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Historischer Tag in der Türkei: PKK-Kämpfer verbrennen ihre Waffen
Durch den Konflikt zwischen der PKK und der Türkei sind Zehntausende getötet worden. Jetzt gibt es einen weiteren Schritt Richtung Frieden. Ist Präsident Erdogan zu Reformen bereit?
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Bese Hozat war kaum 16 Jahre alt, als sie Guerilla-Kämpferin wurde – um der Diskriminierung in der Schule zu entfliehen, wie sie später erzählte. Als Kurdin und obendrein alewitischen Glaubens in der Türkei doppelt benachteiligt, schloss sie sich mit ihrer Schwester 1994 der PKK an.
Ihre Schwester wurde von der türkischen Armee getötet; Hozat selbst stieg auf bis in die PKK-Führung. Als Kommandantin verlas die heute 46-jährige am Freitag im Nordirak die Abschiedserklärung der Untergrundorganisation und trat mit ihrer Kalaschnikow an eine Feuerschale, um ihre Waffe hineinzulegen.
Mit einem brennendem Scheit steckte Hozat schließlich die in der Schale gesammelten Waffen von zwei Dutzend Kämpferinnen und Kämpfern in Brand und wandte sich zum Gehen.
Leichten Herzens gaben Hozat und ihre Truppe die Waffen nicht ab. Mit fester Stimme verlas die Kommandantin bei der feierlichen Waffenniederlegung in den nordirakischen Bergen bei Dokan zwar die offizielle Erklärung der Gruppe.
Mit stockender Stimme fügte sie aber dann selbst hinzu: Damit der Frieden gelingen könne, seien noch große gesetzliche und verfassungsrechtliche Veränderungen in der Türkei notwendig.

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Die Zeremonie im Nordirak symbolisierte das Ende des mehr als 40-jährigen Kurdenkriegs. Die PKK hatte sich 1984 gegen Ankara erhoben und kontrollierte zeitweise ganze Landstriche im Südosten des Landes.
Zehntausende Menschen starben, Millionen wurden vertrieben und flohen bis nach Europa. Der Kurdenkonflikt wurde auch in Deutschland und anderen Ländern ausgetragen.
Dieser Krieg war jahrzehntelang allgegenwärtig. Junge Türken starben als Wehrpflichtige, junge Kurden fielen im Kampf für die PKK, Zivilisten wurden getötet. Kurdische Politiker kamen ins Gefängnis, weil sie ein paar Sätze in ihrer Muttersprache sagten. Der türkische Staat rechtfertigte mit dem Konflikt seine drakonischen Anti-Terrorgesetze und Beschränkungen der Meinungsfreiheit.
„Gruppe für den Frieden“
Nun haben sich beide Seiten in monatelangen Verhandlungen auf ein Ende des Krieges verständigt – alles soll anders werden. „Wir zerstören unsere Waffen freiwillig, als Schritt des guten Willens und der Entschlossenheit“, erklärten die von Hozat angeführten Kämpfer in Dokan am Freitag bei der Waffenübergabe.
Sie bezeichneten sich nicht mehr als PKK-Mitglieder, sondern als „Gruppe für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ und machten damit deutlich, dass ihr bewaffneter Kampf der Vergangenheit angehören soll.
Präsident Recep Tayyip Erdogan würdigte die Waffenniederlegung als „wichtigen Schritt zu unserem Ziel einer Türkei ohne Terror“ und ließ für Samstag eine Grundsatzrede ankündigen. In türkischen Medien wird spekuliert, er könne eine Amnestie für PKK-Häftlinge verkünden.
Nationalistenchef Devlet Bahceli, der die Verhandlungen mit den Kurden im Herbst vorgeschlagen hatte, sprach von einer neuen „Ära voller Hoffnung“.
Das Ende einer blutigen Ära
Er würdigte die Beiträge der legalen Kurdenpartei DEM, die mit der Regierung über politische Reformen verhandelt, und des inhaftierten PKK-Gründers Abdullah Öcalan, der die Organisation zur Selbstauflösung aufgefordert hatte.
„Ein historischer Tag“, kommentiert auch Seren Selvin Korkmaz, Mitgründerin und Direktorin der Denkfabrik Istanpol Institut. Die Zeremonie im Nordirak markiere nicht nur das Ende einer Ära, sondern auch „den Beginn einer potenziellen politischen Transformation“ in der Türkei, sagt Korkmaz dem Tagesspiegel.
„Dieser Wendepunkt könnte nicht nur verändern, wie Politik gemacht wird, sondern auch, wer sie macht.“ Korkmaz erwartet eine politische Aufwertung der Kurdenpartei DEM.
Nach dem Beginn der PKK-Entwaffnung soll nun über politische Reformen in der Türkei beraten werden. Das Parlament in Ankara wird einen Sonderausschuss gründen, um den Friedensprozess mit gesetzlichen Garantien abzusichern.
Manche in der Opposition befürchten, dass der Prozess dazu instrumentalisiert werden könnte, um Erdogans Amtszeit zu verlängern und die autokratische Herrschaft zu stärken.
Seren Selvin Korkmaz, Direktorin der Denkfabrik Istanpol Institut
Haftentlassungen von kurdischen Häftlingen – darunter des früheren kurdischen Parteichefs Selahattin Demirtas – sind ebenso im Gespräch wie die Wiedereingliederung bisheriger PKK-Kämpfer ins zivile Leben. Auch eine Anerkennung der kurdischen Identität in der türkischen Verfassung gehört zu den möglichen Reformen.

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Im Zuge der Verhandlungen über Reformen könnte Erdogan auch versuchen, mithilfe der DEM gesetzliche Hürden aus dem Weg zu räumen, die derzeit seine erneute Präsidentschaftskandidatur bei den nächsten Wahlen blockieren.
Dass die Türkei jetzt vor demokratischen Reformen steht, ist nicht sicher. Die Regierung treibt zwar den Friedensprozess mit der PKK voran, setzt aber zugleich die größte Oppositionspartei des Landes, die CHP, mit einer Verhaftungswelle unter Druck.
Gemeinsam dürften beide Entwicklungen – der kurdische Friedensprozess und der Druck auf die Opposition – darüber entscheiden, wie es in der türkischen Politik weitergehen werde, sagt Expertin Korkmaz. „Manche in der Opposition befürchten, dass der Prozess dazu instrumentalisiert werden könnte, um Erdogans Amtszeit zu verlängern und die autokratische Herrschaft zu stärken.“
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