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Baerbock in Syrien: Deutschland sollte helfen – aber vorsichtig
Deutschlands Außenministerin reist nach Damaskus und trifft sich mit den dortigen Machthabern. In Syrien kommt es jetzt auf behutsame Unterstützung an.

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Es ist ein wichtiges Signal in einer schwierigen Situation: Gemeinsam mit ihrem französischen Amtskollegen Jean-Noël Barrot reiste Annalena Baerbock am Freitag als erste EU-Außenministerin nach Syrien seit dem Sturz von Diktator Baschar al-Assad vor rund vier Wochen.
Es müsse nun einen „politischen Neuanfang“ geben zwischen Deutschland und Syrien, forderte die Grünen-Politikerin. Alle Kraft sollte daran gesetzt werden, dass das Land „den Weg in eine friedliche und stabile Zukunft für alle findet“.
Mit ihrer Reise zeigen Baerbock und Barrot den 23 Millionen Syrerinnen und Syrern: Wir unterstützen euch in dieser schweren Situation des Übergangs.
Doch an dieses Hilfsangebot knüpft Baerbock „klare Erwartungen“. Einen Neuanfang könne es nur unter Einbeziehung sämtlicher ethnischer und religiöser Gruppen, Frauen wie Männern, geben. Man wisse ja, wo die HTS-Miliz ideologisch herkomme.
Und es stimmt natürlich: Das islamistische Bündnis Hayat Tahrir al-Sham (HTS) regierte die Region Idlib im Norden des Landes vor Assads Fall weitgehend autoritär.
So ist es aus deutscher Sicht verständlich, mit den eigenen Wertvorstellungen für einen syrischen Neuanfang im Gepäck nach Damaskus zu reisen. Aber ist das auch zielführend? Fakt ist: HTS gibt in Syrien derzeit den Ton an. Den Neuordnungsprozess im Vorhinein mit Erwartungen zu überfrachten, könnte diesen eher stören und sogar Chancen auf Dialog verbauen.
Es ist sinnvoll, dass Baerbock nach Syrien reist
Ohne Zweifel sinnvoll ist es, dass Baerbock überhaupt nach Syrien reist. Mit den neuen mächtigen Männern dort ins Gespräch zu kommen, erste diplomatische Kontakte zu knüpfen, Grundlagen für einen Dialog zu legen und womöglich Kooperationen zu vereinbaren, ist für die jetzige wie für jede künftige Bundesregierung von Wert. Auch weil in Deutschland knapp eine Million Syrer und Syrerinnen leben, die einst vor Assads Folter-Regime geflohen sind.
Der Weg zur Stabilität in Syrien wird ein harter, ein schmerzvoller sein. Auf der einen Seite stehen die Freiheitskämpfer, die Gefolterten, die neuen islamistischen Machthaber. Auf der anderen: Die Schergen des Regimes, die die Rache der Unterdrückten fürchten.
Ohne den alten Machtapparat wird kein Staat zu machen sein
Ohne einen Teil des alten Machtapparats und seiner Militärstruktur aber wird kein neuer Staat in Syrien zu machen sein. Auch die verschiedenen bewaffneten Rebellengruppen müssen einbezogen werden, die Teile des Landes kontrollieren. Das ist die Realität.
Ein wenig Hoffnung gibt deshalb eine geplante Konferenz, an der möglichst alle gesellschaftliche Strömungen und Gruppen teilnehmen sollen. Neben dem nationalen Dialog ist für Syriens Zukunft aber auch internationale Akzeptanz wichtig.
Gerade erst war der neue syrische Außenminister, Asaad al-Shibani, in Saudi-Arabien, um die Beziehungen zur Öl-Monarchie zu festigen. Die Türkei wiederum wird das entstandene Vakuum an seiner Südgrenze nutzen wollen, um auf den Neuordnungsprozess Einfluss zu nehmen – gerade mit Blick auf die kurdischen Gebiete im Norden Syriens.
In diesem Spannungsfeld wäre es für das syrische Volk von unschätzbarem Wert, wenn die in Diplomatie geübten Vermittler der Europäischen Union und der Bundesregierung hier zu Seite stünde.
Tilman Schröter
Und dann ist da noch Israel, das bereits klargemacht hat, dass es eine dem jüdischen Staat feindlich gesinnte Regierung in Damaskus nicht akzeptieren werde. Vorsorglich rückten die israelischen Streitkräfte auf dem Golan weiter vor und bombardierten die syrische Militärinfrastruktur in Grund und Boden.
In diesem Spannungsfeld wäre es für das syrische Volk von unschätzbarem Wert, wenn die in Diplomatie geübten Vermittler der Europäischen Union und der Bundesregierung hier zur Seite stünden – und etwa eine Konferenz zur Neuordnung Syriens unter Einbeziehung aller wichtigen Länder organisieren würden.
Der neue mächtige Mann in Syrien und HTS-Anführer, Ahmed al-Scharaa, hat bereits angekündigt, dass der Prozess der Verfassungsgebung drei Jahre dauern könnte. Eine Wahl könnte gar erst in vier Jahren stattfinden.
Auf dem Weg zur Demokratisierung und beim Wiederaufbau der zerstörten Städte könnte Deutschland helfen. Ein solches Angebot etwa wäre sinnvoll – wenn es denn von den Syrerinnen und Syrern gewünscht ist.
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