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Thank God It’s International Friday 53: Wird 2026 das Jahr der Entscheidung für Selenskyj?
Die Themen der Woche: Das hat die „Schicksalswoche“ für die Ukraine gebracht | US-Senat weist Trump-Regierung in die Schranken | Wie wird man glücklich?

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Von der Woche, die hinter uns liegt, hatten sich viele erhofft, dass sie zu einem Durchbruch für die Ukraine führen würde. Im Kanzleramt hatte man sie gar als „Schicksalswoche“ bezeichnet. Beides hat sich nicht verwirklicht.
Der Ukraine steht ein viertes Weihnachten im Krieg bevor. Zu einem Waffenstillstand wird es bis dahin kaum mehr kommen. Was bleibt von dieser Woche? Insgesamt düstere Aussichten, aber auch ein paar positive Signale.
Kooperation statt Konfrontation: Verhandlungen in Berlin
Nach dem rauen Wind der vergangenen Monate standen die Zeichen bei den Verhandlungen zwischen der US-Regierung und Europa in Berlin Anfang dieser Woche wieder mehr auf Kooperation als auf Konfrontation. Peter Rough vom konservativen Thinktank Hudson Institute hat mir dazu am Montag gesagt: „Wenn die USA, Europa und die Ukraine eine gemeinsame Position finden, was derzeit der Fall zu sein scheint, sich Moskau aber weiterhin unnachgiebig zeigt, könnte Russland bald in die Defensive geraten.“
Wohlgemerkt: Die „gemeinsame Position“ wäre für die Ukraine und Europa in jedem Fall immer noch ein schmerzhafter Kompromiss. Zentrale Fragen, etwa um Gebietsabtretungen, bleiben weiterhin ungeklärt. Die Dialogbereitschaft mit Europa, die die US-Regierung in Berlin gezeigt hat, empfinde ich dennoch als Fortschritt.
Rough sieht in Sicherheitsgarantien den „alles entscheidenden Punkt“. Eine Garantie für die Ukraine ähnlich der Nato-Beistandsklausel, wie sie die USA in Berlin angeboten haben, würde die Glaubwürdigkeit der USA auf die Probe stellen, sagt er. Warum, lesen Sie hier. 👇
Transatlantisches Bekenntnis des US-Senats
Der US-Senat hat am Mittwoch bewiesen, dass er eine Abkehr der USA von Europa und der Nato, wie sie der Trump-Administration vorschwebt, nicht mitträgt. Er verabschiedete ein umfassendes Verteidigungsgesetz, mit dem er der Regierung enge Grenzen setzt, zum Beispiel was den erwarteten Truppenabzug aus Europa betrifft. Hierfür sieht das Gesetz eine Untergrenze von 76.000 US-Soldaten vor, was nahe am Status quo liegt.
Insgesamt verstärkt das Gesetz die parlamentarische Kontrolle über Entscheidungen des Pentagon, etwa wenn es um Veränderungen in der geheimdienstlichen Unterstützung für die Ukraine geht. Das Paket enthält zusätzliche US-Mittel für die Stärkung der Nato-Ostflanke sowie für die militärische Unterstützung der Ukraine – allerdings auf einem deutlich niedrigeren Niveau als in den Vorjahren.
Geld für die Ukraine – aber kein russisches
Vor dem Hintergrund der sinkenden Mittel aus den USA ist die Ukraine noch stärker auf Hilfen aus Europa angewiesen. Die Nutzung der eingefrorenen russischen Vermögenswerte hierfür wäre ein starkes Signal gewesen – sowohl in Richtung Kiew als auch nach Moskau – und eine europäische Machtdemonstration.
Bundeskanzler Friedrich Merz ist mit seiner Unterstützung für dieses Vorhaben ins Risiko gegangen. Das ist es, was Führung auszeichnet. Dass er damit gescheitert ist, schmälert das nicht. Die vorgetragenen Bedenken der Kritiker sind nachvollziehbar: etwa die Sorge um die weltweite Wahrnehmung der Anlagensicherheit in Europa oder Belgiens Angst vor juristischen Schritten Russlands.
Noch schwerer wiegt ein grundsätzliches Dilemma, das bislang nicht aufgelöst werden konnte: Wenn die EU weltweit auf eine regelbasierte Ordnung pocht, muss sie selbst auch für die Einhaltung dieser Normen stehen. Gleichzeitig darf die EU nicht riskieren, in einer Welt, die von Epochenbrüchen gekennzeichnet ist, durch Rigidität zur Randfigur zu werden. Um zu bestehen, muss die EU – im Einklang mit ihren Werten – neue Wege denken.
Der Gipfel am Freitag endete dennoch in einer Einigung: Die EU wird die Ukraine in den kommenden beiden Jahren mit einem zinslosen Darlehen von 90 Milliarden Euro unterstützen. Das Ergebnis verdeutlicht die innereuropäischen Lager: Auf der einen Seite die Kritiker des Vorhabens, die dennoch mit aller Kraft die existentiellen Hilfen für die Ukraine sichern wollten. Auf der anderen die Blockierer – Ungarn, Tschechien und die Slowakei beteiligen sich nicht am Hilfspaket. Von „europäischer Einheit“ kann auch hier eben nur mit Einschränkung gesprochen werden.
Haben Sie Fragen an Putin?
Putin bewegt sich indes mit Blick auf ein Kriegsende in der Ukraine keinen Zentimeter. Die europäische Angst bleibt Putins größtes Pfand. Und er weiß damit zu spielen. Bei seiner traditionellen Jahrespressekonferenz am Freitag suggerierte er, die EU würde dann künftig wegen jeder Meinungsverschiedenheit, zum Beispiel zu LGBTQ-Rechten, Vermögenswerte anderer Staaten konfiszieren.
