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US-Wahlkampf in North Carolina: Hurrikan Helene und The Donald, der perfekte Sturm
Einst wählte Asheville in North Carolina die Demokraten. Doch dann brachte der Tropensturm Helene die landesweit schwerste Verwüstung seit 20 Jahren – und den Wahlkampftross von Donald Trump.
Stand:
Wo sonst Urlauber in Cafés und Craft-Bier-Brauereien sitzen, türmen sich am Straßenrand Schlamm, Müllsäcke und kaputtes Mobiliar. An den Häuserfassaden zeigt ein gelber Streifen, dass das Wasser des French Broad River hier in Downtown Asheville bis in den ersten Stock stand. Dass der Ort sich seit mehreren Jahren weit oben auf Listen von US-Städten findet, die „klimasicher“ sein sollen, scheint irrwitzig.
Tom Maycock schüttelt bei einem Rundgang den Kopf: Er sei seit dem Sturm vor rund einem Monat noch nicht so weit unten am Fluss gewesen. Dort, zeigt er mit ausgestrecktem Arm, hätten zuvor Gebäude gestanden.
„Meine Frau und ich hatten großes Glück, unser Haus und unsere kleine Nachbarschaft sind größtenteils unversehrt. Aber wir kennen eine Menge Leute, deren Häuser von den Fluten mitgerissen wurden. Aus unserem Bekanntenkreis ist auch jemand verstorben. Das Spektrum an Realitäten, in denen die Menschen hier gerade leben, ist ziemlich groß.“
Der Physiker arbeitet für den Ableger der US-Wetter- und Klimabehörde NOAA in North Carolina in der Wissenschaftskommunikation. Aktuell ist er in Vorarbeiten zum Klimaschutzkapitel für den siebten Sachstandsbericht des UN-Klimarats eingebunden, ebenso in die sechste nationale Klimabilanz, die Klimawandelfolgen in den USA auswertet.

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2027 oder 2028 soll sie erscheinen. „Helene wird auf jeden Fall darin vorkommen, aber wer weiß, was bis dahin noch alles passiert“, sagt Maycock.
In diesen Tagen ist er ausschließlich im Homeoffice; Wasser und Strom, die es nun wieder im Büro gibt, werden gebraucht, um die riesigen Server zu kühlen, mit denen die NOAA die weltweit größte Klimadatenbank betreibt.
„Ich achte wahrscheinlich mehr als die meisten auf Wetterwarnungen und hatte ein ziemlich ungutes Bauchgefühl. Dazu kam mein Hintergrund in Klimawissenschaft. Und trotzdem hätte ich nicht gedacht, dass dieser Sturm so stark werden könnte“, sagt er. Selbst Kollegen, die seit Jahrzehnten in der Klimaforschung tätig seien, hätten sich das Ausmaß der Verwüstung nicht vorstellen können.
Hohe Todeszahl und dennoch Wahlkampf
Die meisten der bislang 98 bestätigten Todesfälle in Folge des Tropensturms Ende September gab es hier in der Gegend, in Buncombe County, knapp 500 Kilometer von der Küste entfernt. Wenig Erfahrung mit Hurrikans dieser Stärke, sturmbedingte Funklöcher und eine begrenzte Infrastruktur zur Evakuierung wurden vielen zum Verhängnis.

