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Jeff Bezos, der Eigentümer der Washington Post

© Gestaltung: Tagesspiegel/Getty/Michael M. Santiago; Freepik; Imago

Thank God It’s International Friday 25: Die Demokratie stirbt am helllichten Tag

Die Themen der Woche: Trump und Vance schikanieren Selenskyj | Bezos führt die Washington Post auf Abwege | Kampf um die Pressefreiheit in Washington

Anja Wehler-Schöck
Eine Kolumne von Anja Wehler-Schöck

Stand:

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Waren Sie überrascht? Bei mir war es eher zunehmende Ernüchterung, die ich verspürte, als ich am Freitagabend die Meldungen über den Eklat im Weißen Haus zwischen Präsident Trump, seinem Vize Vance und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj gelesen habe.

Über die Frage, wie viel Menschlichkeit tatsächlich in der Politik früherer US-Regierungen steckte, lässt sich streiten. Woran Trump und Vance mit diesem Streit jedoch keinen Zweifel lassen, ist, dass für sie offenkundig noch nicht einmal der Anschein zählt.

Wer Gefallen daran findet, Wolodymyr Selenskyj vor den Augen der Weltöffentlichkeit zu schikanieren, einen Mann, der es zu Beginn der russischen Invasion abgelehnt hat, mit seiner Familie ins sichere Ausland zu fliehen und seitdem mit der Ukraine um deren Überleben kämpft, der beweist vor allem eines: dass er keinen moralischen Kompass besitzt.

Dass Trump und Vance von Selenskyj öffentliche Respektsbekundung und Danksagungen einfordern, zeigt: hier steht nicht die Beendigung eines furchtbaren Kriegs im Vordergrund, hier geht es um ihre Egos. Selenskyj ist für Trump und Vance kein Gesprächspartner auf Augenhöhe, dem seinerseits Respekt gebührt, sondern ein reiner Bittsteller, der gemaßregelt und abgefertigt werden kann.

Empörtes Europa

Kein Wunder, dass die entrüsteten Reaktionen unter den Verbündeten der Ukraine nicht lange auf sich warten ließen. Doch mit Empörung ist niemandem geholfen. Um die Ukraine bestmöglich zu unterstützen, gilt es für Europa nun, einen kühlen Kopf zu bewahren und schnell, aber besonnen zu handeln. Und mehrgleisig zu fahren: Die eigenen Kapazitäten zügig auszubauen, andere Partnerschaften in Erwägung zu ziehen, gegenüber den USA gleichzeitig aber weiterhin Gesprächsbereitschaft zu signalisieren.

Welche Rolle kann China spielen? Auch diese Frage ist vor dem Hintergrund des gestrigen Eklats noch einmal wichtiger geworden. Ob und wie die asiatische Supermacht zum Wiederaufbau der Ukraine beitragen könnte, analysieren Helena Legarda und Abigaël Vasselier von MERICS in ihrem aktuellen Gastbeitrag für den Tagesspiegel.

Truth Social, X … und die Washington Post?

Als Amazon-Gründer Jeff Bezos 2013 die Washington Post kaufte, sorgten sich viele Beobachter, ob dies das Ende der Unabhängigkeit der ikonischen Zeitung einläuten würde. Doch einige Jahre sah es danach aus, als würde das nicht geschehen.
Dank Bezos war die Post finanziell abgesichert und aus redaktionellen Entscheidungen hielt sich der Milliardär heraus.

Bis er Ende Oktober vergangenes Jahr in letzter Minute die Wahlempfehlung des Meinungsressorts für Kamala Harris stoppte und damit mit einer jahrzehntelangen Tradition der Zeitung brach. Über 300.000 Leserinnen und Leser kündigten daraufhin innerhalb weniger Tage ihre Abonnements. Mehrere Autoren verließen die Zeitung, darunter Editor-at-Large Robert Kagan.

