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Razzien und Abschiebungen in den USA: „Trumps Regierung will, dass wir uns isoliert und machtlos fühlen“
Mit 13 Jahren kommt Cristina Jiménez mit ihrer Familie in die USA. Im Interview spricht sie von einem Aufwachsen ohne gültige Papiere und davon, wie sich das Land unter Trump verändert.
Stand:
Frau Jiménez, Sie kamen mit 13 Jahren aus Ecuador in die USA, ohne gültige Papiere. Gab es jemals einen Moment, in dem Sie dachten: Jetzt werde ich abgeschoben?
Ich lebe mit dieser Angst, immer. Menschen wie ich, die nicht weiß sind, werden in den USA täglich von der Polizei kontrolliert. Oft einzig aufgrund äußerlicher Merkmale oder der Sprache, die wir sprechen.
Mein Vater arbeitete lange auf einer Baustelle, knapp 100 Kilometer von unserer Wohnung in Queens, New York entfernt. Er fuhr montags morgens los und kam erst freitags abends wieder – es wäre zu gefährlich gewesen, jeden Tag hin und her zu fahren. Jedes Mal, wenn er losfuhr, lebten wir mit der Sorge, dass wir ihn nicht wiedersehen.
Kam es jemals zu einer solchen Situation?
Einmal wurde er für eine Polizeikontrolle angehalten. Weil der Beamte feststellte, dass sein Führerschein abgelaufen war, nahm er ihn mit auf die Wache. Von dort aus rief mein Vater mich völlig verängstigt an.
Über das Telefon sprach ich mit dem Polizisten, erinnerte ihn an die Rechte meines Vaters und sagte ihm, dass ein Anwalt auf dem Weg ist. Er ließ meinen Vater schließlich gehen. Situationen wie diese habe ich in all den Jahren mehrfach erlebt. Als junger Mensch habe ich aber auch gemerkt, dass die Stimmung sich vor allem nach dem 11. September veränderte.
Am 11. September 2001 flogen zwei von Terroristen entführte Passagierflugzeuge in die Türme des World Trade Centers, die daraufhin einstürzten. Wie veränderte sich dadurch die Situation der migrantischen Community?
Dieser Tag war traumatisch und schmerzvoll, für uns alle. Meine Familie hatte Nachbarn und Freunde, die in der Nähe des World Trade Centers arbeiteten, die Straßen unseres Viertels waren voller Staub und Rauch.
Für Migranten und nicht-weiße Menschen in den USA war dieser Tag aber auch deshalb traumatisch, weil sich die Politik ab diesem Moment gegen uns richtete. Wir wurden zur Zielscheibe. Beamte der Einwanderungsbehörde ICE kamen in mein Viertel und brachten so die Angst vor Abschiebung und Polizeigewalt näher.
Unsere Demokratie funktioniert nicht mehr so wie vorher.
Cristina Jiménez
US-Präsident Donald Trump schürt Hass gegen Immigranten, lässt sie zu Tausenden abschieben, von maskierten ICE-Beamten und ohne Gerichtsverfahren. Inwiefern ist die Stimmung nach dem 11. September mit der heutigen vergleichbar?
Es gibt definitiv Parallelen: die Bedrohungslage, die ständige Präsenz von ICE, eine Regierung, die nicht-weiße Menschen und Migranten unverhältnismäßig stark attackiert. Aber die Angst ist diesmal noch größer.
Unter der Trump-Regierung werden gerichtliche Entscheidungen ignoriert oder ausgesessen. Unsere Demokratie funktioniert nicht mehr so wie vorher. Was mir aber Hoffnung gibt: Ich sehe jetzt mehr Widerstand gegen Migrations- und Abschiebepolitik aus der Bevölkerung – auch von weißen US-Amerikanern. Vielleicht, weil es sich inzwischen so anfühlt, als könnte sich Trumps Politik gegen jeden von uns richten.

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Es gibt Berichte über ICE-Razzien vor Schulen, Kirchen, Krankenhäusern. Menschen dürfen allein wegen ihres Aussehens angehalten und kontrolliert werden. Abschiebeflüge gehen in autokratisch regierte Länder wie El Salvador oder Venezuela. Wie funktioniert Widerstand unter diesen Bedingungen?
Die Angst, die wir spüren, wird nicht weggehen. Es geht darum, durch die Angst Mut zu finden. Diese Regierung will, dass wir uns isoliert und machtlos fühlen, dass wir unsere Stimme verlieren. Wir müssen uns deshalb noch stärker vernetzen. Ich reise gerade durch das Land und bringe Menschen bei, wie sie sich in ihren Communitys organisieren können.
