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Russische Soldaten zu Besuch in einer Schule in der besetzten Ukraine.

© REUTERS/ALEXANDER ERMOCHENKO

Strafpsychiatrie und Handgranaten: So erzieht Russland ukrainische Kinder um

Die Erziehung der jungen Generation zu „russischen Patrioten“ hat für den Kreml einen großen Wert. Auf die sogenannten „neuen Regionen Russlands“ in der Ukraine wird dabei besonderes Augenmerk gelegt.

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Genau wie russische Kinder nähen junge Ukrainer in den besetzten Gebieten im Werkunterricht Militäruniformen. Später werden diese Soldaten an der Front tragen, die darin Ukrainer töten sollen. Im Informatikunterricht lernen die Schüler zudem, Drohnen zusammenzubauen, die ukrainische Städte zerstören sollen.

Bis zum vergangenen Jahr war dafür zumindest die Zustimmung der Eltern erforderlich, dann wurde diese Regelung abgeschafft. Alle Kinder in den besetzten Gebieten müssen nun „der Front helfen“, unabhängig von ihren Wünschen.

Die russisch-patriotische Erziehung geht jedoch nicht nur in Schulen vor sich. Es verbreiten sich mittlerweile auch anderweitig russische Jugendorganisationen, die jungen Menschen Patriotismus beibringen sollen.

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Ohne rote Pionierkrawatten, aber mit Granaten in der Hand

Die größte Organisation von ihnen ist „Dwizhenije Perwyh“ (Auf Deutsch: „Bewegung der Ersten“). Sie wurde vor etwa zwei Jahren gegründet, umfasst aber bereits elf Millionen Mitglieder in ganz Russland. Vorsitzender des Aufsichtsrates der Organisation ist Russlands Präsident Wladimir Putin. Er nimmt oft an ihren Veranstaltungen teil, wo er den Szenenapplaus des jungen Publikums genießt.

Die „Bewegung der Ersten“ ist nach dem Vorbild der sowjetischen „Pionierorganisation Wladimir Iljitsch Lenin“ gegründet worden, die vor über 30 Jahren – nach dem Zusammenbruch der UdSSR – aufgelöst wurde. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die „Ersten“ keine roten Krawatten tragen und sich nicht als junge Erbauer des Kommunismus bezeichnen. Ihre Ideologie basiert „auf der Grundlage der traditionellen russischen geistigen und moralischen Werte“. 

Die psychiatrische Zwangsbehandlung zielt darauf ab, den Willen des Kindes zu unterdrücken und es zur Zustimmung zu zwingen.

Anastasija Worobjow, Wissenschaftlerin

Eine weitere Organisation, die sich in den besetzten Gebieten verbreitet, ist die „Junarmija“ (Auf Deutsch: „Jungarmee“). Sie wurde im Jahr 2016 vom russischen Verteidigungsministerium gegründet und gilt als eine Analogie zur Hitlerjugend. In Schulungslagern haben bereits Hunderttausende junger Russen eine militärische Grundausbildung durchlaufen. Auf der Website der „Jungarmee“ findet man sogar Kurzbiografien ehemaliger Mitglieder, die im Krieg in der Ukraine „heldenhaft gestorben“ sind. 

Im Jahr 2022, kurz nach der Invasion, tauchte in Russland eine weitere militaristische Gruppe auf – das Zentrum „Woin“ (Auf Deutsch: „Kämpfer“). Zu ihrer Aufgabe wurde die Bildung einer neuen Generation von Patrioten erklärt, „die ihr Heimatland lieben und es verteidigen können“.

