
© dpa / -/Ukrainian Presidential Press Office/AP
Sorge vor Ukraine-Müdigkeit: Was Selenskyj bei seinem Besuch in den USA erreichen will
Die erste Auslandsreise seit Kriegsbeginn führt den ukrainischen Präsidenten zu Joe Biden. Wird er die Amerikaner erneut von mehr Hilfen überzeugen können?
Stand:
Zum „Mann des Jahres“ hat ihn das „Time“-Magazin bereits gekürt. Bei seinem Überraschungsbesuch an diesem Mittwoch in Washington wird Wolodymyr Selenskyj wohl endgültig seinen Helden-Status in den Augen der Amerikaner zementieren können. Wenige Stunden zuvor hatte er noch die hart umkämpfte Frontstadt Bachmut im Osten der Ukraine besucht.
Am Nachmittag des 301. Tags des brutalen russischen Angriffs auf sein Land plant der ukrainische Staatschef, zunächst mit US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus zusammenzutreffen und sich anschließend bei einer Pressekonferenz an das amerikanische Volk zu wenden. Abends soll Selenskyj vor dem Kongress auftreten, um den Amerikanern für ihre Hilfe zu danken und gleichzeitig für weitere Unterstützung zu werben.
Es ist das erste Mal seit Kriegsbeginn, dass der ukrainische Präsident sein Land verlässt, zu sehr hatte er bisher befürchtet, dass Russland seine Abwesenheit auf welche Weise auch immer nutzen könnte. Angesichts der Eskalation der Gewalt und mancher Zweifel daran, dass die neue republikanische Mehrheit im US-Repräsentantenhaus schnell weitere Hilfspakete der Biden-Regierung auf den Weg bringt, scheint der ideale Zeitpunkt aber nun gekommen.
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Trump bat Selenskyj 2019 um einen „Gefallen“
Selenskyj kann mit einem fulminanten Empfang in der amerikanischen Hauptstadt rechnen – ganz anders, als es noch bei seinem ersten Washington-Besuch im September 2021 der Fall gewesen war. Da kannten die Amerikaner den jungen ukrainischen Präsidenten vor allem durch den ominösen Anruf von Donald Trump am 25. Juli 2019, bei dem der damalige US-Präsident seinen Amtskollegen um einen „Gefallen“ gebeten hatte.
Selenskyj sollte bekannt geben, dass seine Regierung gegen Joe Biden und seinen Sohn Hunter Biden wegen Korruption ermittele. Biden hatte da gerade seine Präsidentschaftsbewerbung bekannt gegeben. Im Gegenzug würde Selenskyj endlich nach Washington eingeladen werden und Trump auf Eis liegende Militärhilfen für die Ukraine freigeben.
Eine Einladung nach Washington blieb zunächst aus
Selenskyj hat bekanntlich keine Ermittlungen angekündigt, gegen Trump wurde stattdessen ein erstes Amtsenthebungsverfahren wegen Machtmissbrauchs eingeleitet – das zweite folgte nach dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021. Selenskyj musste dagegen auf seine Washington-Reise warten, bis Biden ihn zwei Jahre später im Oval Office empfing.
Kurz vor dem Besuch hatten die USA mit ihrem chaotisch umgesetzten Afghanistan-Abzug Verbündete verunsichert. Auch Selenskyj machte sich Sorgen, ob die Amerikaner weiterhin ein verlässlicher Partner seien.
15 Monate später ist klar, dass Kiew keinen wichtigeren Partner als Washington hat. Die USA haben in dem seit knapp zehn Monaten andauernden Krieg eine mehr als 50 Staaten umfassende Koalition geschmiedet und zahlreiche Waffen an die Ukraine geliefert. In diesem Jahr haben die USA der Ukraine bereits knapp 50 Milliarden Dollar Unterstützung zukommen lassen. Darin enthalten sind humanitäre, finanzielle und militärische Hilfen.
US-Kongress soll neue Hilfen beschließen
Erst am Montag hatten sich Republikaner und Demokraten im US-Kongress auf einen Haushaltsentwurf mit einem Volumen von insgesamt 1,7 Billionen Dollar (1,6 Billionen Euro) geeinigt, der unter anderem 44,9 Milliarden Dollar (42,3 Milliarden Euro) Hilfen für die Ukraine vorsieht. Senat und Repräsentantenhaus müssen dem Haushaltsentwurf noch zustimmen. Die Frist für die Verabschiedung läuft am Freitag aus.
Am Mittwoch wollte Biden neue Militärhilfen in einem Umfang von knapp zwei Milliarden Dollar bekannt geben, wozu auch die Lieferung des Luftabwehrsystems Patriot gehört – damit wird ein sehnlicher Wunsch Kiews erfüllt.
Ukrainische Soldaten sollen in einem „Drittstaat“ trainiert werden, um die Patriots dann in der Ukraine bedienen zu können. Bisher hat die Ukraine zur Flugabwehr hauptsächlich sowjetische Systeme im Einsatz, aber auch einige wenige westlicher Bauart.
Er erwähnte Pearl Harbor und 9/11
Selenskyjs Besuch soll vor allem dazu dienen, einer möglichen Ukraine-Müdigkeit in den USA vorzubeugen. Als er im März virtuell den Kongress adressierte, nahm der ukrainische Präsident Bezug auf die dunkelsten Momente in der amerikanischen Geschichte, um die Dimension des Geschehens aufzuzeigen und mehr Hilfe zu mobilisieren: den Angriff auf Pearl Harbor und die Terroranschläge des 11. September.
Russland hat den Himmel in eine Quelle des Todes verwandelt.
Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj im März 2021
Damals begeisterte der Präsident, der in olivgrünem T-Shirt zu den Kongressmitgliedern sprach, zwar die Abgeordneten und Senatoren. Mit den Worten: „Russland hat den Himmel in eine Quelle des Todes verwandelt“ warb er um eine von den westlichen Partnern durchgesetzte humanitäre Flugverbotszone über der Ukraine. Dieser Wunsch blieb aber unerfüllt. Die Biden-Regierung fürchtete eine Ausweitung des Konflikts zu einem „dritten Weltkrieg“.
Erwartet wird, dass Selenskyj am Mittwoch erneut einen dramatischen Appell für zusätzliche Hilfe und vor allem weitere Waffen aussprechen wird. Dieses Mal ist er persönlich gekommen, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen.
Ein hochrangiger Mitarbeiter des Weißen Hauses bekräftigte am Dienstagabend (Ortszeit), dass der Besuch und die Rede vor dem versammelten Kongress die überparteiliche Unterstützung in den USA demonstriere. Diese werde anhalten, „so lange es nötig sei“.
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