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Videoaufnahme der trans Person an der Grundschule in Nashville, Tennessee.

© picture alliance / AA/METROPOLITAN NASHVILLE PD

Kinder an Grundschule erschossen: Was das Massaker von Nashville heraushebt

Bei „mass shootings“ in den USA sind die Täter meistens Männer. Und die Opfer Erwachsene. Die Bluttat in Tennessee erschüttert auch wegen der außergewöhnlichen Umstände.

Schon die blutige Regelmäßigkeit entsetzt. Alle zwei bis drei Wochen sterben in den USA Menschen bei Schusswaffenmassakern. Doch manche dieser Bluttaten treffen besonders tief ins Herz.

Zum Beispiel wenn die Opfer Kinder sind. Oder wenn eine Frau die Täterin ist. Beides ist sehr selten. Nach jüngsten Erkenntnissen der Polizei ist es noch komplizierter. Es handele sich um eine trans Person. Diese Umstände heben das jüngste Massaker an einer christlichen Grundschule in Nashville, Tennessee, heraus aus der traurigen Statistik.

Polizeichef John Drake hatte zunächst eine Frau als Täterin benannt: die 28-jährige Audrey Hale. Inzwischen spricht Drake von einer trans Person. In mehr als 95 Prozent der „mass shootings“ sind die Täter Männer, zeigt die Datenbank des Rockefeller Institute of Government zu Massakern seit 1966.

An einer improvisierten Gedenkstätte vor der Schule legen Trauernde Blumen und Teddybären ab.
An einer improvisierten Gedenkstätte vor der Schule legen Trauernde Blumen und Teddybären ab.

© AFP/Brendan Smialowski

In der konfessionellen Privatschule der Covenant Presbyterian Church im wohlhabenden Wohnviertel Green Hills, wenige Meilen südlich der Innenstadt von Nashville, erschoss die 28-jährige Person drei neunjährige Kinder und drei Lehrer im Alter um die 60 Jahre.

Die trans Person ging dort zur Schule

Es war keine Affekthandlung. Sie hatte die Tat detailliert geplant und vorbereitet. Ihr Motiv wird noch untersucht. Sie besuchte früher selbst die 2001 gegründete Grundschule, muss also den ersten Jahrgängen dort angehört haben. Womöglich haben Konflikte dazu beigetragen, die sich aus ihrer geschlechtlichen Identität und dem konservativen Umgang damit an einer christlichen Schule ergeben.

Das Schulkonzept zielt auf kleine Klassen ab. Auf acht Schüler kommt ein Lehrer. Die Schulgebühren betragen 16.000 Dollar im Jahr.

Auch der Tatort sticht heraus. Grundschulen sind ähnlich selten wie weibliche Täter. Wenn Kinder Opfer werden, die nicht einmal Highschool-Alter erreicht haben, erschüttert das die Gesellschaft noch mehr.  

Die Schießerei an der Sandy-Hook-Grundschule in Newtown, Connecticut im Dezember 2012 hatte diese emotionale Wirkung gezeigt. Präsident Barack Obama weinte vor laufenden Kameras. Dort hatte ein psychisch kranker 20-Jähriger 20 Erstklässler und sechs Betreuer erschossen.

Das Rockefeller Institute definiert „mass shootings“ als geplanten Schusswaffengebrauch durch einen oder mehrere Täter an einem öffentlichen Ort, durch den binnen 24 Stunden mehrere Menschen getötet oder verletzt werden – in Abgrenzung zu privaten Tatorten und „gang violence“.

95
Prozent der Täter von „mass shootings“ sind Männer.

Der Großteil dieser Massaker betrifft den Arbeitsplatz, öffentliche Straßen und Plätze, Einkaufsmalls, Kinos und Ähnliches. 25 Prozent entfallen auf Schulen und der Großteil davon auf Highschools nach dem Muster des ersten bewusstseinsbildenden Massakers an der Columbine High School in Colorado 1999. Grundschulen sind selten Schauplätze.

