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Unmut über Sonderregelungen für die Ukraine führte schon Anfang April zu Protesten im Osten der EU.

© dpa/Marcin Bielecki

Ukraine-Solidarität am Limit: Polen und Ungarn bieten der EU im Getreide-Streit die Stirn

Die Ukraine darf ihr Getreide zollfrei in die EU importieren. Das belastet aber die Landwirtschaft der Nachbarländer. Die verweigern jetzt die Einfuhr.

Polen und Ungarn sind im Streit mit der EU, wieder einmal. Denn die beiden Problemkinder der Union wollen erneut einen Sonderweg gehen. Diesmal geht es nicht um Verstöße der Rechtsstaatlichkeit, sondern um die Landwirtschaft.

Gefährlich ist das für Brüssel vor allem, weil die zwei Länder eine gemeinsame Gegenposition zur EU-Linie aufbauen wollen – und somit drohen, die Union in altbekannter Weise zu spalten.

Die polnische und die ungarische Regierung verkündeten am Samstag, einen Einfuhrstopp auf ukrainisches Getreide zu verhängen, um Schaden von der lokalen Landwirtschaft abzuwenden. Am Montag schloss sich auch die Slowakei der Blockade an.

Frust von Warschau bis Bukarest

Die Ukraine nannte das Vorgehen „drastisch“ und „einseitig“. Auch die EU kritisierte das Vorpreschen der zwei Staaten, da Handelspolitik in die ausschließliche Zuständigkeit der Union falle.

Während der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán für seine halbherzige Solidarität gegenüber der Ukraine bekannt ist, gilt Polen als einer ihrer verlässlichsten Unterstützer. Das Land hat Millionen Kriegsflüchtlinge aufgenommen und versorgt Kiew bereitwilliger mit Waffen und sogar Kampfjets zur Verteidigung gegen Russland als viele andere.

Dass Warschau jetzt blockiert, hat mit Polens Bauern zu tun. Die werden rebellisch, weil die Billigimporte die Preise auf dem heimischen Markt drücken. Im Herbst wird in Polen gewählt. Die Landbevölkerung ist eine entscheidende Wählergruppe für die nationalpopulistische Regierungspartei PiS.

Der Konflikt hat Landwirtschaftsminister Henryk Kowalczyk Anfang April zum Rücktritt gezwungen. Er prägte auch den Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Warschau vor zwei Wochen.

Die Entscheidung erfolgt im Interesse der ungarischen Landwirtschaft.

István Nagy, Landwirtschaftsminister Ungarns

Ungarn, das sich der Maßnahme Polens anschloss, will die Einfuhr von ukrainischem Getreide, Ölsaaten und anderen Erzeugnissen bis zum 30. Juni verbieten, damit die EU ihre Maßnahmen „überdenken“ könne, wie Landwirtschaftsminister István Nagy sagte. Brüssels Politik habe zu einer Überschwemmung der lokalen Märkte geführt.

Eine Verlängerung des Einfuhrstopps schließe die Regierung nicht aus. Die Ukraine zählt zu den wichtigsten Exporteuren von Weizen, Raps, Roggen und Sonnenblumenprodukten.

Im vergangenen Jahr verzichtete die EU auf Zölle und Einfuhrkontingente für ukrainische Landwirtschaftsprodukte. Dadurch sollte der Transport in Drittländer erleichtert werden.

11,8
Milliarden Euro betrugen 2022 die ukrainischen Agrarexporte in die EU

Doch viele der Produkte blieben aufgrund unterbrochener Lieferketten und hoher Transportkosten in EU-Anrainern der Ukraine stecken. Das Überangebot an günstigen ukrainischen Produkten drückt den Verkaufspreis und belastet die Grenzländer somit besonders.

Das Volumen ukrainischer Agrarexporte in die EU stieg im vergangenen Jahr auf rund 11,8 Milliarden Euro – ein Zuwachs von zwei Dritteln gegenüber dem Vorjahr.

Durch den russischen Angriff hat Kiew die Kontrolle über die meisten seiner Schwarzmeerhäfen verloren und kann seine Güter nur noch in geringen Mengen per Schiff auf den Weltmarkt ausführen. In Afrika drohen deshalb Hungersnöte.

Als Gegenmaßnahme hatten die UN und die Türkei ein Abkommen mit Russland und der Ukraine über die Ausfuhr bestimmter Getreidemengen per Schiff vermittelt. Es funktioniert aber nur eingeschränkt und Russland behält sich vor, es am 18. Mai einseitig aufzukündigen. Deshalb hatte die EU ihre Zölle und Quoten für ukrainisches Getreide für ein Jahr aufgehoben.

Jetzt steht eine Verlängerung der Ausnahmeregelung an, die im Osten der EU auf großen Widerstand stößt. Neben Polen, Ungarn und der Slowakei erwägen weitere EU-Mitglieder, ukrainische Agrareinfuhren zu sanktionieren. Bulgarien verschärfte beispielsweise seine Kontrollen.

Ukraine-Solidarität am Limit

Anfang des Monats kam es in der rumänischen Hauptstadt zu Protesten der Landwirte gegen die Agrarpolitik der EU. „Bestraft unsere Solidarität nicht“, las man dort auf Plakaten. Im benachbarten Bulgarien wurden mit Traktoren Grenzübergänge besetzt, um den Lieferverkehr zu blockieren.

Noch am Freitag handelten Kiew und Warschau eine zeitweise Beschränkung ukrainischer Getreidelieferungen nach Polen aus. Polen hat sie am Sonntag nun auf dutzende andere Lebensmittelprodukte ausgeweitet und erhöht somit den Druck sowohl im Osten als auch im Westen.

Am Montag wird der ukrainische Landwirtschaftsminister Mykola Solskyi in Polen erwartet, um Verhandlungen weiterzuführen. Die EU kündigte an, noch diese Woche mit den Mitgliedsstaaten über den Lieferstopp zu beraten.

Die Solidarität Polens und Ungarns gegenüber der Ukraine könnte kaum weiter auseinanderklaffen. Dennoch finden sich beide Länder auf der gleichen Seite wieder, wenn es darum geht, geschlossen der EU die Stirn zu bieten.

Ziel ist es, mit starker Stimme Brüssels Weisungen widersprechen zu können. Die Verbündeten können dabei nach Belieben wechseln, Hauptsache man ist dagegen.

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