Und es war erst der Anfang einer problematischen Entwicklung: Im Januar kündigte die preisgekrönte Karikaturistin Ann Telnaes, nachdem die Veröffentlichung eines ihrer Cartoons verhindert wurde. Auf der Zeichnung war zu sehen, wie sich Bezos und andere prominente Geschäftsmänner Donald Trump andienen.

Die Skizze der abgelehnten Karikatur von Ann Telnaes.

© Ann Telnaes

Doch Bezos‘ Entscheidung zur redaktionellen Neuausrichtung der Washington Post von dieser Woche toppt alle bisherigen Eingriffe. Und stellt die Zukunft der Zeitung grundsätzlich infrage. Die Post wolle fortan keine Meinungsseite mehr veröffentlichen, die das gesamte Spektrum abdecke.

„We are going to be writing every day in support and defense of two pillars: personal liberties and free markets,” schrieb Bezos am Mittwoch in einer Nachricht an die Belegschaft. „We’ll cover other topics too of course, but viewpoints opposing those pillars will be left to be published by others.“ Für ein breites Meinungsspektrum gebe es ja „das Internet“, so Bezos. Lob gab es prompt von Elon Musk: „Bravo!“, kommentierte er Bezos’ Entscheidung.

Während der ersten Trump-Administration hatte sich die Washington Post das Motto „Democracy dies in darkness“ gegeben. Nun soll die Zeitung wohl auf Linientreue eingeschworen werden. Allem Anschein nach braucht es inzwischen für das Sterben der Demokratie keine Dunkelheit mehr, es kann am helllichten Tage geschehen.

Immerhin setzte WaPo-Kommentator Dana Milbank dem Aufschrei gegen Bezos’ Eingriff einen Trump-kritischen Kommentar entgegen, in dem er die Politik der aktuellen US-Regierung als die wahre Bedrohung für individuelle Freiheiten und freie Märkte bezeichnete. Ich werde mit Spannung beobachten, wie lange solche Beiträge unter der Neuausrichtung der Zeitung noch erscheinen werden können.

Weißes Haus: Auf der Suche nach der Pressefreiheit

Wer in Washington derzeit jedenfalls die Fahne der Pressefreiheit hochhält, ist meine Kollegin Juliane Schäuble, die US-Korrespondentin des Tagesspiegels. Sie ist momentan als einzige Vertreterin eines deutschsprachigen Mediums Mitglied der Foreign Press Group im Weißen Haus.

Wie die Trump-Administration nun auf die Zugänge, Organisation und Arbeitsweise der akkreditierten Journalisten Einfluss nehmen will, beschreibt sie in der aktuellen Ausgabe unseres Newsletters Washington Weekly. Haben Sie ihn noch nicht abonniert? Dann können Sie das hier tun. Lesen Sie hier, wie das Weiße Haus den Medien den Kampf ansagt und Journalistinnen und Journalisten auf Linie bringen will.

Diskutieren Sie mit!

Jeder Tag wirkt derzeit, als könne er alleine bereits zum historischen Wendepunkt gereichen. Dass wir derzeit einen geopolitischen Epochenbruch erleben, steht außer Frage. Doch was kommt danach?

Wie eine neue Weltordnung aussehen könnte, skizziert Joschka Fischer in seinem neuen Buch. Darüber, was das neue Gefüge für die deutsche und europäische Politik bedeutet, werde ich mit dem ehemaligen Außenminister am 13. März in der Urania diskutieren. Seien Sie mit dabei! Hier können Sie sich hier ein Ticket sichern.

Bereits in der kommenden Woche lädt der Tagesspiegel Sie herzlich zu einem Live-Gespräch mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann in unserer Online-Reihe High Noon ein. Am Mittwoch, dem 5. März um 12h15 werden meinen Kollegen Moritz Honert und Stefanie Witte mit der Europaabgeordneten über die Zukunft der FPD und Europas Sicherheit diskutieren. Hier geht’s zur Anmeldung.

Das war’s von mir für heute. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

Herzlich

Ihre Anja Wehler-Schöck

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