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Regierung Bayrou vor dem Sturz: Frankreich kann scheitern – der Euro auch
Das Nachbarland ist unfähig zu Reformen, Präsident Macron wird zur „Lame Duck“. Die Chancen der Le-Pen-Partei auf Machtübernahme sind besser denn je.

Stand:
Am heutigen Frankreich wäre Hölderlin verzweifelt. „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, tröstete der württembergische Dichter. Von solchem lösungsorientierten Optimismus ist acht Jahre nach Emmanuel Macrons Wahl zum Präsidenten nichts zu spüren.
Macrons Gegner rufen für den 18. September zum Generalstreik auf: Blockieren wir alles! Ist Frankreich unreformierbar und wird nun unregierbar?
Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion.
2017, als Macron mit 39 Jahren an die Macht kam, war das anders. Damals herrschte Aufbruchsstimmung: frischer Wind für Frankreich und für die EU. Die Franzosen wollten Wandel nach den bleiern anmutenden Jahren unter François Hollande. So schien es zumindest.
Doch zu der Therapie, die Macron ihnen verordnete, sind sie nicht bereit: Generalüberholung der Wirtschaft und der Sozialsysteme. Dagegen revoltieren Gewerkschaften und Protestbewegungen wie die Gelbwesten seit Jahren.
Die Opposition setzt auf opportunistischen Populismus. Ob rechts (Rassemblement National unter Marine Le Pen) oder links (La France insoumise unter Jean-Luc Mélenchon): Sie tun so, als gebe es einen schmerzfreien Weg in die Zukunft, und werden immer stärker. Parteien der Mitte, die es noch wagen, mit Macron zu kooperieren, schrumpfen. Ist Frankreich unreformierbar und wird nun unregierbar?
Enormer Spardruck: 44 Milliarden Euro
An diesem Montag wird Macron wohl den vierten Premierminister binnen drei Jahren verlieren. François Bayrou dürfte die Vertrauensfrage in der Nationalversammlung kaum überstehen. Das wäre zugleich eine erneute Ablehnung der von Macron geplanten Reformen. Es geht um die Verlängerung der Lebensarbeitszeit, die Streichung von zwei der elf gesetzlichen Feiertage und 44 Milliarden Euro Einsparungen im Staatshaushalt, rund drei Prozent des Budgets.
Die Rentensysteme sind überall unter Druck, weil die Menschen länger leben und immer weniger junge Einzahler auf immer mehr Alte mit Leistungsansprüchen treffen. Mit einem Rentenbeginn zwischen 62 und 64 Jahren ist Frankreich jedoch besonders weit entfernt von der demografischen Wirklichkeit.
Und nun: Fünfte Regierung oder Neuwahlen?
Wie soll es weitergehen nach Bayrous Sturz? Wie kann es überhaupt weitergehen? Macron kann einen fünften Premierminister ernennen oder die Nationalversammlung auflösen und Neuwahlen ansetzen. Die Aussichten, dass ein neuer Regierungschef eine Mehrheit findet, ohne substanzielle Abstriche an den nötigen Reformen zu machen, sind gering.
Zur Auflösung des Parlaments hat Macron sich bereits einmal im Juni 2024 entschlossen – nach der Niederlage seines Lagers bei der Europawahl. Die erhoffte Wende zur Realität blieb aus. Die Parteien der Mitte verloren Sitze, die populistische Opposition gewann. Warum sollte das diesmal anders sein?
Frankreichs Schulden sind auf 120 Prozent seiner Wirtschaftskraft gewachsen. Da droht eine Eurokrise von ganz anderem Kaliber als die griechische.
Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion.
Macrons Gegner rufen für den 18. September zum Generalstreik auf: „Blockieren wir alles!“ Der Präsident ist nun, was man in den USA eine „Lame Duck“ nennt: ohne Kraft und Rückhalt in der Innenpolitik und deshalb in Versuchung, das durch auftrumpfende Außenpolitik zu kompensieren, zum Beispiel beim Bemühen, eine europäische Schutztruppe für die Ukraine zu organisieren. In anderen Bereichen, etwa Handelsabkommen, bremst Frankreich die EU – aus Furcht vor innenpolitischem Protest.
Das verheißt nichts Gutes. Die Parteien haben längst die Präsidentschaftswahl 2027 im Blick. Le Pen spekuliert, dass der Unmut über Macron ihrem Lager zur Macht verhilft. Die Sozialisten wollen sich durch halbherzige Reformen profilieren: Sie bieten Macron an, in die fünfte Regierung seiner zweiten Amtszeit einzutreten, wenn er das Sparprogramm auf 22 Milliarden halbiert. Ihr Kalkül: Dann treten sie 2027 als verantwortungsbewusste Regierungspartei an.
Für Deutschland und die EU bedeutet das: Ein bisschen Reform und ein bisschen Sparen werden Frankreichs Misere nicht beenden. Die Schulden sind auf rund 120 Prozent seiner Wirtschaftskraft gewachsen, das Doppelte der 60 Prozent, die der Stabilitätspakt erlaubt. Da droht eine Eurokrise von ganz anderem Kaliber als die griechische.
Frankreich kann scheitern, der Euro kann scheitern, die EU kann scheitern. Um auf Hölderlin zurückzukommen: Das Rettende kann erst wachsen, wenn die Franzosen sich eingestehen, wie groß die Gefahr ist.
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