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Smog liegt über Peking. Immer noch ist heimische Kohle wichtigster Energieträger in China.

© Foto: Getty Images/Kevin Frayer

Solarer Spitzenreiter und viel zu viel Kohle: So geht Klima- und Umweltschutz auf Chinesisch

Mit ehrgeizigen Maßnahmen versuchen Deutschland, die EU und der Westen die Klimaziele einzuhalten. Doch immer öfter hört man die Frage: Was bringt das alles, wenn China weiter auf schmutzige Kohle setzt?

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Manchmal ist Chinas Kommunistische Partei spät dran – aber wenn sie etwas will, kann es plötzlich schnell gehen. So erklärte Parteichef Xi Jinping in einer Rede im Juni 2019 die Bedeutung von Mülltrennung – fast 50 Jahre, nachdem in Deutschland die ersten Altglascontainer aufgestellt wurden.

Mülltrennung, so sagte Xi, hänge direkt mit dem Lebensumfeld der Menschen und dem sparsamen Umgang mit den Ressourcen zusammen. Es sei „wichtiger Ausdruck des Bürgersinns“. Nur einen Monat später startete Shanghai ein eigenes Mülltrennungsprojekt; bis 2020 sollten 46 weitere Großstädte und bis 2025 auch kleinere Städte nachziehen. In vielen chinesischen Metropolen gab es an öffentlichen Plätzen plötzlich verschiedene Mülleimer, um Verpackungs-, Papier- und Restmüll zu separieren. In Wohnvierteln wurden bunte Tonnen aufgestellt, dazu Anleitungen aufgehängt. 

Verursacher soll Vorreiter sein

Überfällig könnte man sagen: Einer Harvard-Studie zufolge werden in der Volksrepublik jährlich allein fast 350 Millionen Tonnen für den menschlichen Verzehr produzierte Lebensmittel weggeworfen. In Deutschland sind es rund 11 Millionen Tonnen. Beim Vergleich dieser Dimensionen drängt sich schnell die Frage auf: Lohnt sich der Aufwand hierzulande für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen überhaupt?

Dieses „Aber China“-Argument begegnet einem vor allem bei Diskussionen um Klimaschutzmaßnahmen, und zwar meist nach folgendem Muster: Deutschland und die EU setzen sich ehrgeizige Klimaziele und wollen bis 2045 klimaneutral werden, aber China erst bis 2060. Dabei steht die EU gerade einmal für sieben Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen, aber China ist mit einem Anteil von 30 Prozent der oberste Klimasünder. Dazu wird in Deutschland bald keine Kohle mehr abgebaut, aber China baut weiter Kohlekraftwerke. Fazit: Deutschland und Europa könnten die Welt nicht alleine retten, solange die Volksrepublik so weitermacht wie bisher. Das Problem: Vieles spricht gegen diese Hypothese.

Westen trägt historische Verantwortung für Klimakrise

Historisch gesehen, sind es vor allem kumulierte Emissionen, die das ökologische Gleichgewicht der Erde stören – nicht nur die aktuellen. Seit 1850 sind über 2500 Gigatonnen CO₂ durch die Menschheit in die Atmosphäre gelangt. Der Großteil davon durch die USA und Europa – nicht durch China. CO₂-Emissionen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, erwärmen die Erde heute immer noch. Die klimaschädliche Wirkung der kohlebasierten Industrialisierung Deutschlands hält bis heute und darüber hinaus an.

Vor allem ist die Volksrepublik aber in einigen entscheidenden Klimaschutzbereichen deutlich aktiver als der Rest der Welt. Beim Ausbau seiner erneuerbaren Energien eilt das Land von Rekord zu Rekord: Im vergangenen Jahr hat China über 216 Gigawatt Photovoltaik zugebaut – Deutschland hat insgesamt bisher knapp 82 Gigawatt installiert. Auch bei Windenergie hat sich die produzierte Leistung Chinas in zehn Jahren fast verzehnfacht. Bei der Batterietechnik ist das Land führend. Der dortige Markt für Elektroautos explodierte. Immer stärker setzen Firmen wie BYD und Nio auch Hersteller in Deutschland unter Druck.

Klimaziele ohne China kaum erreichbar

Und doch reichen diese Anstrengungen aus Sicht von Klimafachleuten nicht. Immer noch erzeugt China zwei Drittel seiner Energie aus Kohle. Nahezu die gesamte Ausbaukapazität von Kohlekraft in den letzten Jahren geht auf das Konto der Volksrepublik. Dazu wächst die Energienachfrage und damit auch der CO₂-Ausstoß des zweitbevölkerungsreichsten Land der Erde weiter.

In der Wissenschaft herrscht Einigkeit darüber, dass das 1,5-Grad-Ziel, wenn überhaupt, nur mit China erreichbar bleibt. „Die Zukunft der Menschheit liegt in Chinas Händen“, schrieb etwa der Wirtschaftswissenschaftler Adam Tooze kürzlich in einem Gastbeitrag für die „Zeit“. Darin warnt der Brite, dass allein die Volksrepublik fast ein Drittel des verbliebenen CO₂-Budgets beanspruchen würde, scheitere Xi mit seinen Klimavorhaben.

Solarer Vorreiter: Allein dieses Solarthermiekraftwerk in der nordwestchinesischen Stadt Hami soll eine Leistung von 50 Megawatt haben.

© dpa/Hu Huhu

Die Hoffnungen vieler Expert:innen stützen sich auch darauf, dass China, wenn es ein Problem erkannt und benannt hat, vor radikalen Maßnahmen nicht zurückschreckt, um es zu lösen. Das zeigt sich auch beim Thema Mülltrennung.

„Helfen Sie uns bei der Mülltrennung“ lautete die Anweisung, die 2020 aus blechernen Lautsprechern in Chinas Hauptstadt schallte – ausgelöst durch Bewegungsmelder in so manchem Pekinger Mietkomplex. Und wer nicht helfen wollte, dem wurde geholfen. Die Hausverwaltung beobachtete über Kameras Fortschritt, wie Verstöße im Mülltonnenbereich. Warf ein Nachbar mehrfach alte Joghurtbecher in den Biomüll, so fand er tags darauf das verpixelte Beweisfoto ausgedruckt im Gemeinschaftstreppenhaus hängen.

Dazu soll der Müll eben nicht nur getrennt, sondern auch reduziert werden. Lieferdienste müssen ihre Kunden fragen, ob sie wirklich Besteck benötigen. Auch Gastronomen sind dazu aufgerufen, ihre Kunden im Rahmen von Xi Jinpings Aktion „Sauberer Teller“ zu mehr Achtsamkeit zu erziehen. Hierfür sollen Restaurants keine übertriebenen Bestellungen annehmen und darüber aufklären, wie viel eine bestimmte Anzahl von Personen wirklich verspeisen kann. Wird dagegen verstoßen, droht eine Verwarnung der lokalen Behörden und eine Strafe von bis zu 10.000 Renminbi (etwa 1.260 Euro), die an die Restaurantgäste weitergegeben werden kann. Ob sich Deutschland die ein oder andere Maßnahme abschauen wird?

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