er machte sich zudem über ein Video lustig, auf dem sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor dem Eingang der Stadt Kupjansk zeigt, dessen Echtheit Putin anzweifelte, obwohl er es nach eigenen Angaben nicht gesehen hatte.

Selenskyj nannte er einen „talentierten Schauspieler“ – die persönliche Herabsetzung des ukrainischen Staatschefs gehört mittlerweile zu Putins Standardrepertoire.

Russische Verluste wie zuletzt ein U-Boot im Hafen von Noworossijsk oder andere Einrichtungen durch ukrainische Drohnenangriffe kamen nicht zur Sprache. Kurz: Putin behauptet öffentlich, dass alles hervorragend läuft.

An Freiwilligen, die in den Krieg ziehen wollten, mangelt es dem Kreml-Chef zufolge ebenfalls nicht: 400.000 Russen hätten sich in diesem Jahr angeblich für den Einsatz in der Ukraine gemeldet. Besonders viele wollten laut Putin Drohnen steuern.

Was Putin nicht sagt: Mit welchen Methoden und Mitteln die Männer rekrutiert werden. So wird etwa weiterhin Straffreiheit angeboten, wenn Menschen einen Militärvertrag unterschreiben. Außerdem würden „Vermittler“ Prämien erhalten, wenn sie neue Vertragsunterzeichner anwerben. Zudem gibt es auch keine Generalmobilmachung.

Auch der EU-Gipfel, bei dem es um die Nutzung eingefrorenen russischen Vermögens für die Ukraine ging, sei offenbar im Sinne des Kremls verlaufen: Putin sprach von einem gescheiterten Vorhaben, weil es „schwerwiegende Konsequenzen für die Räuber“ gegeben hätte. Er kündigte an, dass Russland seine Interessen vor Gericht verteidigen werde.

Warum die Wirtschaft offenbar nicht wächst

Für den deutlichen Rückgang des Wirtschaftswachstums hatte er ebenfalls eine Erklärung parat: Er bezeichnete ihn als bewusste Entscheidung der staatlichen Führung, um die Inflation einzudämmen. Er verwies darauf, dass das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr voraussichtlich nur um rund ein Prozent wächst – nach 4,3 Prozent im Vorjahr. Diese Verlangsamung sei ein gezielter Schritt von Regierung, Zentralbank und Landesführung.

Russland kämpft angesichts der kriegsbedingten Staatsausgaben und westlicher Sanktionen weiterhin mit hoher Inflation. Die jährliche Teuerungsrate lag im November bei 6,64 Prozent, nachdem sie im Oktober noch 7,71 Prozent betragen hatte.

Das sagt ein Experte zur Putin-Show

Aus Sicht von Fischer Klemens H. Fischer, Professor für Internationale Beziehungen und Geopolitik an der Universität zu Köln, wird die russische Wirtschaft zwar in der Lage sein, den Krieg finanziell noch ein paar Jahre durchzustehen.

Auch die Armee werde wohl noch längere Zeit die personellen Verluste ausgleichen können. Aber der Krieg habe Spuren hinterlassen, die nicht mehr völlig zugedeckt werden können.

Am Ende des vierten Kriegsjahres haben wir die erste Rede von Putin gehört, die von der Siegesansprache zur Durchhalterede mutierte.

Klemens H. Fischer, Professor für Internationale Beziehungen und Geopolitik an der Universität zu Köln

„Am Ende des vierten Kriegsjahres haben wir die erste Rede von Putin gehört, die von der Siegesansprache zur Durchhalterede mutierte“, sagte Fischer.

Insgesamt sei die zentral gesteuerte Veranstaltung ein „Propaganda-Akt nach innen und nach außen“ gewesen. Putin habe deutlich machen wollen, dass Russland nicht aufgeben werde, bis dessen Kriegsziele erreicht seien, sagt der Experte.

„Es war jedoch nicht der strahlende und heroische Auftritt der vergangenen Jahre, sondern eine Vorstellung mit leisen Zwischentönen.“ Fischer verwies beispielsweise auf einen Hinweis aus dem Publikum, dass verschiedene Forschungsprojekte durch die westlichen Sanktionen verzögert worden seien.

„Damit hat Moskau das erste Mal zugegeben – wenn auch nur indirekt –, dass die westlichen Strafmaßnahmen sehr wohl Wirkung zeigen“, analysierte der frühere österreichische Diplomat.

Kritische SMS und unbequeme Fragen

Dass die Putin-Show nicht so rund ablief, wie erhofft, war auch auf der Leinwand zu sehen: Während der Kremlchef sprach, brachten die auf der Leinwand eingehenden SMS im TV-Studio die Inszenierung durcheinander. Immer wieder erschienen verärgerte oder spöttische Kommentare.

Auch die wenigen Fragen von den anwesenden westlichen Journalisten dürften für den Kreml-Chef ungewohnt kritisch gewesen sein. Der NBC‑Korrespondent Keir Simmons fragte Putin etwa, ob er den von Donald Trump mitentwickelten Friedensvorschlag annehmen werde – und ob er sich im Falle einer Ablehnung für weiteres Sterben in der Ukraine verantwortlich fühle.

Putin verneinte jegliche Verantwortung und wiederholte die Behauptung, Russland habe den Krieg nicht begonnen. Er schob die Schuld den Ukrainern, Europäern und Amerikanern zu – obwohl Russland die Ukraine täglich mit Raketen und Drohnen angreift.

Zugleich behauptet er, er habe nie Friedensangebote zurückgewiesen. Beim Alaska‑Gipfel mit Trump habe er einem Vorschlag zugestimmt, nun liege der „Ball“ bei Kiew und dessen Unterstützern. Für den Tod russischer Soldaten fühle er sich ebenfalls nicht verantwortlich.

Auf die Frage des britischen Russland-Korrespondenten Steve Rosenberg zur Zukunft Russlands – über die Verfolgung von Dissidenten, die Abschaltung von mobilem Internet und mögliche weitere militärische Operationen – reagierte Putin verärgert.

Er warf Europa vor, durch seine Politik selbst Spannungen geschaffen zu haben. Und drohte: Es werde keine neuen Militäreinsätze geben, sofern Russland „respektiert“ werde. Gleichzeitig nannte er die Vorstellung eines Angriffs auf Europa „Unsinn“. (mit Agenturen)

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