So können sie Strukturen bilden, um sich für die eigenen Rechte zu sensibilisieren, sich untereinander vor ICE-Einsätzen warnen, juristische Unterstützung organisieren, wenn jemand festgenommen wird, und zu Spenden aufrufen, wenn ein Familienmitglied abgeschoben wurde.
Gibt es in Ihrem Umfeld Menschen, die unmittelbar von einer Abschiebung bedroht sind?
Ich bin die Einzige in meiner Familie mit US-amerikanischer Staatsbürgerschaft. Meine Eltern haben Green Cards – also eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis –, mein kleiner Bruder ist Teil des DACA-Programms, das unter Obama eingeführt wurde und junge Einwanderer vor Abschiebung schützt.
Trump will dieses Programm abschaffen. Sie alle sind deshalb potenziell bedroht. Mein Ehemann ist nur hier, weil ihn vor Jahren, als wir zur Uni gingen, viele Menschen vor seiner Abschiebung beschützt haben – Freunde, Lehrkräfte, sogar ein Kongressabgeordneter. Solche Menschen geben mir Hoffnung.
Gibt es auch Leute, die freiwillig gehen, die sagen: In diesem Land möchte ich nicht mehr leben?
Viele sind vor Diktaturen geflohen, andere – wie meine Familie – vor Armut. Wir sind für den „American Dream“ in die USA gekommen, dem Versprechen, dass jeder hier Wohlstand finden kann. Aber der „American Dream“ ist eine Lüge. Das ist vielen von uns klar geworden.
Wer vor Diktaturen geflohen ist, sieht jetzt die autoritären Tendenzen. Es gibt Leute, die zurück in ihre Heimat gehen. Andere, die nicht zurück können, schauen sich nach anderen Ländern um. Wieder andere bleiben und kämpfen für diesen Ort, den sie Heimat nennen.
Dass dieses Land Donald Trump gewählt hat, werde ich ihm niemals verzeihen.
Cristina Jiménez
Ist die USA für Sie noch Heimat?
Dieses Wort ist für mich mit vielen, widersprüchlichen Gefühlen aufgeladen. Ich habe meine Heimat verloren, als ich mit 13 Jahren mein Elternhaus, meine Familie, mein Essen und meine Sprache in Ecuador zurückgelassen habe. Als ich in New York ankam, war für mich alles fremd und überfordernd.
Am 11. September 2001, wenige Jahre später, habe ich eine tiefe Trauer gespürt und das Gefühl: Das war ein Angriff auf meine Familie, meine Gemeinschaft – und meine Heimat. Zugleich ist diese Heimat ein Ort, an dem man mir durchgängig das Gefühl gibt, nicht gewollt zu sein. An dem es Rassismus gibt, an dem Menschen wie Donald Trump gewählt werden. Ich glaube, das werde ich diesem Land niemals verzeihen.

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Unter den Menschen, die vergangenen November Trump gewählt haben, waren auch viele migrantische Menschen. Er konnte sogar einen Rekordanteil der Latino-Stimmen gewinnen.
Viele Menschen, die inzwischen Staatsbürger sind – auch in meiner eigenen Familie –, fühlen sich nicht verpflichtet zu wählen. Sie haben das Gefühl, dass das System für Menschen der Arbeiterklasse nicht funktioniert, und trauen weder der Republikanischen noch der Demokratischen Partei. Sie fühlen sich auf sich selbst gestellt.
Aber warum dann für Trump stimmen?
Wenn immer mehr Menschen durch die wirtschaftliche Lage unter Druck geraten, ist es leicht, ein einfaches Ziel zum Sündenbock zu machen. Die meisten Latinos und Latinas in den USA beziehen ihre Informationen von YouTube.
Dort gibt es viele Fehlinformationen, Influencer und Medienunternehmen, die Trump unterstützen, machen Migranten für alles verantwortlich, was schlecht läuft. Die Republikaner nutzen Bilder ankommender Migranten immer wieder zur Inszenierung dieses Narrativs. All das spielt eine Rolle dabei, wie Menschen Geschichten und Informationen aufnehmen. Es richtet ihre Wut, ihre Frustration und ihr wirtschaftliches Leiden auf ein Ziel.
Auch Sie dürfen inzwischen wählen, 2019 wurden Sie eingebürgert – unter Präsident Donald Trump. Können Sie kurz beschreiben, wie dieser Tag für Sie war?
Ich hatte gemischte Gefühle. Auf der einen Seite Erleichterung: Staatsbürgerin zu sein, gibt einem etwas mehr Schutz als eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Zumindest dachte ich das damals. Es bedeutete auch, dass ich für meine Eltern eine Green Card beantragen kann, was für mich eine große Erleichterung war. Sie waren damals undokumentiert.
Und auf der anderen Seite?
