
© dpa/George Ivanchenko
Ukraine-Invasion, Tag 1078: Evakuierung der Bewohner in Pokrowsk ein Wettlauf gegen die Zeit
Selenskyj erklärt Bereitschaft zu direkten Gesprächen mit Putin + Großer Gefangenenaustausch + Der Nachrichtenüberblick am Abend.
Stand:
Seit Monaten ist die Stadt Pokrowsk im Gebiet Donezk umkämpft. Einst lebten hier 60.000 Ukrainer, heute nur noch ein Bruchteil. Die „BBC“ hat Anton Yaremchuk begleitet, der dafür sorgt, dass es noch weniger werden (Quelle hier). Der 35-Jährige ist auf Rettungsmission an der Ostfront unterwegs. „Es sind immer noch etwa 7000 Menschen dort. Wir werden versuchen, einige Leute aus diesem Albtraum herauszuholen.“
Die russischen Streitkräfte sollen inzwischen weniger als zwei Kilometer von Pokrowsk entfernt sein. „Das ist verrückt“, sagt Anton Yaremchuk, „denn das war einmal der Zufluchtsort, die sicherste Stadt der Region und das größte Krankenhaus.“
Yaremchuk ist eigentlich Kameramann aus der Ukraine, der bis zum Kriegsbeginn Karriere in Berlin machte. Er kehrte daraufhin in die Ukraine zurück und gründete eine kleine Hilfsorganisation namens Base UA. Ihm und seinem Team soll es gelungen sein, etwa 3000 Zivilisten aus der Gefahrenzone in sicherere Gebiete zu bringen.
Olga ist eine von sechs Personen, die dieses Mal evakuiert werden sollen. „Ich bin seit 65 Jahren in diesem Haus“, sagt Olga, die 71 Jahre alt ist. „Es ist hart, alles hinter sich zu lassen. Aber es ist kein Leben mehr, es ist wie die Hölle. Am Anfang dachten wir, wir sitzen es vielleicht aus, aber jetzt bebt der Boden.“ Ihre Kinder und Enkel seien bereits vor den Bomben geflohen.
Als Letzte wird die 75-jährige Lyuba abgeholt. „Es war schlimm. Wir wurden allein gelassen. Es gibt keine Behörden. Die Leute werden einfach unter freiem Himmel getötet“, sagt sie und deutet nach oben. „Es gibt kein Gas, kein Wasser, keinen Strom.“
Bei anderen hat Yaremchuk es schwerer, sie davon zu überzeugen, dass es besser wäre, jetzt zu gehen. „Ich muss bleiben“, sagt eine ältere Frau. „Mein Sohn ist gestorben und ich muss in der Nähe seines Grabes sein.“ „Ich glaube nicht, dass er das gewollt hätte“, sagt Yaremchuk.
Was erwartet er für die Zukunft? „Ich glaube, niemand weiß wirklich, was passieren wird. Ich persönlich glaube nicht, dass, selbst wenn Verhandlungen beginnen, diese in naher Zukunft zu einem Waffenstillstand führen werden.“
Die wichtigsten Nachrichten des Tages im Überblick:
- Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist unter Bedingungen auch zu direkten Verhandlungen mit Russlands Staatschef Wladimir Putin bereit. An Gesprächen sollten die Ukraine, Russland, die USA und Europa beteiligt sein, sagte Selenskyj in einem Videointerview mit dem britischen Journalisten Piers Morgan. Mehr dazu in unserem Newsblog.
- Selenskyj hat die Verluste der ukrainischen Streitkräfte auf 45.100 Gefallene beziffert. Gleichzeitig seien seit Kriegsbeginn 390.000 Soldaten verletzt worden, sagte er ebenfalls in dem Interview. Unabhängig lassen sich die Zahlen nicht bestätigen.
- Bei einer Explosion in der Nähe einer Musterungsstelle der ukrainischen Streitkräfte in der westukrainischen Region Chmelnyzkyj sind ein Mensch getötet und vier weitere verletzt worden. Das berichtet der staatliche Radiosender Suspilne unter Berufung auf Polizeikreise. Die ukrainische Polizei bestätigte eine Explosion in der Stadt Kamianets-Podilskyj, machte aber keine weiteren Angaben.
- In der Nacht zu Mittwoch hat Russland neun ukrainische Regionen mit mehr als hundert Shahed-Drohnen und zwei ballistischen Raketen vom Typ Iskander-M angegriffen, teilte die ukrainische Luftwaffe mit. Die Luftabwehr vernichtete demnach 57 Angriffsdrohnen, weitere 42 wurden lokal verloren.
- Ein ukrainischer Drohnenangriff hat nach Angaben russischer Behörden ein Treibstofflager in der Region Krasnodar in Brand gesetzt. Der Gouverneur der Region, Wenjamin Kondratjew, schrieb in seinem Telegram-Kanal, dass der Angriff abgewehrt worden sei. Drohnentrümmer seien auf eine Zisterne gestürzt, woraufhin dort ein Feuer ausgebrochen sei.
- Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hat der Ukraine zufolge einen turnusgemäß geplanten Wechsel ihrer Beobachter in dem von Russland besetzten Atomkraftwerk Saporischschja verschoben. Nach Angaben des Außenministeriums in Kiew fehlten Sicherheitsgarantien Russlands für das IAEA-Personal. Es sei nicht das erste Mal, dass der Kreml internationale Experten einschüchtere, sagt ein Ministeriumssprecher.
- Selenskyj hat sich offen für US-Investitionen in das Geschäft mit Seltenen Erden aus der Ukraine gezeigt. „Ich möchte, dass US-Firmen (...) diesen Bereich hier entwickeln“, sagte er vor Journalisten. „Wir sind offen dafür, dies mit unseren Partnern zu entwickeln, die uns helfen, unser Land zu beschützen und den Feind mit Hilfe ihrer Waffen und Sanktionspakete zurückzudrängen“, fügte er hinzu. „Das ist absolut fair.“
- Russland und die Ukraine haben nach offiziellen Angaben insgesamt 300 Kriegsgefangene ausgetauscht. Es seien 150 russische Soldaten aus ukrainischer Gefangenschaft zurückgekehrt. Im Gegenzug habe Moskau Kiew 150 gefangene Soldaten übergeben, teilte das russische Verteidigungsministerium mit. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bestätigte den Austausch in seinen sozialen Netzwerken.
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