
© AFP/Valery Sharifulin
Wegen Verrats europäischer Werte: Störer nähert sich Orbán bei EU-Pressekonferenz und nennt ihn Verräter
Die Kritik an Victor Orbán hält an: Ein Störer näherte sich dem ungarischen Regierungschef, um ihm Verrat vorzuwerfen. Aus der EU heißt es, Orbán wolle die europäische Idee „niederbrennen“. Zudem setzt er auf Trumps Sieg.
Stand:
Ein Störer hat sich Viktor Orban bei einer EU-Pressekonferenz in Straßburg auf rund eineinhalb Meter nähern können. Dabei warf er Papiergeldscheine in die Luft und rief: „Für wie viel Geld haben Sie die Heimat verraten, Herr Ministerpräsident?“ Sicherheitskräfte eskortierten den Störer im Anschluss aus dem Raum.
Der Störer ist Marton Gyekiczki, Funktionär der linksliberalen oppositionellen Demokratischen Koalition (DK) des ehemaligen ungarischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsany, wie die Fraktion der Demokraten und Sozialisten (S&D) bestätigte.
Gyekiczki erklärte, er sei nach Straßburg gekommen, um Orban ins Gesicht zu sagen, dass er ein Verräter sei. Er habe gemeinsame europäische Werte verraten und könne deshalb Europa nicht vertreten. Zuvor hatten bereits einige Grüne nahe dem Auftrittsort von Orban Plakate hochgehalten, auf denen zu lesen war „Stop the Steal“ (auf Deutsch in etwa: Stoppt den Diebstahl).
Der ungarischen Regierung wird immer wieder vorgeworfen, EU-Gelder zu missbrauchen. Zudem wurden mehrfach Verfahren gegen Ungarn eingeleitet, weil sich das Land aus Sicht der EU-Kommission nicht an EU-Recht hält. Jüngst wurde Budapest deswegen auch vom EuGH zu einer Millionen-Geldstrafe verurteilt.
Harter Schlagabtausch erwartet
Im Europaparlament kündigt sich ein harter Schlagabtausch mit dem ungarischen Regierungschef an. Der Vorsitzende der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU), nannte die ungarische EU-Ratspräsidentschaft am Dienstag einen „Totalausfall“.
Der Rechtsnationalist habe sich in Europa „völlig isoliert“ – unter anderem wegen seiner prorussischen Politik. Aus anderen demokratischen Parteien hieß es, Orbán sei ein geistiger „Brandstifter“ und seine Regierung korrupt.
Orbán will sich am Mittwoch im EU-Parlament zu den Prioritäten seines Landes äußern, das in diesem Halbjahr den EU-Ministerräten vorsitzt. Weber will die anschließende Plenardebatte eröffnen und kündigte als zweiten Redner den ungarischen Oppositionsführer Peter Magyar an. Magyar gilt als Orbáns wichtigster Rivale und sitzt seit den Europawahlen im Juni für die Mitte-Rechts-Partei Tisza im EU-Parlament.
Weber bestätigte, dass die ungarische Justiz die Aufhebung von Magyars Immunität fordert. Medienberichten zufolge könnten dem Oppositionsführer dann Ermittlungen wegen mutmaßlichen Diebstahls drohen.
Magyar nahm demnach einem Mann sein Handy ab, als dieser ihn gegen seinen Willen filmte und warf das Telefon in die Donau. Weber warf der ungarischen Regierung vor, den Fall zu „politisieren“.
Kritik: Orbán strecke „Feinden der EU die Hand aus“
Auch aus anderen Gruppen im Europaparlament kam scharfe Kritik an Orbán. Die Fraktionschefin der Sozialdemokraten, Iratxe García Pérez, warf dem dienstältesten Regierungschef der EU vor, „den Feinden der Europäischen Union die Hand auszustrecken“.
Er vertrete die Interessen Russlands und Chinas, sagte sie unter Anspielung auf Orbáns Reisen zu Kreml-Chef Wladimir Putin und Chinas Staatschef Xi Jinping zu Beginn des Ratsvorsitzes im Juli.
„Korruption und Misswirtschaft“
Die Vorsitzende der liberalen Renew-Fraktion, Valérie Hayer, nannte Orbán einen geistigen „Brandstifter“, der die europäische Idee aufs Spiel setze. „Er will das demokratische, liberale und tolerante Europa niederbrennen“, betonte sie.
Der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund warf Orbáns Regierung „Korruption und Misswirtschaft“ vor. Wegen des Vorwurfs der Veruntreuung europäischer Haushaltsmittel sowie Rechtsstaatsverstößen sind noch mehr als 20 Milliarden Euro an EU-Fördergeldern für Ungarn eingefroren.
Orbán wollte bereits nach seiner Ankunft in Straßburg am Dienstagnachmittag vor die Presse treten. Den Termin hat die neue Rechtsaußen-Fraktion „Patrioten für Europa“ organisiert.
Ihr gehören neben Orbáns Fidesz-Partei unter anderem das Rassemblement National (Nationale Sammlungsbewegung) der französischen Rechtspopulistin Marine Le Pen und die FPÖ aus Österreich an.
Hoffnung auf Trumps Sieg
Der ungarische Regierungschef setzt auf einen Sieg des Republikaners Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl am 5. November. „Wir werden mehrere Flaschen Champagner öffnen, wenn Trump gewählt wird“, sagte der Rechtsnationalist am Dienstag im Europaparlament in Straßburg vor Journalisten. Orban verwies auf Trumps Aussage, er werde den Ukraine-Krieg so schnell wie möglich beenden.
Orban hatte Trump im Juli am Rande des Nato-Gipfels in den USA getroffen. Wenige Tage zuvor hatte er Kreml-Chef Wladimir Putin in Moskau besucht. Die EU- und Nato-Partner verurteilten diese selbst erklärte „Friedensmission“ scharf.
In der Asylpolitik rief Orban die anderen EU-Länder auf, dem Beispiel Ungarns zu folgen und keine Migranten mehr nach Europa zu lassen. Seit 2015 hätten ihm deshalb viele Europäer vorgehalten, er sei „ein Idiot“ oder „irgendwie böse“. „Am Ende des Tages werden mir alle zustimmen“, fügte er hinzu.
EU-Gerichte hatten Ungarn mehrfach wegen seiner Verstöße gegen die gemeinsame Asylpolitik verurteilt. Erst im Juni verhängte der Europäische Gerichtshof eine Rekordstrafe von 200 Millionen Euro. Die ungarische Regierung weigerte sich, zu zahlen.
Orban begrüßte zudem die Wahlerfolge von Rechtspopulisten in Ostdeutschland oder Österreich. Es gebe einen „großartigen Wandel“ weg von der „Mainstream-Elite“ aus Linken, Liberalen und Politikern der Mitte. Europa brauche „starke Anführer“, forderte er - auch in Deutschland, Frankreich und Spanien. (AFP, dpa)
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