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Syrien nach Assads Sturz: Der Wiederaufbau ist eine Chance für deutsche Firmen
Die internationale Gemeinschaft sollte die Übergangsphase in Syrien massiv unterstützen. Die EU war der wichtigste Wirtschaftspartner Syriens – und kann das wieder werden.

Stand:
Nach dem Sturz des Assad-Regimes haben Vertreter der EU und ihrer Mitgliedstaaten zunächst versucht, die ehemaligen Rebellen und neuen Machthaber in Damaskus kennenzulernen.
Der überwiegende Eindruck internationaler Gesprächspartner ist, dass die neuen Leute um Ahmad al-Scharaa, den Führer der stärksten Rebellenorganisation HTS und neu ernannten Präsidenten Syriens, trotz ihrer zum Teil radikal-islamistischen Vergangenheit pragmatisch sind.
Und dass sie verstanden haben, dass sie ein inklusives politisches System errichten müssen, das die Vielgestaltigkeit der syrischen Gesellschaft repräsentiert.
Andernfalls würden sie die Mehrheit der Bevölkerung gegen sich aufbringen. Nach Jahren von Krieg, Zerstörung, Unterdrückung und Vertreibung, angesichts grassierender Armut und einer verrotteten Infrastruktur braucht Syrien aber nicht nur eine verantwortlich handelnde Führung. Es benötigt auch massive internationale Unterstützung.
Nachdem die internationale Gemeinschaft lange Zeit angenommen hatte, das Assad-Regime sei zwar schlecht, jedoch stabil, muss sie nun mehr tun, als die im Umgang mit diesem Regime entwickelte Politik nur anzupassen.
Materielle Unterstützung für den Wiederaufbau wird hauptsächlich von der Europäischen Union und den arabischen Golfstaaten erwartet.
Volker Perthes, Distinguished Visiting Fellow an der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Sie muss einen möglichst gemeinsamen Ansatz finden, um eine erfolgreiche Transition Syriens, also die Überwindung von Bürgerkrieg, Diktatur und Korruption sowie den Wiederaufbau und die Reintegration Syriens in sein regionales und internationales Umfeld zu unterstützen.
Die Vereinten Nationen werden weiterhin die humanitäre Hilfe koordinieren; sie können Syrien zudem beim politischen Übergang und Versöhnungsprozessen zur Seite stehen. Materielle Unterstützung für den Wiederaufbau wird hauptsächlich von der Europäischen Union und den arabischen Golfstaaten erwartet.

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Der Bedarf ist enorm. Nach Weltbank-Schätzungen ist mehr als die Hälfte der syrischen Bevölkerung seit 2011 intern vertrieben worden oder ins Ausland geflohen; das Pro-Kopf-Einkommen liegt heute unter der Hälfte des damaligen Wertes.
Das Gesundheitssystem ist stark geschädigt; mehrere Städte, deren Bevölkerung als oppositionell galt, sind ganz oder teilweise zerstört.
Wenn Europa die Chancen nutzen will, die ein neues Syrien bietet, darf sie nicht zögerlich agieren.
Volker Perthes, Distinguished Visiting Fellow an der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Europa hat ein wohlverstandenes Eigeninteresse daran, dass Transition und Wiederaufbau in Syrien gelingen. Die EU war traditionell der wichtigste Wirtschaftspartner Syriens und kann dies auch wieder werden.
Sie wäre aber auch von einem Scheitern des Transitionsprozesses betroffen, der neue Fluchtbewegungen auslösen würde. Wenn sie die Chancen nutzen will, die ein neues Syrien bietet, darf sie nicht zögerlich agieren.
Mit diesen fünf Punkten ließe sich ein Neuansatz sichtbar machen:
- Die EU organisiert seit 2017 jährlich eine Geberkonferenz für Syrien in Brüssel. Die nächste ist im kommenden März geplant.
Um ein Zeichen zu setzen, könnte man diese in Damaskus abhalten. Noch wichtiger ist, dass erstmals auch die syrische Regierung eingeladen wird, die Agenda mitzubestimmen. - Die EU hat begonnen, die weitreichenden Sanktionen, die sie gegen Syrien verhängt hat, zu suspendieren. Restriktionen für Finanztransfers oder die Einfuhr von Investitionsgütern bleiben jedoch ein schwerwiegendes Hindernis für den Neustart der syrischen Wirtschaft, solange sie nur ausgesetzt sind. Auch syrische Unternehmer, die ihre Geschäfte während des Bürgerkriegs in Nachbarländer verlegt haben, werden nur zurückkommen und erneut investieren, wenn sie sicher sein können, dass ihre Transaktionen nicht früher oder später wieder unter Sanktionen fallen. Die EU sollte diese Sanktionen deshalb vollständig aufheben und der Versuchung widerstehen, sie gewissermaßen auf Vorrat zu halten.
- Europa muss Syrien als Teil der Region neu denken. Seit 2012 hat die EU in ihren Beziehungen zu Libanon, Jordanien, Irak oder den Golfstaaten versucht, um Syrien „herumzuarbeiten“. Jetzt besteht die Chance, Syriens geo-ökonomische Rolle als Verbindungsglied zwischen Golf und Mittelmeer, Türkei und Jordanien wiederaufleben zu lassen.
- Priorität für den Wiederaufbau haben Energie, der Gesundheitssektor und der Wohnungsbau. Eine sichere Stromerzeugung ist Voraussetzung für den Wiederaufbau syrischer Betriebe und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Deutsche Unternehmen können vor allem bei der Energieversorgung – Gaskraftwerke und Solarenergie – eine wichtige Rolle spielen.
- Deutschland verfügt nach der Türkei und dem Libanon über die größte syrische Diaspora. Anstatt eine schnelle Rückkehr syrischer Flüchtlinge zu fordern, gilt es, diese Menschen zu ermutigen und zu unterstützen, den Wiederaufbau Syriens zu unterstützen – aus Deutschland oder aus Syrien heraus. Damit könnten sie zukunftsfähige Netzwerke zwischen beiden Ländern schaffen.
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