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Befürworter der Recall-Initiative

© REUTERS/ANN WANG

Nach der Wahl ist vor der Abwahl: Taiwan streitet über chinanahe Abgeordnete

Bürgerinitiativen kämpfen gegen Abgeordnete der Opposition, die ihrer Meinung nach Taiwans Sicherheit gefährden. Jetzt könnte ein Fünftel der Parlamentarier abgewählt werden. Was ist da los?

Stand:

Seekriegsübungen, tieffliegende Hubschraubergeschwader, Probealarm, evakuierte U-Bahnhöfe voll mit Streitkräften. Dazu Applaus von Zivilisten: Während der Han-Kuang-Manöver in Taiwan vergangene Woche musste niemand den Eindruck bekommen, dass es an Bereitschaft fehlt, das Land bei einem Invasionsversuch zu verteidigen.

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Abgeordnete der Opposition könnten an diesem Samstag ihr Mandat verlieren.

Tatsächlich ist das Land – demokratisch verfasst und regiert, aber von Peking als abtrünnige Provinz angesehen – zwar eines der am ehesten von einem feindlichen Einmarsch bedrohten Gebiete der Welt.

Doch ausgerechnet dort blockiert die Opposition zusätzliche Verteidigungsausgaben.

Gekürzte Militärausgaben

Möglich ist das, weil sie im Legislativ-Yuan, dem gesetzgebenden Parlament, seit 2024 die Mehrheit und damit auch sehr viel Macht gegenüber dem direkt gewählten Präsidenten Lai Ching-te von der Demokratischen Volkspartei (DPP) und dessen Regierung hat.

Angeführt wird die Opposition von der Kuonmintang (KMT), der Partei des 1975 gestorbenen langjährigen Diktators Chiang Kai-shek. Gemeinsam mit der kleineren Taiwanischen Volkspartei (TPP) hat sie vergangenes Jahr mehrere Gesetzesänderungen im Eiltempo durchgesetzt.

Diese beschneiden unter anderem die Macht der Zentralregierung zugunsten der oft KMT-geführten Regionalregierungen. Zusätzlich erwirkte die Opposition Haushaltskürzungen, die auch die Militärausgaben betrafen.

Die KMT betreibt auch verstärkt eine Schattendiplomatie mit dem Festland, während die chinesische Führung Gespräche mit der Regierung in Taipei komplett ablehnt.

In diesem Sommer könnten sich aber, mitten in der vierjährigen Legislaturperiode, die Mehrheitsverhältnisse im Parlament wieder ändern. Denn zivilgesellschaftliche Gruppen haben erreicht, dass es für 24 KMT-Abgeordnete (insgesamt gibt es in der Volksvertretung 113) am 26. Juli „Recall“-Wahlen geben wird, für zwei weitere im August.

Chinas Staatschef Xi Jinping betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz.

© imago/Xinhua/IMAGO/Li Gang

Die Verfassung der „Republik China“, wie Taiwan offiziell heißt, ermöglicht die Abwahl direkt gewählter Abgeordneter.

Peking mischt sich ein

Es ist eine Form der direkten Demokratie: Wenn es gelingt, zunächst von einem, dann in einem weiteren Schritt von zehn Prozent der registrierten Wähler eines Wahlbezirkes Unterschriften zu sammeln, die eine solche Initiative unterstützen, muss eine „Abwahl-Wahl“ anberaumt werden.

Mobilisiert wird vor allem mit dem Vorwurf, KMT-Abgeordnete gefährdeten den Status quo Taiwans als demokratischer, de facto eigenständiger Staat. Und sie agierten im Sinne der Kommunistischen Partei Chinas. Beide Anschuldigungen weist die KMT zurück.

Auch die Führung in Peking hat sich zu Wort gemeldet: Die DPP unter Lai sei „extremistisch“, die Recalls Teil eines Versuches, eine Diktatur zu errichten, hieß es.

Zeigt sich abwehrbereit: Taiwans Präsident Lai Ching-te (l.) bei einem Militärmanöver.

© REUTERS/ANN WANG

Präsident Lai selbst wiederum sprach in einer Rede im Juni von „Unreinheiten“ in der taiwanischen Gesellschaft. Diese müsse man nachhaltig „heraushämmern“, um nationale Einheit und Souveränität zu schützen. Kritiker verstanden das als antidemokratische Drohung gegen die Opposition.

Wahlbeteiligung wird zum Knackpunkt

Dass diese Abwahl-Wahlen überhaupt stattfinden, ist bereits ein großer Erfolg der Bürgerinitiativen. Zugleich endete ein Konterversuch von KMT und TPP, ihrerseits DPP-Abgeordnete in Recalls zu zwingen, in einem Desaster: Es gelang nicht in einem einzigen Fall.

Ob es tatsächlich zur Abwahl einer bedeutenden Zahl von KMT-Legislatoren kommt, ist aber mehr als ungewiss. Denn nicht nur muss eine Mehrheit dafür stimmen, diese muss auch mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten repräsentieren.

Das setzt eine Wahlbeteiligung von mehr als 50 Prozent an einem heißen Tag mitten in den Sommerferien voraus. Viele der Sitze gehören zudem zu Hochburgen der KMT. Gegenwind kommt auch aus der Wirtschaft und vom staatlichen Rundfunk, der sich auf die Seite der Opposition geschlagen hat.

Sollten genügend KMT-Abgeordnete abgewählt werden, dann öffnet sich für die Regierung aber auch nur ein recht enges Zeitfenster.

Denn für die frei gewordenen Sitze müssen innerhalb von drei Monaten Nachwahlen angesetzt werden. In dieser Zeit müsste die Regierung ihrerseits eilig Gesetze und Nachtragshaushalte durchboxen. Die Vorwürfe, hierfür ein teilentleertes Parlament zu missbrauchen, sind programmiert.

Eine Fortsetzung der innenpolitischen Krise in einer Zeit, in der man derlei eigentlich so gar nicht gebrauchen kann, ist also wahrscheinlich.

Auf dem chinesischen Festland wird man darüber, selbst wenn die KMT Sitze verliert, nicht unglücklich sein. Die Bevölkerung Taiwans zu spalten und Zweifel an den demokratischen Institutionen zu säen, ist seit Langem Teil der Strategie Pekings.

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