Ein Instrukteur namens Andrij Bogatow prahlt in einem Bericht eines russischen Propaganda-Fernsehsenders.: „Beim ersten Mal zittern allen die Hände, wenn sie eine Granate in die Hand nehmen, auch wenn es eine Übungsgranate ist. Aber nach drei Monaten kommen andere Leute hier heraus: stressresistent und selbstbewusst.“

Lehren des Hasses gegenüber der Ukraine

Jugendliche aus den besetzten Gebieten für die Organisation zu gewinnen, wird nun offenbar besondere Bedeutung beigemessen. Nur ein Beispiel: In 89 russischen Regionen sind insgesamt 21 „Kämpfer“-Zentren errichtet worden. Davon wurden fünf auf der Krim und in vier Gebieten eingerichtet, die der Kreml zu „neuen russischen Regionen“ erklärt hat. Eine weitere wird derzeit auf dem Gelände eines Kinderlagers in Mariupol gebaut. 

Die Leiter der Organisationen in den besetzten Gebiete berichten stolz, wie viele junge Kämpfer ihre Zentren jedes Jahr hervorbringen. Zwischen 800 und 2000 sollen es sein. Demnach wären mehrere Tausend junge Ukrainer für den Krieg an der Seite Russlands ausgebildet worden.

An sich ist der Schritt nicht neu, militarisierte Ausbildungszentren in den besetzten Gebieten gibt es bereits seit 2015 – noch bevor Russland die Regionen Donezk und Luhansk zu seinen Gebieten erklärte. Damals lag der Schwerpunkt jedoch in erster Linie auf der körperlichen Vorbereitung, wobei einheimische Separatisten als Trainer dienten. Jetzt aber kümmert sich die gesamte russische Militär- und Propagandamaschine um die Schulung junger Kämpfer. 

Psychiatrische Zwangsbehandlung für Andersdenkende

„Moskau verfolgt eine bewusste Politik der Einbindung ukrainischer Kinder in russische militärische Jugendstrukturen. Gleichzeitig zwingt es ihnen die Ideologie der sogenannten ‚russischen Welt‘ auf“, sagt Anastasija Worobjowa, Autorin der Studie „Russische Politik der Vernichtung der Kinderidentität in den vorübergehend besetzten Gebieten“. Die Aufgabe des Kremls bestehe darin, eine Generation heranzubilden, die moralisch bereit sei, sich an russischen Kriegen zu beteiligen – auch gegen die ukrainische Heimat.

Worobjowa verweist auch auf den raschen Rückgang der Zahl der Klassen, in denen Ukrainisch unterrichtet wird. So lernten 2024 in der Region Saporischschja etwa 8000 Kinder die Sprache, während es 2023 noch 18.000 waren. Die Menschenrechtlerin berichtet von Fällen, in denen Eltern von der Schulverwaltung unter Druck gesetzt wurden, den Ukrainisch-Unterricht für ihre Kinder abzulehnen.

Und nicht nur das: Dutzende von ukrainischen Kindern in den besetzten Gebieten sollen wegen ihres dissidenten Verhaltens zwangsweise psychiatrisch behandelt worden sein, erklärt die Direktorin der Eastern Human Rights Group, Wira Jastrebowa. „Da Minderjährige nicht nach dem Artikel ,Extremismus’ verurteilt werden können, werden sie von den russischen Besatzern in die Strafpsychiatrie eingewiesen“, sagt sie. 

Im vergangenen Jahr sollen 63 Jugendliche eingewiesen worden sein. „Wenn ein Kind sich weigert, ihre Ideologie zu akzeptieren, ist es für sie ein ‚Extremist‘ – und sollte ihrer Meinung nach psychiatrisch betreut werden“, sagt Jastrebowa. „Die psychiatrische Zwangsbehandlung zielt darauf ab, den Willen des Kindes zu unterdrücken und es zur Zustimmung zu zwingen.“

Jastrebowa erklärt, dass Strafpsychiatrie in der UdSSR weit verbreitet gewesen sei. Allerdings sei sie dort gegen Dissidenten mittleren Alters eingesetzt worden. Das jetzige Vorgehen ist aus ihrer Sicht beispiellos: „Indem Russland Putins Kinder in die Zwangspsychiatrie einweist, übertrifft es die totalitären Methoden der Sowjetunion sogar noch.“

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