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US-Angriff auf venezolanischen Öltanker: „Das könnte Maduro dort treffen, wo es wirklich wehtut“
US-Soldaten beschlagnahmen am Mittwoch einen Öltanker. Damit will Trump wohl Venezuelas Machthaber Nicolás Maduro in Bedrängnis bringen. Ein dortiger Experte schätzt ein, ob das funktionieren kann.
Stand:
Das US-Militär hat am Mittwoch einen aus Venezuela kommenden Öltanker beschlagnahmt – eine neue Eskalation im Konflikt zwischen den beiden Staaten. Ist das diesmal wirklich der Beginn eines Krieges?
Diese „Eskalation“ vonseiten der USA kennen wir jetzt seit Mitte August, als Trump das erste Mal Kriegsschiffe in die Karibik schickte. Seitdem hieß es nach jedem neuen Ereignis, dass es bald losgehen könnte. Genau diese Nachricht will Präsident Donald Trump auch an das Regime von Nicolás Maduro in Venezuela schicken: Wenn er die Macht nicht abgibt, werden die USA angreifen. Dieser Bluff war bislang nicht sehr überzeugend. Trump hat Maduro, glaube ich, eher vom Gegenteil überzeugt.
Dass er sich in Sicherheit wägen kann?
Ja. Die Tatsache, dass bisher nichts passiert ist, dass sich weiterhin alles auf offenen Gewässern abspielt, zeigt deutlich: Trump will keinen Krieg anfangen, er will kein US-Militär nach Venezuela schicken. Er will, dass das venezolanische Militär diesen Job für ihn erledigt. Auch der jüngste Angriff auf den Öltanker passt in dieses Muster.
Neu daran ist allerdings, dass sich die Militäroperation diesmal gegen ein Handelsschiff richtet, nicht gegen mutmaßliche Drogenboote. Die USA attackieren damit Venezuelas Ölindustrie, die Haupteinnahmequelle des südamerikanischen Landes, mit deren Hilfe sich Maduro an der Macht hält.
Tatsächlich ist das für ihn der bisher wahrscheinlich gefährlichste Schachzug. Venezuelas Wirtschaft ist in einem desolaten Zustand. Wenn Maduro kein Öl mehr exportieren kann, könnte ihn das dort treffen, wo es wirklich wehtut. Die Frage ist, ob das ausreicht, um ihn in Zugzwang zu bringen. Sowohl Trump als Maduro brauchen dringend einen Deal.
Mindestens ein Gespräch zwischen den beiden gab es ja schon, beide Seiten zeigten sich zuletzt verhandlungsbereit. Wenn es Trump, wie oft vermutet, eigentlich um Venezuelas Bodenschätze geht, warum hat er dann Maduros Angebot für privilegierte Zugänge zu den Öl- und Goldvorkommen nicht angenommen?
Weil es dafür jetzt zu spät ist. Trump hätte diesen Deal bereits vor Monaten aushandeln können. Jedes Szenario, in dem Maduro an der Macht bleibt, wäre für den US-Präsidenten inzwischen eine Niederlage.
Also muss er Maduro doch zu Fall bringen?
Er braucht zumindest klare Zugeständnisse, dass Maduro das Amt übergibt. Und zwar zeitnah. Angeblich hat der Venezolaner schon öfter angeboten, in einigen Jahren zurückzutreten und an seinen Vizepräsidenten zu übergeben. Aber das wird nicht ausreichen.