Die Zahl der „mass shootings“ hat deutlich zugenommen. Von 1966 bis 1975 zählt das Rockefeller Institute nach seiner Definition zwölf. Von 2011 bis 2020 bereits 160.

600
Schusswaffenmassaker jährlich zählt Statista in den USA seit 2020.

Andere Statistiken, die eine weiter gefasste Definition von Schusswaffenmassakern benutzen, kommen zu nochmals höheren Zahlen. Laut Statista waren es in jedem Jahr seit 2020 mehr als 600.

Schusswaffen und ihre Regulierung sind ein hoch emotionales und kontroverses Thema in den USA. Konservative erklären den Besitz und das öffentliche Tragen von Schießeisen zu einer der Grundfreiheiten. Progressive werben für Verbote besonders tödlicher Schnellfeuerwaffen und eine schärfere Regulierung.

Nach dem Massaker gehen Demokraten den republikanischen Kongressabgeordneten von Nashville Andrew Ogles hart an. Er hatte 2021 eine Weihnachtskarte verschickte, auf der er, seine Frau und Kinder mit Gewehren vor dem Weihnachtsbaum posieren.

Ein Polizist vor dem Eingang der betroffenen Schule.
Ein Polizist vor dem Eingang der betroffenen Schule.

© dpa/John Amis

Es gibt weit krassere Beispiele der Bildsprache mit Symbolen aus Krieg und Jagd in den USA. Ebenso bei der Wortwahl in der parteipolitischen Auseinandersetzung. Deutsche kennen die unschuldig gemeinte Floskel „Schießen Sie los!“ zu Beginn eines Gesprächs.

Verharmlosung von Waffengewalt nicht selten

In Amerika geht das viel weiter. Sarah Palin, die republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin 2008, arbeitete mit Wahlkreiskarten, auf denen sie die Gesichter politischer Gegner mit einem Fadenkreuz markierte.

In Anspielung auf den überraschenden Sieg des Republikaners Scott Brown bei der Senatsnachwahl in Massachusetts im Januar 2010 gab sie die Parole aus, die Kongresswahl im November sei die Gelegenheit „to reload“ – nachzuladen.

Nicht Waffen töten Menschen. Sondern Menschen töten Menschen.

Gängiger Slogan der US-amerikanischen Waffenlobby

Das fanden viele unterhaltsam, bis die demokratische Abgeordnete Gabrielle Giffords im Januar 2011 bei einem Treffen mit Wählern in Tucson, Arizona niedergeschossen wurde.

Ihr republikanischer Herausforderer bei der Kongresswahl kurz zuvor war der 29-jährige Jesse Kelly, Unteroffizier bei der Elitetruppe US Marines. Er hatte im Wahlkampf um Hilfe gebeten, „Gabrielle Giffords aus dem Amt zu entfernen“. Und Wähler eingeladen, „eine vollautomatische M 16 mit mir leer zu schießen“, das Schnellfeuergewehr der Marines.

Sind nach dem Massaker von Nashville Fortschritte bei den Waffengesetzen zu erwarten? Angesichts dieser gegensätzlichen Einstellungen zu Waffen wohl kaum.

Verschärfung der Waffengesetze unwahrscheinlich

Die außergewöhnlichen Umstände dieses Falls ändern wenig an den eingeübten Begründungen beider Lager, was zu tun sei – oder was dagegen spreche.

Es bringe nichts, Waffen zu verbieten, behauptet die Waffenlobby: „Nicht Waffen töten Menschen. Sondern Menschen töten Menschen.“

Zu den Fakten des Rockefeller Institute gehört auch: „mass shootings“ sind nur ein kleiner Ausschnitt der Waffengewalt in den USA. 2020 starben mehr als 45.000 Menschen durch Schusswaffengebrauch. Mehr als die Hälfte davon waren Selbstmorde. Der Großteil der übrigen Toten entfiel auf Auseinandersetzungen im kriminellen Milieu und private Beziehungstaten.

Für die Familien der toten Neunjährigen und ihrer Betreuer ist das kein Trost.

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