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Trumps Ukraine-Kursschwenk: Europäische Sicherheitsexperten haben einen bösen Verdacht
Der US-Präsident schlägt im Ukrainekonflikt neue, überraschende Töne an. Europäische Beamte sehen darin nicht nur einen Rückzug aus der Dealmaker-Rolle, berichten Insider.
Stand:
Am Dienstag überraschte US-Präsident Donald Trump die internationale Staatengemeinschaft mit einem Social-Media-Post auf Truth Social, der eine 180-Grad-Kehrtwende seiner bisherigen Linie im Ukrainekrieg bedeutete.
Monatelang übte der US-Präsident Druck auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aus: Die Ukraine müsse sich endlich mit Moskau einigen und die von Russland besetzten Gebiete aufgeben, wenn es denn zu einem langfristigen Frieden kommen solle. Am Dienstag schrieb der US-Präsident dann plötzlich, dass die Ukraine unter bestimmten Voraussetzungen durchaus dazu in der Lage sei, ihr Staatsgebiet von den russischen Besatzern zurückzuerobern.
„Mit Zeit, Geduld und der finanziellen Unterstützung Europas und insbesondere der Nato“ sei eine Wiederherstellung der ursprünglichen Grenzen „durchaus eine Option.“ Mehr noch: Die Ukraine wäre möglicherweise dazu in der Lage, „ihr Land in seiner ursprünglichen Form zurückzuerobern und, wer weiß, vielleicht sogar noch weiter zu gehen!“
Viel Glück euch allen!
Donald Trump via Truth Social
Wer meint, Trumps Worte sorgen in den europäischen Regierungszentralen für Begeisterungsstürme, der irrt. Vor allem hinter den Kulissen scheinen die Verantwortlichen einen bösen Verdacht zu haben.
Insider befürchten Ukraine-Übergabe an Europa
So berichtet die „Financial Times“ unter Berufung auf europäische Regierungsberater und hochrangige Beamte, dass Trump den Europäern nicht nur „die Verantwortung für die Verteidigung der Ukraine übertragen will“. Der US-Präsident hege und befeuere darüber hinaus auch Erwartungen, „die Europa nur schwer erfüllen kann“. Trump betonte immerhin, dass die Ukraine mithilfe der Europäer und der Nato ihr ursprüngliches Territorium zurückerobern könne – und sogar „noch weiter“ gehen könne.
Ein nicht namentlich genannter deutscher Beamte sagte der „Financial Times“, dass Trumps Kurswechsel „spektakulär“ und „im Großen und Ganzen gut“ sei. Jedoch lege er mit seinen jüngsten Äußerungen „die Messlatte sehr hoch“.
Ein anderer europäischer Beamter sagte der britischen Tageszeitung, dass Trumps Abschiedsgruß „Viel Glück an alle!“ unter seinem Truth-Social-Post „einer Übergabeerklärung gleichkomme.“ Ein weiterer europäischer Beamter bemerkte: „Jeder sieht, dass er sich zurückzieht.“
Trump: Vom Dealmaker zum Zuschauer?
Ein weiterer europäischer Beamter sieht in Trumps jüngsten Aussagen nicht nur einen Rückzug aus der Rolle des Dealmakers. „Das ist der Beginn eines Schuldzuweisungsspiels“, sagte er der „Financial Times“. Demnach bürde Trumps Rhetorik den europäischen Verbündeten „eine unmögliche Mission“ auf, berichtet die britische Tageszeitung. Mehr noch: Der US-Republikaner schaffe sich durch seinen Kurswechsel ein Schlupfloch, indem er „die Schuld von Washington ablenken kann, falls Kiew im Krieg scheitert oder das Geld ausgeht.“
Jeder sieht, dass er sich zurückzieht.
Insider (hochrangiger europäischer Beamter)
Offiziell klangen die europäischen Regierungen anders. Sowohl von den Regierungsspitzen in Deutschland, Frankreich und der Ukraine kam Lob für Trump.
Klar ist: Der plötzliche Richtungswechsel bedeutet eine signifikante Annäherung Trumps an Selenskyj, zumindest rhetorisch. Noch im Februar beschimpfte der US-Präsident den Ukrainer bei einem Besuch im Weißen Haus vor laufenden Kameras. Selenskyj wurde in Anbetracht der immensen US-Hilfen als undankbar bezeichnet. Die ukrainische Abhängigkeit von den USA und Selenskyjs Hilflosigkeit hob Trump in gewohnter Dealmaker-Manier hervor, indem er ihn anraunzte: „Sie haben hier nicht die Karten in der Hand.“
Vor seinem Amtsantritt als US-Präsident betonte der US-Republikaner, der sich selbst gern in der Rolle eines Dealmakers sieht, dass er den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine innerhalb von nur wenigen Tagen oder Wochen auflösen könnte.
Am Dienstag hielt Trump vor den Vereinten Nationen eine etwa einstündige Rede, bei der er sich als Friedenstifter von gleich sieben Kriegen präsentierte. Um den Krieg zwischen Russland und der Ukraine ging es in dem Redebeitrag allerdings kaum. Dieses Thema behielt er sich für seinen Social-Media-Beitrag vor, in dem er vor allem die Nato und europäische Verbündete bezüglich einer finanziellen Unterstützung in die Pflicht nahm.
Wir werden weiterhin Waffen an die Nato liefern, damit die Nato damit machen kann, was sie will.
Donald Trump via Truth Social
Trump wünscht Ukraine und Russland „Alles Gute“
An das Bündnis wolle die USA „weiterhin Waffen liefern“, versprach Trump. Damit könne die Nato dann „machen, was sie will“. Den Truth-Social Post beendete der US-Präsident mit einem Appell, dass Kiew jetzt handeln müsse. Der Ukraine und Russland wünsche er „alles Gute“ und schloss den Beitrag mit „Viel Glück euch allen!“
Schon am Mittwoch berichtete der Chefkorrespondent der „New York Times“ in Washington, David E. Sanger, unter Berufung auf Insiderquellen, dass gleich mehrere europäische Politiker in Trumps Kurswechsel eine Distanzierung vom Ukrainekrieg sehen. Dadurch wolle sich der US-Präsident „aus einem Konflikt zurückziehen, den er einst innerhalb weniger Tage oder Wochen lösen wollte“, schreibt Sanger.
Trump hatte europäische Länder erst kürzlich dazu aufgerufen, den Kauf von russischem Öl einzustellen. In seiner UN-Rede am Dienstag kündigte er an, er wolle „starke Zölle“ verhängen, die „das Blutvergießen“ in der Ukraine beenden könnten. Dafür müsse Europa jedoch zunächst tätig werden. „Sie kaufen Öl und Gas aus Russland, während sie gleichzeitig gegen Russland kämpfen“, sagte der US-Präsident. „Es ist peinlich“, wetterte er.
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