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Flugschreiber sollen im Ausland untersucht werden: Ursache für Flugzeugabsturz in Vilnius möglicherweise technisches Problem
Nach dem Absturz in Litauen geht die Suche nach der Ursache weiter. Die Behörden tendieren derzeit zur technischen Version. Hinweise auf Sabotage gebe es weiter nicht.
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Ein technisches Problem ist möglicherweise die Ursache für den Absturz eines DHL-Frachtflugzeugs am Montag im litauischen Vilnius. „Wir tendieren zur technischen Version“, sagte Vilmantas Vitkauskas, Leiter des Krisenzentrums, am Mittwoch in Vilnius. „Wenn wir zusätzliche Daten erhalten, könnten wir unsere Richtung ändern, aber im Moment haben wir sie nicht.“ Hinweise auf GPS-Störungen gebe es nicht. Das Satellitennavigationssystem sei nicht zur Landung verwendet worden.
Das litauische Verteidigungsministerium erklärte, derzeit gebe es keine Hinweise darauf, dass Sabotage oder ein Terroranschlag zum Absturz der Swift-Air-Maschine geführt haben, die im Auftrag von DHL von Leipzig nach Vilnius unterwegs war. Nicht ausgeschlossen wird, dass Russland etwas damit zu tun haben könnte. Nach Aussage der überlebenden Besatzungsmitglieder habe es in der Maschine kein Chaos gegeben.
Für konkrete Antworten zum Unfallhergang und der -ursache ist es aber nach Angaben der Behörden weiter zu früh.
Verteidigungsminister Laurynas Kasciunas hatte am Montag betont, derzeit gebe es „keine Hinweise oder Beweise die nahelegen, dass es Sabotage oder ein Terrorakt war“. Die Ermittlungen zur Absturzursache dürften nach seiner Einschätzung „etwa eine Woche“ dauern.
Anfang November waren nach Paketbränden in Post-Depots in Europa mehrere Verdächtige in Litauen festgenommen worden. Laut Staatsanwaltschaft werden sie verdächtigt, am Versand von Paketen mit Brandsätzen in mehrere westliche Länder beteiligt gewesen zu sein. Der nationale Sicherheitsberater des baltischen Landes machte Russland für die Vorfälle verantwortlich.
Am Dienstag hatten Ermittler die Flugschreiber der Unglücksmaschine geborgen. Neben dem Flugdatenschreiber sei auch der Stimmenrekorder gefunden worden, teilte das litauische Justizministerium mit. Beide Geräte seien gegen Mittag aus dem Wrack entfernt worden und sollten nun untersucht werden. Als sogenannte Black Box könnten sie Aufschluss über die bislang unbekannte Ursache des Absturzes geben.
Flugschreiber sollen im Ausland untersucht werden
In Litauen gibt es nach Angaben der Behörden allerdings keine Forschungseinrichtung, die die Flugschreiber des abgestürzten Frachtflugzeugs analysieren kann. Der Flugdatenschreiber und der Stimmenrekorder der Swift-Air-Maschine, die im Auftrag von DHL von Leipzig in die litauische Hauptstadt Vilnius unterwegs war, sollen dem Leiter des Nationalen Krisenmanagementzentrums, Vilmantas Vitkauskas, zufolge deshalb zur Untersuchung ins Ausland gebracht werden. Wahrscheinlich werde die Auswertung bei „einem unserer europäischen Verbündeten“ erfolgen, sagte er im litauischen Radio. Nähere Angaben machte er nicht.
Von der Auswertung der Flugschreiber erhoffen sich die Ermittler wichtige Erkenntnisse über die Ursache des Absturzes.
Die litauischen Behörden haben nach dem Absturz umfassende Ermittlungen eingeleitet und zuletzt den Flugschreiber aus der völlig zerstörten Maschine geborgen. Der Flugdatenschreiber zeichnet die Flugdaten auf, der Stimmenrekorder die Gespräche im Cockpit.
Nach Angaben des Ministeriums waren bereits am Dienstag auch deutsche Behördenvertreter in Litauen eingetroffen, um die Ermittlungen zu unterstützen. Die Entsendung von Ermittlern der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung hatte das Bundesverkehrsministerium am Vortag angekündigt. Zudem werden Experten aus den USA und Spanien in Litauen erwartet. Laut Polizeichef Arunas Paulauskas könnte die Untersuchung der Absturzstelle zwei oder drei Tage dauern.
Litauens Präsident warnt vor Spekulationen
Litauens Staatspräsident Gitanas Nauseda hatte dazu aufgerufen, von allzu großen Spekulationen über die Ursache für den Absturz eines Frachtflugzeugs in Vilnius abzusehen. Die Vermutung eines möglichen Sabotageakts dürfe nicht überbetont, aber auch nicht heruntergespielt werden. Gleichzeitig könne man eine solche Version nicht ausschließen, sagte Nauseda am Morgen im litauischen Radio.
Natürlich besteht die Möglichkeit einer Sabotage, wir können sie nicht ausschließen.
Gitanas Nauseda, Staatspräsident Litauen
„Ich wiederhole es noch einmal: Natürlich besteht die Möglichkeit einer Sabotage, wir können sie nicht ausschließen. Daher wird dies mit aller Ernsthaftigkeit ermittelt“, sagte der litauische Präsident, der sich selbst auch bereits ein Bild von der Unglücksstelle gemacht hat. Nach seinen Angaben liegen bislang nicht ausreichend Informationen vor, um eine Unfallursache zu nennen.