Da war Frust. Es gibt bei der Zeremonie diesen Moment, in dem ein Video mit der Botschaft des Präsidenten abgespielt wird und man seinen Eid auf die Verfassung ablegen muss – zu dem Zeitpunkt war das Trump. Er sagte in diesem Video, dass wir Einwanderer die Werte dieses Landes lernen und verkörpern müssen, die Werte von Gerechtigkeit und Freiheit. Das sagt uns ausgerechnet der Mann, der erstens selbst nicht nach diesen Werten lebt und das Gesetz schon so offen gebrochen hat, und uns zweitens unsere Freiheiten nimmt.

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Warum ist es so schwierig, eingebürgert zu werden oder eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen?
Ab Anfang des 20. Jahrhunderts war unser Einwanderungssystem so gestaltet, dass Menschen aus Nordeuropa kommen konnten, während der Rest der Welt Quoten hatte. Dieses System beruhte auf einer Ideologie der weißen Vorherrschaft.
Bei Einwanderungspolitik ging es deshalb selten wirklich um Legalität oder um konkrete Maßnahmen. Wir wissen, wie eine Politik aussehen müsste, die unser System menschlicher macht – für die USA und für die Menschen, die hereinkommen wollen. Allein in meiner 20-jährigen Aktivistenlaufbahn habe ich viele Vorschläge auf dem Tisch liegen sehen. Aber es gibt eine Weigerung, eine Vision eines multikulturellen Landes zu unterstützen.

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Trotz jahrelanger strenger Einwanderungspolitik leben in den USA schätzungsweise 11,2 Millionen Menschen, die zwar nicht die nötigen Papiere haben, aber trotzdem zur Schule gehen, arbeiten, Steuern zahlen. Wie ist das möglich?
Das Land braucht Arbeitskräfte. Unsere gesamte Lebensmittelkette wird zum Beispiel durch migrantische Arbeit ermöglicht und getragen – von den Landarbeitern über die Fahrer, die Lebensmittel im Land verteilen, bis zu den Leuten, die die Supermarktregale auffüllen.
Das ist möglich, weil unsere Steuerbehörde Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis eine Steuernummer ausstellt – wie meiner Familie, die all die Jahre, die wir hier leben, Steuern gezahlt hat. Das zeigt die Widersprüche. Man sagt dir: Arbeite hart, zahle Steuern, folge dem Gesetz, dann wird alles gut. Aber im Kern dieses Systems geht es um Profit. Die Trump-Regierung hat damit nun gebrochen und angekündigt, dass sie diese Daten nutzen will, um Menschen ohne Dokumente zu finden.
Ich denke, dieses Trauma wird bei uns einen lebenslangen Schaden hinterlassen.
Cristina Jiménez
Trump wird noch mehr als drei Jahre im Amt bleiben. Welche Auswirkungen könnte das für Migranten in den USA haben?
Die Auswirkungen sind schon jetzt verheerend. Ich bin inzwischen Mutter und denke an meines und all die anderen Kinder, die – ob Einwanderer oder nicht –, aufgrund ihrer Hautfarbe traumatisiert werden, weil sie ständig in Angst leben, von ihren Eltern getrennt zu werden. In Los Angeles sind ICE-Beamte aufgetaucht, um Erstklässler zu verhaften. Erstklässler! Ich denke, dieses Trauma wird bei uns einen lebenslangen Schaden hinterlassen.
Aber noch wichtiger ist für mich, wie die Einwanderungsfrage missbraucht wird, um eine autoritäre Regierung aufzubauen. Das ist für mich die eigentliche Gefahr. Unter demokratischen Bedingungen kann man sich einsetzen, organisieren und kämpfen, es gibt einen gewissen Freiraum für trans Menschen, Migranten, Geflüchtete und entrechtete Gemeinschaften. Unter einem autoritären Regime, in dem genau diese Gemeinschaften im Zentrum der Angriffe der Regierung stehen, ist das viel schwieriger.
Was gibt Ihnen Hoffnung?
Die Art und Weise, wie Menschen in diesem Moment aufstehen, wie sie sich organisieren. Wenn man sieht, wie Menschen überall im Land ihre Nachbarn vor der Abschiebung verteidigen.
Die Leute nutzen ihre unterschiedlichen Machtquellen: ihre Stimme, den Protest, aber auch ihre wirtschaftliche Kraft, um demokratische Werte zu verteidigen. Und innerhalb dessen eine Vision einer multikulturellen Demokratie, die auch Einwanderer einschließt. Das gibt mir Hoffnung: dass Menschen im ganzen Land – auch mich, auf meinen aktuellen Lese-Reisen – fragen, wie sie sich engagieren können. Dass Menschen aktiv werden, die das zuvor nie getan haben. Genau das wird es brauchen.
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