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Ukraine-Invasion, Tag 863: Die Frontstadt Torezk wird evakuiert – die Bewohner sind zwiegespalten
Putin und Orbán beraten im Kreml über den Ukrainekrieg. Stoltenberg wünscht sich Nato-Beitritt Kiews innerhalb des nächsten Jahrzehnts. Der Nachrichtenüberblick am Abend.
Stand:
Gestern hatten wir an dieser Stelle über den Vorstoß der russischen Truppen auf Tschassiw Jar geschrieben und warum der Kampf um die Kleinstadt für die Ukraine so bedeutend ist. Der russische Vormarsch hat aber nicht nur Folgen für Menschen in Tschassiw Jar, sondern auch in unmittelbarer Nähe.
So hatte das ukrainische Militär Mitte Juni eine Zunahme der russischen Angriffe in der Nähe der Stadt Torezk gemeldet, nach einer Zeit langer Ruhe, wie der „Kyiv Independent“ schreibt. Und nur einige Tage später wurden die Ukrainer von den Russen aus Richtung der Stadt, rund 25 Kilometer südlich von Tschassiw Jar, angegriffen.
Freiwillige und ukrainische Beamte versuchen daher, die noch verbliebenen Anwohner aus Torezk zu evakuieren. Doch wie in vielen Gemeinden, die an der Frontlinie liegen, ist dies kein leichtes Unterfangen, wie die Nachrichtenagentur Reuters auf ihrer Website schreibt. Noch etwa 5000 Menschen leben in der Stadt, vor zehn Jahren waren es geschätzt 35.000.

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„Bleibt ihr alle?“, fragte ein Polizeibeamter bei einer Versammlung in der Stadt. „Seht ihr nicht, wie sich die Situation verändert? Wenn ihr meint, ihr könnt das aussitzen: Das wird nicht passieren.“ Und dennoch verfängt diese Warnung nicht bei allen. Die Angst ist nicht nur groß in Bezug auf die russischen Angriffe, sondern auch in Bezug auf eine unsichere Zukunft, sollten sie ihre Heimat verlassen.
„Viele Menschen weigern sich zu gehen. Wir reden mit ihnen, die Jungen versuchen, sie zu überzeugen, aber sie wollen nicht gehen“, sagte Tetyana Nikonova, eine Vertreterin der örtlichen Militärverwaltung. „Wir bieten ihnen alles an, was wir können, Unterkunft, Transport, alles umsonst, aber die Menschen verstecken sich in Kellern.“
Der 65-jährige Sergiy Yuriyevych teilt solche Bedenken. Er sagte Reuters: „Ich habe Angst, dass wir nicht mehr zurückkommen können, niemand wird uns hierher zurücklassen.“ Als seine Frau ihn unter Tränen aber fragt, ob sie dennoch gehen werden, seufzt er und sagt: „Wir werden gehen.“
Die wichtigsten Nachrichten im Überblick:
- Kremlchef Wladimir Putin und der rechtspopulistische ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán haben ihre Verhandlungen im Kreml in Moskau nach zweieinhalb Stunden beendet. Beide würden die Presse über ihre Gespräche informieren, sagte Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow. Es seien viele Fragen in sehr guter Atmosphäre besprochen worden – vor allem auch zur Ukraine, sagte er. Mehr hier.
- Die russische Schwarzmeerflotte hat nach ukrainischen Angaben fast alle kampfbereiten Kriegsschiffe von der besetzten Krim an andere Standorte verlegt. Die ukrainischen Angriffe mit Raketen und Drohnen hätten dem russischen Flottenstützpunkt in Sewastopol schwere Schäden zugefügt, sagt der ukrainische Vize-Admiral Olexej Neischpapa in einem Interview der Nachrichtenagentur Reuters. Mehr hier.
- Deutschland hat im ersten Halbjahr Genehmigungen für Rüstungsexporte im Volumen von rund 7,6 Milliarden Euro erteilt, die meisten davon für die Ukraine. Das geht aus einem am Freitag vom Bundeswirtschaftsministerium veröffentlichten Bericht zur Rüstungsexportpolitik hervor. Mehr hier.
- Die Bundeswehr soll technisch aufgerüstet werden: Eine Projektgruppe des Verteidigungsministeriums empfiehlt für die Truppe einen breitangelegten Einsatz handelsüblicher Kleindrohnen. „Die Nutzung von Klein- und Kleinstdrohnen soll künftig breit in der Bundeswehr ermöglicht werden“, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Mehr hier.
- Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wünscht sich einen Beitritt der Ukraine zum Verteidigungsbündnis innerhalb des nächsten Jahrzehnts. „Ich hoffe sehr, dass die Ukraine ein Verbündeter sein wird“, entgegnete der Norweger in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur auf eine Frage zu einer möglichen Bündniserweiterung in den nächsten zehn Jahren. Mehr hier.
- Ein drittes Patriot-Flugabwehrsystem aus der Bundesrepublik ist nach Angaben des deutschen Botschafters in der Ukraine angekommen. „Es wird helfen, den Schutz der Bevölkerung und der Infrastruktur zu verbessern“, schreibt Martin Jäger auf X. Die ukrainische Besatzung habe eine entsprechende Ausbildung in Deutschland absolviert. Mehr im Newsblog.
- Ein 23-jähriger Mann aus Odesa und seine 18-jährige Verlobte sollen auf Anweisung des russischen Sicherheitsdienstes FSB in Odesa die Standorte des maritimen Sicherheitsdienstes ausgekundschaftet haben, teilte der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU am Donnerstag auf seinem Telegram-Kanal mit. Die dort stationierten Grenzschutzeinheiten würden das Wassergebiet der Schwarzmeer-Hafenstadt verteidigen.
- Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erwartet von den Staats- und Regierungschefs der Bündnismitglieder umfangreiche neue Hilfszusagen für die von Russland angegriffene Ukraine. „Die Ukraine muss siegen, und sie benötigt unsere anhaltende Unterstützung“, sagte er bei einer Pressekonferenz.
- Die Ukraine passt sich der neuen Form der Kriegsführung an und setzt nunmehr verstärkt auf Drohnen. Entsprechend legte sich die Stawka, die oberste Militärführung der Ukraine, bei ihrer jüngsten Sitzung auf die künftige Produktion und den Einsatz von Drohnen fest.
- Die Ukraine hat nach Angaben aus Kiew eine Munitionsfabrik im Westen Russlands angegriffen. Der Angriff sei mit sogenannten Kamikaze-Drohnen verübt worden, von denen eine die Fabrik in Kotowsk in der Region Tambow getroffen habe, sagte eine Quelle im ukrainischen Verteidigungssektor am Donnerstag der Nachrichtenagentur AFP.
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