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Weil dann die Chavisten an der Macht bleiben?
Ja. Trotzdem halte ich das für die wahrscheinlichere Option, wenn es zu einem Machtwechsel kommen sollte. Der Widerstand gegen eine oppositionsgeführte Regierung wäre derzeit einfach noch zu groß. Ein erfolgreicher Wechsel müsste vermutlich schrittweise vollzogen werden. Maduro steht derzeit auch intern erheblich unter Druck: Er muss nicht nur für sich, sondern auch für die Leute um ihn herum einen akzeptablen Deal aushandeln. Dafür braucht er Zeit. Unter den Chavisten, den Anhängern des Regimes, ist das Misstrauen inzwischen groß. Es gibt die Sorge, dass er sich einfach aus dem Staub machen könnte.
Da eingehakt: Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet, dass es möglicherweise Angehörige des Regimes waren, die Oppositionsführerin María Corina Machado geholfen haben, aus Venezuela auszureisen. Sie wollte am Mittwoch in Oslo den Friedensnobelpreis entgegennehmen. Dafür kam sie zwar zu spät – aber sie kam, nach mehr als einem Jahr im Versteck. Bröckelt Maduros Macht?
Es ist sehr schwierig, daraus Schlüsse zu ziehen. Wir hören so viele unterschiedliche Versionen darüber, wie ihr die Ausreise gelungen ist. Eine Version etwa lautet, dass sie per Boot erst auf die Karibikinsel Curaçao und von dort aus per Flugzeug nach Oslo gereist ist. Eine andere sagt, dass sie womöglich nie in Curaçao war, sondern direkt aus Venezuela kam.
Es scheint unwahrscheinlich, dass sie ohne die Hilfe des Regimes hat ausreisen können. Man darf nicht vergessen: Die Regierung ist froh darüber, sie los zu sein. Für sie ist Machado am gefährlichsten, wenn sie in Venezuela ist. Interessanter ist jetzt eine andere Frage: Wie geht es weiter?

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Die Liste venezolanischer Oppositionspolitiker, die ins Exil flohen und dadurch an Bedeutung verloren, ist lang: Leopoldo López, der zu Beginn von Maduros Präsidentschaft 2014 zu sozialen Protesten aufrief. Juan Guaidó, der sich 2019 selbst zum Interimspräsidenten erklärte. Edmundo González, der die Präsidentschaftswahl vergangenes Jahr allen Hinweisen zufolge gewonnen hat. Und jetzt María Corina Machado?
Für sie war es erst mal ein großer Triumph, sich in Oslo präsentieren zu können. Aber dieses Momentum ist schnell vorüber. Und dann hängt vieles davon ab, ob sie zurückkann. Wenn sie ins Exil gehen muss, dann könnte sie das gleiche Schicksal ereilen wie die anderen vor ihr. Ihr Plan war deshalb immer, in Venezuela zu bleiben.
Viele Menschen in Venezuela müssen viele schauen, wie sie von einem Tag zum nächsten kommen.
Phil Gunson, Venezuela-Experte
Wieso ist sie dann überhaupt ausgereist – kann man es als Signal interpretieren, dass die Opposition zeitnah mit einer Veränderung rechnet?
Wenn man den Aussagen der Opposition glaubt, dann ja. Aber sie sagt das auch schon seit langer Zeit und hat damit viel Glaubwürdigkeit verloren. Ob Machado selbst wirklich daran glaubt, ist schwer zu sagen. Ich hatte deshalb nicht damit gerechnet, dass sie tatsächlich nach Oslo reist – und dann wahrscheinlich zurückkommen muss, während Maduro noch an der Macht ist. Dann könnte sie im Gefängnis landen.

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Könnte das in der Bevölkerung erneute Proteste auslösen?
Eher nicht. Die Opposition hat dann kein Gesicht mehr, niemanden, der öffentlich auftritt oder Proteste organisiert. Auch Machado hat das seit mehr als einem Jahr nicht mehr gemacht. Dadurch wären Menschen, die auf die Straße gehen, dem Regime schutzlos ausgeliefert. Jede Form der Versammlung, ganz zu schweigen von Protesten, ist sehr gefährlich geworden. Regimekritik findet maximal in den sozialen Medien statt.
Venezuela steckt in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Haben die Menschen Zeit und Kraft, sich Gedanken über politischen Widerstand zu machen?
Tatsächlich müssen viele schauen, wie sie von einem Tag zum nächsten kommen. Mehr als 80 Prozent der Menschen leben inzwischen in Armut, die monatliche Inflation liegt bei etwa 30 Prozent. Das Land steht kurz vor einer Hyperinflation, auch wenn das Regime von wirtschaftlichem Wachstum spricht. Bei den Menschen kommt davon nichts an. Es gibt keinen besonders positiven Ausblick. Aber die Menschen in Venezuela sind sehr resilient. Sobald es eine echte Chance auf Veränderung gibt, werden sie dafür kämpfen.
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