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Beharrlich: Gali Baharav-Miara, Israels Generalstaatsanwältin

© REUTERS pool/GIL COHEN-MAGEN

Staatsfeindin oder Kämpferin für die Demokratie?: Gali Baharav-Miara ist Netanjahus gefährlichste Gegnerin

Sie verteidigt den Rechtsstaat und scheut keinen Konflikt mit Israels Regierung. Jetzt will Ministerpräsident Netanjahu die hochrangige Juristin loswerden. Wer ist Gali Baharav-Miara?

Stand:

Für die einen ist sie eine Staatsfeindin, die sich hochmütig in politische Entscheidungen einmischt und das „linke Lager“ unrechtmäßig stärkt.

Für die anderen ist Gali Baharav-Miara eine bewundernswerte Kämpferin für Demokratie, eine Bastion der Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung in Israel.

Angriff auf Unabhängigkeit der Justiz

Doch wenn es nach der rechtsnational-religiösen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu geht, wird diese Bastion gegen möglichen Machtmissbrauch jetzt fallen: Am Montag hat das Kabinett beschlossen, Gali Baharav-Miara als Generalstaatsanwältin zu entlassen.

Zwar hat das Oberste Gericht die Entscheidung sofort einkassiert. Man werde in Ruhe darüber beraten werden, ob die Koalition rechtens gehandelt habe. Bis dahin müsse die oberste Anklägerin im Amt bleiben.

Dennoch beharrt die Regierung darauf, die Zusammenarbeit mit Baharav-Miara sofort zu beenden, sie von Kabinettssitzungen auszuschließen und ihre Nachfolge rasch zu regeln. Es dürfte daher auf eine Konfrontation zwischen Exekutive und Judikative hinauslaufen, wieder einmal.

Seit der von Netanjahu und seinen Ministern vor zweieinhalb Jahren initiierten, höchst umstrittenen Justizreform tut sich in der israelischen Gesellschaft ein tiefer Graben auf.

Ein Teil der Israelinnen und Israelis befürwortet das Vorhaben, den Einfluss von Richtern und Staatsanwälten deutlich einzuschränken. Vor allem soll dem Obersten Gericht die Möglichkeit genommen werden, gegen „unangemessene“ Entscheidungen der Regierung, des Premierministers oder einzelner Minister vorzugehen.

„Wir sind Gali Baharav-Miara“ steht auf einem Plakat von Demonstranten in Tel Aviv (Archivfoto).

© IMAGO/ZUMA Wire/IMAGO/Matan Golan

Ein anderer Teil der Bürgerinnen und Bürger sieht die Unabhängigkeit der Justiz bedroht. Zehntausende gingen 2023 Woche für Woche auf die Straße und warnten davor, dass die Politik unkontrolliert schalten und walten könne, weil bald willfährige Beamte ihr das durchgehen lassen würden.

Das habe mit Demokratie und Gewaltenteilung nichts mehr zu tun. „Wir sehen an allen Ecken und Enden, dass der Rechtsstaat zunehmend ausgehöhlt wird“, sagt auch Simon Wolfgang Fuchs, Professor für Nahost-Studien an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Genau davor warnt auch Baharav-Miara. Sie gehört zu den prominentesten und vehementesten Gegnerinnen der Justizreform.

Die Regierung will über dem Recht stehen, wir werden uns nicht abschrecken lassen.

Generalsstaatsanwältin Baharav-Miara

Als Netanjahu im März erstmals die Ablösung der Generalstaatsanwältin vorantrieb, entgegnete die 65-Jährige: „Die Regierung will über dem Recht stehen, wir werden uns nicht abschrecken lassen.“ Eine der Politik ergebene Justiz sei nicht hinnehmbar.

Doch nicht allein ihr Widerstand gegen die Justizreform erzürnt den Ministerpräsidenten: Die angesehene Juristin stellt sich immer wieder gegen Netanjahu, was dieser als persönlichen Feldzug gegen sich empfindet.

Sie scheut keinen Konflikt

So fordert Baharav-Miara eine unabhängige Untersuchung zum Versagen der Geheimdienste und des Militärs beim Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023. Bei der ginge es vermutlich auch um Netanjahus Verantwortung.

Sie dringt ebenfalls darauf, dass Ultraorthodoxe zum Wehrdienst eingezogen werden, was die streng-religiösen Koalitionspartner des Premiers strikt ablehnen.

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu wirft der Generalstaatsanwältin vor, einen Feldzug gegen ihn zu führen.

© dpa/RONEN ZVULUN

Besonders brisant für Netanjahu: Die Generalstaatsanwältin – sie hat das Amt seit 2022 als erste Frau inne – hat ein Ermittlungsverfahren im „Katar-Gate“ eingeleitet.

Es geht um enge Mitarbeiter des Regierungschefs. Sie sollen Geld erhalten haben, um das Ansehen des Emirats zu verbessern. Die Golfmonarchie gilt als Unterstützer der islamistischen Hamas.

Auch am Verfahren gegen Netanjahu wegen Korruption ist Baharav-Miara beteiligt, die von Weggefährten als energisch und kämpferisch beschrieben wird. Sollte der 75-Jährige also darauf setzen, dass die Staatsbedienstete aus eigenen Stücken aufgibt, wird er wohl enttäuscht werden.

Karriere in der Staatsanwaltschaft

Die Mutter dreier Söhne ist in einem Vorort von Tel Aviv groß geworden. Ihre Mutter war Malerin, der Vater Geschäftsmann. Der Ehemann arbeitete für den israelischen Sicherheitsapparat. Sie selbst diente während ihrer Militärzeit in einer Geheimdiensteinheit der Armee.

Nach dem Jurastudium wechselte Baharav-Miara von der Uni zur Staatsanwaltschaft und machte dort Karriere. Danach wechselte sie in eine Kanzlei, bevor sie vom damaligen Justizminister Gideon Saar als „beste und geeignetste Kandidatin“ für sechs Jahre zur Generalstaatsanwältin berufen wurde.

Was Baharav-Miara zum Verhängnis wird, ist weniger ihre Geisteshaltung, als vielmehr ihr Pochen auf die etablierten Prozesse des Rechtsstaats.

Simon Wolfgang Fuchs, Professor für Nahost-Studien

Dass mit Baharav-Miara eine „Linke“ in das Amt kam, kann die Regierung schwerlich behaupten. Denn die Juristin verteidigt zum Beispiel Israels Vorgehen in Gaza und verteidigt ihr Land gegen den Vorwurf, einen Genozid zu begehen.

Sie habe auch keine Einwände gegen jüdische Siedlungen im Westjordanland, sagt Simon Wolfgang Fuchs von der Hebräischen Universität in Jerusalem. „Was Baharav-Miara zum Verhängnis wird, ist weniger ihre Geisteshaltung als vielmehr ihr Pochen auf die etablierten Prozesse des Rechtsstaats.“

Davon wird sie sich nicht abbringen lassen. Die Unterstützung vieler Menschen in Israel ist ihr dabei sicher. Sie wollen, dass die Verteidigerin durchhält – um der Demokratie willen.

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