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Trumps erstaunlich unterkomplexe Zoll-Formel: Warum die USA fünf Prozent EU-Zölle mit 20 Prozent „reziproken Zöllen“ beantwortet
Tatsächlich erheben die meisten Länder etwas höhere Zölle auf US-Produkte als umgekehrt. Trumps Antwort aber fällt unverhältnismäßig aus. Wie das Weiße Haus auf seine neuen Einfuhrabgaben kam.
Stand:
US-Präsident Donald Trump begründet sein Zollpaket damit, dass den USA im Welthandel Unrecht widerfahre. Die meisten Länder erheben tatsächlich höhere Zölle auf US-Importe als umgekehrt. Insbesondere viele Entwicklungsländer schützen ihre Industrie in hohem Maße durch Zölle.
Trumps Antwort darauf sind individuell auf jedes Land abgestimmte „reziproke Zölle“ – sprich „wechselseitige Zölle“. Doch für sehr viele Länder werden demnach künftig höhere Zölle bei Lieferungen in die USA fällig. Doch diese berechnen sich nicht etwa durch ein Angleichen der bisherigen Zolldifferenz.
Stattdessen heben sie auf die Handelsbilanz zwischen den Staaten und den USA ab. Exportieren die USA weniger Waren und Dienstleistungen in ein Land, als sie aus diesem importieren, so herrscht zwischen beiden aus US-amerikanischer Sicht ein sogenanntes Handelsbilanzdefizit. Dieses wird durch Zölle prinzipiell erhöht, doch es hängt nicht nur von diesen ab. Die USA haben vielmehr ein strukturelles Handelsbilanzdefizit mit den meisten Ländern der Welt, importieren also mehr, als sie exportieren.
Mittelfristig funktioniert dies nur, weil ausländisches Kapital in die USA fließt. Die Amerikaner importieren also Waren und Dienstleistungen und „bezahlen“ dies damit, dass ausländische Investoren amerikanische Staatsanleihen und Aktien kaufen. Aus Sicht protektionistischer Ökonomen wird das langfristig zum Problem, da der Import aller Waren zur Deindustrialisierung führt und gleichzeitig ausländische Investoren immer größere Anteile der amerikanischen Unternehmen aufkaufen.
„Nicht-zollbezogene Handelsbarrieren“ sollen berücksichtigt werden
Was heißt das also am Beispiel EU? Tatsächlich liegen die Zollsätze der EU auf US-Importe im Durchschnitt mit 5,0 Prozent über denen der USA auf EU-Importe von 3,3 Prozent. Trump erklärt nun aber „reziproke Zölle“ nicht etwa in Höhe von 1,7 Prozent, sondern von 20 Prozent. Das Weiße Haus gibt an, dass die Berechnung „Zölle und nicht-zollbezogene Handelsbarrieren“ berücksichtigen soll.
Schlüssel der Berechnung ist aber das Handelsbilanzdefizit von 235,6 Milliarden Dollar aus amerikanischer Sicht, beziehungsweise der Handelsüberschuss aus europäischer. Dieser wird durch die Gesamtzahl der Exporte von 605,8 Milliarden Dollar geteilt. Das ergibt einen berechneten fiktiven „Zollsatz“ von 0,39. Diesen beantworten die USA nun in Trumpscher Logik mit einem halb so hohen (aufgerundeten) „reziproken“ Zollsatz von 20 Prozent. Trump argumentiert, dass die „reziproken“ US-Zölle nur halb so hoch seien wie die der anderen Länder, da „wir gute Menschen sind“.
Nach derselben Logik, die bei der EU angewandt wurde, lassen sich auch alle anderen Zollsätze mit minimalen Abweichungen berechnen. Daraus erklärt sich etwa auch, warum Israel 17 Prozent Zollsatz zahlen muss, obwohl das Land erst diese Woche symbolisch jegliche Zölle auf US-Produkte abgeschafft hat: Denn die USA importieren aus Israel Waren im Wert von 22,2 Milliarden US-Dollar bei einem Handelsbilanzdefizit von etwa 7,4 Milliarden US-Dollar mit Israel.
Die Berechnung unterscheidet nicht zwischen großen und kleinen, reichen und armen Ländern. Vielmehr führt die sie dazu, dass vergleichsweise arme Länder, die wenig teure US-Produkte kaufen, aber viele günstige Waren für den US-Markt herstellen – wie etwa das Kleidung produzierende Bangladesch oder die iPhone-Werkbank Vietnam – die höchsten Zölle zahlen.
Bei den wenigen Ländern, bei denen die USA einen Handelsbilanzüberschuss vorweisen können, etwa im Außenhandel mit dem Vereinigten Königreich, erhebt Trump nun pauschal einen Zollsatz von zehn Prozent.
