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Syrer tragen ihre Habseligkeiten auf dem Weg von der Türkei nach Syrien am Oncupinar-Grenzübergang in der Nähe der Stadt Kilis im Süden der Türkei.

© dpa/AP/Khalil Hamra

Tausende reisen aus der Türkei täglich nach Syrien: „Nicht alle sind freiwillig nach Hause gegangen“

Seit Assads Sturz zieht es viele Syrer zurück in die Heimat – vor allem aus den Nachbarländern. Niedrige Reisekosten und Unsicherheit im Exil beschleunigen die Rückkehr. Ist sie von Dauer?

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Aus Deutschland sind in den elf Monaten seit dem Sturz des Diktators Baschar al-Assad knapp 3000 Syrer in ihre Heimat zurückgekehrt – in der Türkei sind es jeden Tag fast so viele.

Seit Assads Entmachtung im Dezember kehrten bisher mehr als eine halbe Million Syrer aus der Türkei heim, aus dem Libanon waren es mehr als 300.000, aus Jordanien gingen 150.000 nach Hause. Die Nahost-Staaten liegen näher an Syrien, sind ärmer als EU-Länder und bieten mehr Anreize für die Rückkehr.

Die Geografie ist für die hohe Zahl der Heimkehrer aus der Türkei ein wichtiger Faktor, sagt Omar Kadkoy, Koordinator des Programms Außen- und Sicherheitspolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul.

Entlang der mehr als 900 Kilometer langen gemeinsamen Grenze gebe es mehrere offene Übergänge. „Das senkt die Reisekosten im Vergleich mit der Rückkehr aus der EU.“ Ähnliches gilt für den Libanon und Jordanien, die im 14-jährigen Bürgerkrieg ebenfalls Millionen Syrer aufgenommen hatten.

Syrer warten Ende 2024 am Grenzübergang Oncupinar in der Nähe von Kilis in der Südtürkei darauf, von der Türkei zurück in die Heimat zu gelangen.

© dpa/Ahmed Deeb

Zudem versuchen die Nachbarstaaten, den Syrern all das schmackhaft zu machen. Die Türkei begann noch während des Bürgerkrieges in türkisch besetzten Gebieten von Nord-Syrien mit dem Bau neuer Wohnungen für Rückkehrer. Seit Assads Sturz hilft Ankara dem südlichen Nachbarn mit der Lieferung von Gas und Strom. Inzwischen gibt es auch direkte Linienflüge.

Nach dem Regimewechsel in Damaskus bot die Türkei den Syrern zeitlich begrenzte Schnupperbesuche an. Bis Ende Juni konnten sie die Lage in der Heimatregion auskundschaften, ohne den Aufenthaltsstatus in der Türkei zu verlieren.

3,6
Millionen Syrer und Syrerinnen lebten zwischenzeitlich in der Türkei. Heute sind es etwa 2,5 Millionen.

Amtlichen türkischen Angaben zufolge kam die Rückkehrwelle im Juni richtig ins Rollen, als das Schuljahr endete. Derzeit passieren jeden Tag rund 2500 Menschen die Grenzen.

Die Zahl der Syrer in der Türkei, die im Bürgerkrieg vorübergehend 3,6 Millionen erreicht hatte, ist inzwischen auf rund 2,5 Millionen gefallen. Gut eine halbe Million Menschen gingen schon vor Assads Sturz nach Hause, seit Dezember wurden weitere 550.000 Ausreisende registriert.

UN-Flüchtlingswerk zahlt „Heimkehrhilfe“

Im Libanon und in Jordanien, die im Krieg jeweils mehr als eine Million Syrer aufgenommen hatten, zahlt das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR eine Heimkehrhilfe von 100 US-Dollar pro Kopf; in Jordanien gibt es dazu Gratis-Heimreisen per Bus.

Die libanesische Regierung verzichtet bis Ende des Jahres auf eine Bestrafung von Flüchtlingen ohne Aufenthaltsrecht, wenn sie nach Hause gehen.

Noch wichtiger für die Entscheidung zur Rückkehr sind rechtliche Hürden in den Gastländern. In der Türkei genießen Syrer kein Asyl, sondern nur einen vorübergehenden Schutzstatus. Das bedeutet eingeschränkten Zugang zu Arbeitsgenehmigungen, eine verbreitete Ausbeutung syrischer Arbeiter und eine Zuteilung des Wohnorts.

Syrer feiern in der Türkei den Sturz des langjährigen Diktators Baschar al-Assad in ihrer Heimat – und ein Ende des 14 Jahre dauernden Bürgerkriegs.

© AFP/Yasin Akgul

All das verunsichert nach Einschätzung von Kadkoy viele Menschen und lässt eine Rückkehr vorteilhafter erscheinen. Die Wirtschaftskrise in der Türkei und sporadische Fremdenfeindlichkeit verstärken den Trend. In anderen Nachbarländern ist die Lage ähnlich.

Sie drängen Menschen zur Rückkehr, selbst wenn die Perspektive dort ungewiss ist.

Kristof Kleemann, Projektdirektor Libanon und Syrien der Friedrich-Naumann-Stiftung in Beirut

„Die schwere wirtschaftliche Krise im Libanon, steigende Lebenshaltungskosten, eine zunehmende rechtliche Unsicherheit und der Rückgang internationaler Hilfsleistungen setzen viele Geflüchtete unter enormen Druck“, sagt Kristof Kleemann, Projektdirektor Libanon und Syrien der Friedrich-Naumann-Stiftung in Beirut.

Menschenrechtler berichten über Abschiebungen

All das „sind starke Push-Faktoren; sie drängen Menschen zur Rückkehr, selbst wenn die Perspektive dort ungewiss ist. Unter diesen Bedingungen erscheint die weiterhin schwierige Lage in Syrien manchen als das geringere Risiko“.

Manchmal müssen Heimkehrer wieder fliehen. Nach Massakern sunnitischer Kämpfer im Alawiten-Gebiet an der syrischen Mittelmeerküste im März flohen rund 40.000 Menschen erneut in den Libanon.

„Viele Rückkehrbewegungen verlaufen informell, sind nicht vollständig dokumentiert, und nicht jede Heimkehr ist dauerhaft“, sagt Kristof Kleemann. „In vielen Fällen handelt es sich eher um eine ‚erzwungene Freiwilligkeit‘ als um eine stabile, nachhaltige Reintegration.“

Menschenrechtler berichten zudem von Abschiebungen, die als freiwillige Rückreisen deklariert würden. Amnesty International warf der Türkei während des Bürgerkrieges vor, Syrer in angeblich sichere Gegenden ihres Heimatlandes zu deportieren. „Nicht alle Syrer sind freiwillig nach Hause gegangen“, sagt auch der Experte Kadkoy in Istanbul.

Die Vereinten Nationen reagierten auf diese Vorwürfe mit verstärkten Kontrollen. In der Türkei beobachtet das UNHCR die Rückkehr der Flüchtlinge an den Grenzen, damit die Menschen „sicher, in Würde und voll informiert“ nach Hause gehen, wie die Organisation mitteilte.

Im Libanon und in Jordanien schalten sich die UN noch direkter ein. Dort sollen persönliche Gespräche der potenziellen Heimkehrer mit UN-Vertretern garantieren, dass die Syrer wirklich freiwillig gehen.

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