Scholz fordert nach Flugzeugabsturz Untersuchung
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte im ZDF-„heute journal“ auf die Frage, ob Russland hinter dem Absturz stecke: „Wir gucken uns das genau an, wir können das gegenwärtig nicht sagen“. Er fügte hinzu: „Es könnte so sein.“
Formen sogenannter hybrider Kriegsführung seien gegenwärtig auch in Deutschland festzustellen. „Deshalb muss das auch genau untersucht werden.“ Es werde aber erst dann ein Schuldiger benannt, wenn dies auch nachvollziehbar zu beweisen sei.
Überlebender wird nach Flugzeugabsturz befragt
Vier Menschen befanden sich an Bord der Maschine, die kurz vor der geplanten Landung in der Nähe des Flughafens in einem Wohngebiet aus bisher unbekannten Gründen auf den Boden prallte und zerschellte.
Eines der Besatzungsmitglieder kam bei dem Absturz am frühen Montagmorgen ums Leben, drei weitere – darunter auch ein Deutscher – werden im Krankenhaus medizinisch behandelt. Der Zustand von mindestens einem Besatzungsmitglied soll Medienberichten zufolge ernst sein.
Von den Überlebenden erhoffen sich die Ermittler nun Aufschluss über die Absturzursache. Mit einem der Verletzten konnte nach Angaben von Polizeichef Arunas Paulauskas im Krankenhaus bereits gesprochen worden. Demnach habe es keine Anzeichen auf ungewöhnliche Aktivitäten an Bord oder im Inneren des Flugzeugs gegeben, sagte er am Abend im litauischen Fernsehen. Es scheine, als ob der Flug routinemäßig verlaufen sei und es dann einen Aufprall auf dem Boden gegeben habe.
Suche nach Black Box am Dienstagmittag erfolgreich
Die nun gefundene Black Box kann dabei helfen, die Unglücksursache zu klären. Weitere Erkenntnisse könnte auch die Überprüfung der Anflugsysteme des Flughafens durch die polnische Flugsicherung bringen, die nach dem Absturz im Zuge einer bereits zuvor geplanten Routineüberprüfung erfolgt ist.

© REUTERS/Lukas Balandis
Bei der Unglücksmaschine handelt es sich nach Angaben von Swift Air um eine Boeing 737-400. Deren Trümmer waren nach Angaben der Behörden nach dem Absturz mehrere Hundert Meter weit geschlittert und hatten dabei ein Wohnhaus beschädigt. Verletzt wurde dabei niemand.
Litauens Polizei bittet Bevölkerung um Mithilfe
Die Polizei hat die Bevölkerung am Dienstag zudem um Mithilfe gebeten. Polizeichef Arunas Paulauskas rief die Einwohner von Vilnius auf, den Behörden alle Videos zur Verfügung zu stellen, die möglicherweise Informationen über das abgestürzte Flugzeug enthalten.
„Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um an die Menschen in Vilnius zu appellieren: Wenn jemand Videos hat, die für die Ermittlungen nützlich sein könnten, teilen Sie diese bitte mit der Polizei“, sagte Paulauskas einem Bericht des litauischen Rundfunks zufolge. Dies könne ganz einfach über das Portal „ePolicijos.lt“ erfolgen. Dort könnten Videos hochgeladen werden und stünden dann den Ermittlern zur Verfügung, sagte der Polizeichef.
Baerbock verlangt nach Flugzeugabsturz volle Aufklärung
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verlangte eine volle Aufklärung des Absturzes und sagte, die Behörden beider Länder ermittelten derzeit „in alle Richtungen“. Sie schloss neben einem technischen Unglück auch die Möglichkeit eines absichtlich herbeigeführten Absturzes nicht aus. In Europa habe es in jüngster Zeit mehrfach „hybride Angriffe“ auf einzelne Personen oder Infrastruktur gesehen, sagte die Grünen-Politikerin auch mit Blick auf die vor einer Woche erfolgte Beschädigung zweier Datenkabel in der Ostsee.
DHL: keine Hinweise auf Sprengsatz
DHL lagen nach eigenen Angaben bisher keine Hinweise auf verdächtige Pakete an Bord der Maschine vor, auch das Bundesverteidigungsministerium hat nach Angaben von Minister Boris Pistorius bislang keine Erkenntnisse über einen möglichen Sprengsatz. Der SPD-Politiker forderte erhöhte Sensibilität bei bestimmten Frachtsendungen.
„Gleichzeitig wissen wir auch, dass es in diesem Feld wohl keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Aber die Lücken, die es gibt, die man erkennt, müssen geschlossen werden“, sagte der Minister und ergänzte: „Das weiß sowohl die zivile Luftfahrt als auch die militärische.“
Der Flugzeugabsturz wirft vor allem auch deshalb Fragen und Befürchtungen auf, weil deutsche Sicherheitsbehörden Ende August vor „unkonventionellen Brandsätzen“ gewarnt hatten, die von Unbekannten über Frachtdienstleister verschickt werden.
Die Warnung wurde damals in Sicherheitskreisen mit einem Vorfall im DHL-Logistikzentrum Leipzig in Verbindung gebracht, das als weltweites Drehkreuz des Unternehmens fungiert. Dort soll im Juli ein aus dem Baltikum verschicktes Paket Feuer gefangen haben, das einen Brandsatz enthielt. Basierend auf den Ermittlungen kam es auch in Litauen zu Festnahmen, die Anfang des Monats von der Generalstaatsanwaltschaft in Vilnius bestätigt worden waren. (dpa, AFP, Reuters)
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