Die Zollsätze sollen im Verlauf der Zeit wieder sinken
Die Trump-Administration zog laut eigener Aussage bei seinen Berechnungen nicht nur Zölle, sondern auch Handelshemmnisse wie Subventionen, strenge Einfuhrvorgaben, Diebstahl geistigen Eigentums und Währungsmanipulation in ihre Kalkulation mit ein. Diese Barrieren seien „weit schlimmer“ als die eigentlichen Zölle, heißt es aus dem Weißen Haus. Doch statt diese Handelshemmnisse für jedes Land konkret zu berechnen, zog sie offenbar verallgemeinernd alleine die Handelsbilanz als Näherung heran.
Dass Trump die EU-Mehrwertsteuer wiederholt als eine Form des Zolls bezeichnet hat, macht die Logik dahinter deutlich. Im engeren Sinne ist sie kein solcher, da sie gleichermaßen auf EU-Produkte erhoben wird. Doch mit Blick auf die Handelsbilanz ist sie tatsächlich ein Handelshemmnis für die USA. Denn während US-Produkte auf dem EU-Markt somit teurer werden als auf dem heimischen, wäre ein identisches EU-Produkt mit eigentlich demselben Preis auf dem US-Markt günstiger – da dort nur eine deutlich niedrigere Steuer erhoben wird.
Dass die Berechnung der Zölle erstaunlich simpel erfolgte, und nicht wie suggeriert aus einer komplexen Formel mit verschiedenen Einflussfaktoren abgeleitet ist, musste auch das Weiße Haus einräumen. Ein Sprecher veröffentlichte die verwendete Formel, die auch andere volkswirtschaftlich relevanten Variablen enthielt – etwa für die Flexibilität, mit der Konsumenten Preiserhöhungen akzeptieren –, die dann aber offenbar zugunsten einer vereinfachten Berechnung aus Handelsbilanz und Export konstant gehalten wurden. Sprich: Die Formel hätte eine komplexere Berechnung erlaubt, die aber offenbar nicht durchgeführt wurde.
Allerdings machte der Sprecher deutlich, dass die Formel den Zinssatz berechnet, der zum Abbau der Handelsbilanzdefizite führt und daher dynamisch ist: Sprich, mit sinkendem Handelsbilanzdefizit sinken auch die von den USA erhobenen Zölle. Die Zollsätze müssten entsprechend immer wieder neu kalkuliert werden, wobei unklar ist, in welchen Abständen dies geschehen soll.
Erhoffte Effekte treten bestenfalls mittelfristig ein
Es kann also kaum sinnvollerweise von „reziproken Zöllen“ die Rede sein. Vielmehr hat das Weiße Haus eine Handelspolitik vorgelegt, mit der das eigene Handelsbilanzdefizit abgebaut werden soll. Allerdings bezieht sich die verwendete Handelsbilanz nur auf physische Güter, während Dienstleistungen nicht einfließen – da auf sie keine Zölle erhoben werden.
Insbesondere die USA als hoch entwickelte Volkswirtschaft haben jedoch einen großen Dienstleistungsanteil, weswegen die verwendete Bilanz verzerrt ist. Offenbar geht es Trump bei seiner Handelspolitik allerdings nicht um die gesamte Volkswirtschaft, sondern um die Industrie.
Indem Trump Importe teurer macht, will er erzwingen, dass Amerikaner wieder mehr im Land produzierte Güter kaufen und gleichzeitig die ausländische Konkurrenz geschwächt wird, weil sie weniger in den USA absetzen kann. Ob dadurch eine Reindustrialisierung gelingen kann, ist aber fraglich. Insbesondere, weil die Folgeeffekte in einer hochgradig globalisierten Weltwirtschaft extrem schwer abzuschätzen sind. Zudem führt die Politik tendenziell zu einem Abzug von Kapital aus den USA, wobei für den Aufbau heimischer Industrie gerade Kapitalzufluss benötigt würde.
Während also US-Börsenwerte fallen, da bei einem Abbau des strukturellen US-Handelsbilanzdefizits weniger ausländisches Kapital in die dortigen Märkte fließt, bezahlen Konsumenten in den USA die Zölle indirekt durch die höheren Preise von US-Produkten. Doch auch das ist nicht eindimensional, denn – so das Argument der Zoll-Befürworter – zusätzliche Produktion in den USA schafft Aktienwerte und Arbeitsplätze und erhöht damit die Kaufkraft der Amerikaner.
Die erhofften positiven Effekte der Politik dürften aber im besten Fall mittelfristig eintreten. Kurzfristig dürften die Maßnahmen wenig populär in den USA sein. Daher ist es gut möglich, dass der selbsterklärte „Dealmaker“ Trump die Zölle vor allem deshalb überproportional erhöht, um eine bessere Verhandlungsoption für einen Abbau von ausländischen Zöllen auf US-Produkte zu haben.
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