2,5 Millionen Fragen sollen für Putins jährlichen „Bürgerdialog“ laut den russischen Staatsmedien eingegangen sein. Wirklich beantwortet hat er davon – wenig überraschend – keine. Stattdessen spielte er sein übliches Propaganda-Programm ab und machte der „simulierten“ Demokratie, als die Russland gelegentlich bezeichnet wird, wieder einmal alle Ehre.
Wie schwierig unabhängige Berichterstattung aus Russland in den vergangenen Jahren geworden ist, hat diese Woche der Fall Deutsche Welle gezeigt. Der Auslandssender wurde offiziell als „unerwünschte Organisation“ eingestuft. Wer in Russland nun mit dem Sender zusammenarbeitet, macht sich damit fortan strafbar.
Wahlen in der Ukraine?
Großer Demokratie-Fan ist Putin vor allem, wenn es um Wahlen in anderen Ländern geht. Zum Beispiel in der Ukraine. Der russische Präsident versprach dem Land am Freitag Sicherheit, wenn es Wahlen abhalte. Diese Idee hatte der Kreml den USA bereits für den „28-Punkte-Plan“ gepitcht.
In der Ukraine herrscht seit der russischen Vollinvasion 2022 Kriegsrecht, Wahlen sind ausgesetzt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich bereiterklärt, wählen zu lassen, wenn dafür sichere Bedingungen herrschen. Russland setzt seine Angriffe auf die Ukraine allerdings ungemindert fort. Großzügig kündigte Putin am Freitag an, „zumindest am Wahltag von Angriffen tief in ukrainisches Territorium“ abzusehen.
Dass ausgerechnet ein Diktator wie Putin fordert, dass Wahlen abgehalten werden, hat etwas Zynisches. Ziel des russischen Präsidenten ist mit Sicherheit nicht, die kriegsgebeutelte Ukraine wieder zu einer gefestigten Demokratie zu machen. Im Gegenteil. Das fragile Land wird sich, sollte es zu Wahlen kommen, schwer gegen politische Einmischung und Manipulation zur Wehr setzen können. Und daran, dass dies aus Russland zu erwarten ist, besteht kein Zweifel.
Putins Krieg: Kein Ende in Sicht
Peter Rough geht davon aus, dass Putin selbst nach einem Waffenstillstand „mindestens einen massiven Informationskrieg gegen Präsident Selenskyj und die Ukrainer führen“ würde.
Auch die hybride Kriegsführung gegen Europa werde der russische Präsident fortsetzen. Dagegen helfen würden aus Roughs Sicht nur offensive Gegenmaßnahmen. Europa müsse den Fehler vermeiden, seine Optionen im Konflikt mit Russland auf zwei zu reduzieren: die eine große militärische Operation oder Nichtstun.
„Vielleicht ist es einfach mal notwendig, dass die Lichter in der Moskauer Metro einen Morgen lang ausgehen“, wiederholte Rough einen Vorschlag, den er Mitte November bereits in einer Anhörung im US-Kongress formuliert hatte. Anders komme die Botschaft bei den Russen wohl nicht an.
Wie wird man glücklich?
Auf einer solchen Note möchte ich den letzten Newsletter des Jahres nicht enden lassen. Daher berichte ich Ihnen noch von einer Erfahrung, die sich für mich auch nach ein paar Wochen noch immer etwas surreal anfühlt: Jahrelang habe ich regelmäßig den Podcast der US-Glücksexpertin Gretchen Rubin gehört. Und dann saß ich Ende November auf einmal in ihrem Apartment an der New Yorker Upper East Side auf dem Sofa.
Zwei Stunden lang haben wir uns über alles Mögliche unterhalten: was unsere Lieblingsbücher sind, warum ihr Aufräumen so viel Spaß macht, wie man sich bei Familienfeiern nicht streitet und wie Neujahrsvorsätze funktionieren.
Darüber, wie brauchbar Gretchen Rubins Ansätze und Ratschläge in der Praxis tatsächlich sind, sind Tagesspiegel-Interview-Chefin Esther Kogelboom und ich geteilter Meinung. Urteilen Sie selbst: Am Dienstag, den 23. Dezember können Sie das von Moritz Honert liebevoll auf die passende Länge zurechtgeschlachtete Gespräch im Tagesspiegel lesen.
Mein „Ein-Wort-Thema“ für 2026
Einer der Tipps von Gretchen Rubin lautet, für sich ein „Ein-Wort-Thema“ für das kommende Jahr auszuwählen. Als Rahmen für die wichtigen Dinge, die man erreichen möchte. Ich habe mir das Wort „Wachheit“ überlegt.
Warum? Ganz persönlich möchte ich als dauermüder Mensch meine Schlafgewohnheiten verbessern. Gesellschaftlich möchte ich nicht müde werden, die entscheidende Bedeutung des Qualitätsjournalismus für die Demokratie aufzuzeigen und mit meiner eigenen Arbeit dafür zu stehen. Und ich möchte wach bleiben: für die Gefahren, denen die Demokratie gegenwärtig weltweit ausgesetzt ist.
Ich wünsche Ihnen schöne Feiertage und einen guten Start ins neue Jahr. Wir lesen uns wieder am Freitag, den 9. Januar. Machen Sie’s gut bis dahin.
Herzlich
Ihre Anja Wehler-Schöck
P.S.: Vielen Dank an Maria Glage für die Graphik und an Johannes Altmeyer für die stetige Unterstützung.
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