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Der Starkregen, den „Helene“ bis in die Berge an der Grenze zu Tennessee drückte, brachte massive Überflutung und Erdrutsche. Mehr als zwei Dutzend Menschen werden noch vermisst, Tausende sind obdachlos oder noch immer ohne fließendes Wasser.
Maycock schlägt einen Stopp in einer der wenigen offenen Brauereien vor, der River Arts District Brewing Company. Das Gebäude steht auf Stelzen und ist von den Fluten des tiefergelegenen Flusses und den Schlammlawinen rund um Asheville verschont geblieben.
Den Eingang schmückt ein großes Wandbild eines Adlers, drinnen sammelt der Betreiber in einer Ecke Lebensmittelspenden, für Helferinnen und Helfer gibt es mittags gratis Verpflegung.
Rundherum läuft Musik und, wenn auch ausgedünnt, der reguläre Barbetrieb. Nächster Termin: ein Halloween-Fundraising für die, die an Feierabendbier weiterhin nicht einmal denken können.
Spagat zwischen Wahlkampf und Katastrophenhilfe
Kein business as usual, aber auch keine Pause herrscht derweil im Präsidentschaftswahlkampf in North Carolina. Während lokale Medien von dem schwierigen Spagat berichten, den etwa lokale Kandidatinnen und Kandidaten für den Stadtrat zwischen Engagement in der Katastrophenhilfe und eigenem Wahlkampf schaffen müssen, nutzt Donald Trump den Ausnahmezustand nachhaltig für seine Kampagne.
Vergangene Woche, rund 14 Tage vor dem Wahltag, stattete der republikanische Präsidentschaftskandidat der gebeutelten Region einen ersten Besuch nach der Naturkatastrophe ab. Auf North Carolina nämlich liegt die nationale Aufmerksamkeit nicht nur wegen „Helene“.
Mit 16 Sitzen im US-Wahlausschuss ist es der zweitgrößte sogenannte Swing State, in dem die Entscheidung zwischen Trump und der Demokratin Kamala Harris auf der Kippe steht. Nirgends sonst ist das Rennen so eng wie hier, seitdem Joe Biden an seine Vizepräsidentin übergeben hat.
Politisierung und Falschinformationen
„Sie brauchen ein besseres Team, das hier bessere Arbeit leistet als das Weiße Haus. Das läuft nicht gut“, sagte Trump vor einer Kulisse der Zerstörung in Swannanoa, wenige Autominuten entfernt von Asheville.
Er stehe an der Seite der Betroffenen und werde weiter für sie da sein. „Ich denke, am 20. Januar bekommen Sie eine neue Truppe, die sich vernünftig kümmern wird“, so Trump.
Dass er nicht schon früher gekommen sei, sei seiner Rücksichtnahme auf die Bergungsarbeiten geschuldet. Eine Sorge, die ihn kurz nach dem Sturm nicht davon abgehalten hatte, in den ebenfalls schwer getroffenen Bundesstaat Georgia zu fahren und die Katastrophe zu seinen Gunsten zu politisieren.
Zwar sei „weder der Ort noch die Zeit“ für politische Attacken, sagte Trump damals, behauptete dann allerdings, weder US-Präsident Joe Biden noch seine Konkurrentin Kamala Harris würden sich um die Not der Menschen kümmern.
Dass die Regierung bereits in den ersten Tagen Tausende Nothelfer ausgesandt, die Chefin der US-Katastrophenschutzbehörde FEMA, Deanne Criswell, nach North Carolina geschickt und mehrere Millionen an Hilfsgeldern mobilisiert hatte, schien dabei keine Rolle zu spielen.
Anders als Trump hatten Präsident Joe Biden und seine Vizepräsidentin Kamala Harris sich zwar umgehend informieren lassen, waren jedoch nicht gleich zu einem Ortstermin aufgebrochen. Beide hätten betroffene Gebiete ab dem 2. Oktober besucht, als ihnen das Okay der örtlichen Behörden gegeben worden sei, heißt es aus dem Weißen Haus.
Zuvor hatte Biden sich das Ausmaß der Zerstörung in der Region um Asheville per Hubschrauber zeigen lassen und zugesagt, 100 Prozent aller Kosten in North Carolina für Trümmerbeseitigung und Notfallschutzmaßnahmen bis einschließlich März 2025 mit Geld aus Washington zu decken.
Kurz darauf schrieb Trump auf seiner Plattform „Truth Social“, die Demokraten in Washington und North Carolina hätten Hilfen für traditionell republikanische Wahlkreise blockiert, die FEMA habe sie stattdessen für „illegale“ Migranten ausgegeben.

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Bei seinem Auftritt nahe Asheville bekräftigte Trump seine Aussage zu den vermeintlich abgezwackten Mitteln erneut und sprach davon, dass die Regierung die Menschen im Stich gelassen habe.
Falschinformationen, die weite Kreise gezogen und die Stimmung in den vom Sturm betroffenen Gebieten, besonders aber auch online, angeheizt haben.
Drohungen gegen Helferinnen und Helfer
Die FEMA sah sich gezwungen, eine Faktencheck-Webseite einzurichten. Auch North Carolinas Behörde für den Bevölkerungsschutz betreibt inzwischen ein Gerüchte-Q&A und hat ein Warnvideo zu Falschinformationen herausgegeben.
Der demokratische Gouverneur des Bundesstaats Roy Cooper rief mehrfach dazu auf, keine Unwahrheiten zu verbreiten. Sie verunsicherten die Menschen und behinderten die Hilfsarbeiten.
Mitte Oktober mussten FEMA-Mitarbeiter und der U.S. Forest Service im angrenzenden Bundesstaat Tennessee zwischenzeitlich aus einem betroffenen Gebiet abrücken, nachdem sie von einem bewaffneten Mann bedroht worden waren.

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Er habe mit seiner Aktion auf Social-Media-Posts reagiert, in denen es um Hilfsgüterblockaden durch die FEMA gegangen sei, sagte der Mann später einem lokalen Nachrichtensender. Auch in North Carolina musste die Behörde ihre Hilfsstrategien wegen Sicherheitsbedenken teils kurzfristig ändern.
Auf Verschwörungstheorien, die unter anderem von republikanischen Galionsfiguren wie der Kongressabgeordneten Marjorie Taylor Greene und dem Influencer Alex Jones verbreitet werden, gehen die offiziellen Stellen gar nicht erst ein. Dabei haben gerade auch sie ein breites Publikum.
Allein die Behauptung, die Demokraten hätten den Sturm per Geoengineering heraufbeschworen, um republikanische Wahlbezirke auf dem Land lahmzulegen, wurde bislang hunderttausendfach auf Tiktok geliked. Sogar Meteorologen in weit entfernten Bundesstaaten wie Michigan berichten von Morddrohungen gegen sie.
Ich bin gerade wütender als normalerweise. Fakten haben seit einiger Zeit einen wirklich schweren Stand.
Tom Maycock, Physiker und Einwohner im Katastrophengebiet
Darauf angesprochen sagt Tom Maycock, er sei momentan „wütender als normalerweise“. Es gehöre zu seinen Aufgaben, objektiv zu sein und die wissenschaftlichen Einschätzungen so klar und präzise darzustellen, wie möglich. Bei solchen Auslegungen werde es aber zunehmend schwer, nicht Partei zu ergreifen.
„Jede Art von Politik, die Desinformation betreibt und die Menschen davon abhält, über unverrückbare Wahrheiten zu sprechen, ist bedauerlich. Fakten haben seit einiger Zeit einen wirklich schweren Stand – das ist der Punkt, an dem die Leute anfangen, Dinge zu glauben, die mit dem gesunden Menschenverstand nicht mehr vereinbar sind.“

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Gleichzeitig stelle er sich die Frage, wie er und seine Kollegen den Ernst der Lage noch besser kommunizieren können. „Wir versuchen, die Ergebnisse komplizierter Studien auch für eine fachfremde Leserschaft zugänglich zu machen. Aber zum Beispiel die US-Klimabilanzberichte erreichen nur wenige“, sagt Maycock. Immerhin: Es gehe langsamer als erhofft, aber der Bevölkerungsanteil wachse, der den Klimawandel als besorgniserregend erlebe. Die kritische Masse sei aber noch lange nicht erreicht, um Klimaschutz überparteilich voranzutreiben.
Klimawandel hat „Helene“ verstärkt
Dabei hätte Hurrikan „Helene“ das Potenzial gehabt, die menschengemachte Klimakrise auf der Prioritätenliste der Wähler:innen nach oben zu treiben. Ersten Studien zufolge ist der Sturm in Folge der globalen Erderhitzung merklich heftiger ausgefallen.
Der bisherige Temperaturanstieg von weltweit durchschnittlich 1,3 Grad hat den Expertinnen und Experten der World Weather Attribution zufolge dafür gesorgt, dass der Sturm zehn Prozent mehr Regen erzeugt hat, als es noch in kühleren Zeiten der Fall gewesen wäre. Auch die Windgeschwindigkeit sei rund 21 Kilometer pro Stunde stärker gewesen.
Projektionsmodelle zeigen zudem, dass ein weiterer Temperaturanstieg auf zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit ein Jahrhundert-Extrem wie „Helene“ weit im Inland nochmals um 25 Prozent wahrscheinlicher und um drei Prozent desaströser machen könnte. Doch Klima- und Umweltschutz spielen im Wahlkampf nahezu keine Rolle.
Klimapolitik spielt kaum eine Rolle im Wahlkampf
In einer landesweiten YouGov-Umfrage aus den Tagen unmittelbar nach dem Sturm – und mit dem ursprünglich als noch verheerender angekündigten Hurrikans „Milton“ im Anmarsch – nannten nur wenige Wähler:innen Klima- und Umweltschutz als wichtigstes Thema für ihre Wahlentscheidung.
Während Demokraten diesen Anliegen noch mit zwölf Prozent den Spitzenplatz einräumten, waren es unter republikanischen Sympathisanten nur zwei Prozent.
Die größte und damit entscheidende Wählergruppe in North Carolina, die Unentschiedenen, gab an, sich zu fünf Prozent besonders um Klima und Umwelt zu sorgen. Bei allen deutlich weiter vorne: Migration, Wirtschaft und Arbeitsmarkt.

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Auf Rang eins die Lebenshaltungskosten. Auch deshalb rühren Donald Trump, Kamala Harris und ihre jeweiligen Vizekandidaten die Klimafrage bei Auftritten kaum an: Es scheint damit wenig zu gewinnen zu sein.
Entlang einer der Straßen in Asheville, die sonst bei Touristen beliebt ist und jetzt eine Anlaufstelle für die tägliche Trinkwasserausgabe bietet, prangen mehrere handgeschriebene Wahlplakate an einem Ampelmast. Eines ruft zum Wählen auf, denn Trump wolle „die Mittel der FEMA streichen“.
„Sturm hin oder her, wir hassen Trump“, steht auf einem anderen. „Climate change is not a hoax“, verkünden gedruckte Schilder an mehreren Kreisverkehren. Laut des Republikaners ist der Klimawandel hingegen genau das, ein „hoax“, nichts als ein „Schwindel“.

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Dass die USA unter Biden und Harris ein Allzeithoch in der Öl- und Gasförderung erreicht haben, verschweigt Trumps Kampagne. Auch Harris lehnt sich angesichts dieser Tatsache nicht allzu häufig mit Klimarhetorik aus dem Fenster.
Eine Ausnahme: Das Zehn-Milliarden-Dollar schwere Paket, das sie Anfang September versprochen hat, um das Land bis 2045 klimaneutral zu machen.
Trotz geringer Margen für den Klimaschutz in der US-Bevölkerung kann kein Anliegen und keine Wählergruppe im Kopf-an-Kopf-Rennen der Kandidaten wirklich als marginal gelten. Letztlich dürften wenige Zehntausend Stimmzettel in den Swing States den Wahlausgang entscheiden.
Demokraten zählen Katastrophen-Fehlschläge in Trumps Präsidentschaft auf
Daher stellen auch die Demokraten im Kontext von „Helene“ zunehmend auf Angriff. Speziell für North Carolina und Georgia haben sie jüngst einen Wahlwerbespot lanciert, der auf Trumps Bilanz im Nachgang von Naturkatastrophen zielt.
Einige seiner ehemaligen Regierungsmitarbeiter sagen darin aus, dass der einstige US-Präsident während seiner Amtszeit Hilfsgelder für Staaten zurückgehalten habe, die er als feindlich gesinnt wahrgenommen habe.

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Vergangene Woche mahnte er das Publikum nahe Asheville, unbedingt wählen zu gehen: „Wir dürfen nicht zulassen, dass dieser Sturm, der euch so viel genommen hat, euch auch eure Stimme nimmt“, so Trump.
Für viele der Menschen in North Carolina, die „Helene“ unmittelbar betrifft, dürfte das nicht einfach werden. Egal, wo die politischen Sympathien liegen.
„Wenn man kein Zuhause mehr hat, Familienmitglieder gestorben sind oder die Hauptstraße deines Dorfs nicht mehr existiert, wird es schwieriger, wählen zu gehen. Das hat dann einfach eine geringere Priorität“, sagt Klimakommunikator Tom Maycock.
Er überlege, sich in seiner Arbeit einen Posten zu suchen, wo er sich auch politisch positionieren könne. „Aber im Moment versuche ich eben einfach, die Wissenschaft so gut zu vermitteln, wie es nur geht.“
Dieser Artikel ist im Rahmen einer Recherchereise entstanden, die durch das Daniel-Haufler-Stipendium 2024 der taz Panter Stiftung ermöglicht wurde.
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