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Der Bundesrepublik fehlen Tausende Soldaten, doch auf ein neues Wehrdienstmodell konnten sich die Fraktionen von SPD und Union auch am Dienstagabend nicht einigen.

© IMAGO//Florian Gaertner

Vorbild Dänemark: Wie das Losverfahren beim Wehrdienst funktioniert – und was es bringen könnte

Die Zeitenwende stockt: Beim neuen Wehrdienst streiten Union und SPD weiter über Pflicht oder Freiwilligkeit. Dabei könnte ein Losverfahren wie in Dänemark für beide Regierungspartner Vorteile haben.

Stand:

Als Reaktion auf die sicherheitspolitisch immer angespanntere Lage soll auf die ausgerufene Zeitenwende nun auch ein neuer Wehrdienst in Deutschland folgen.

Doch die Bundesregierung hat da ein Problem: Die Regierungspartner von CDU/CSU und SPD können sich partout auf keinen Kompromiss einigen.

Seit Wochen liefern sich die Parteien beim Ringen um ein neues Wehrdienstmodell einen öffentlichen Schlagabtausch. Die Genossinnen und Genossen pochen seit einem Parteitagsbeschluss Ende Juni ganz offiziell auf Freiwilligkeit. Den Unionsparteien hingegen reicht das nicht aus, sie halten weiterhin zumindest an einer teilweisen Wehrpflicht fest.

Der Bundeswehr fehlen Zehntausende Soldaten

Nur, dass es ein neues Modell braucht, darin scheinen sich die Koalitionäre einig zu sein.

Die Bundesregierung reagiert damit auch auf Vorgaben der Nato. Das Militärbündnis schätzt den Bedarf deutscher Soldat:innen für den Fall der Fälle auf 460.000, aktuell dienen in der Bundeswehr aber nur gut 182.000 Männer und Frauen.

Am Wochenende schien es dann zu einer Einigung unter den Fraktionsspitzen gekommen zu sein. Doch die scheiterte am Dienstag wieder. Ein von der Union favorisiertes Losverfahren nach dänischem Vorbild missfällt den Sozialdemokrat:innen – das Prestigeprojekt von Verteidigungsminister Boris Pistorius steht damit immer mehr auf der Kippe.

Dabei funktioniert der Wehrdienst per Losnummer beim skandinavischen Nachbarn ziemlich gut, seit fast 180 Jahren gibt es in Dänemark die allgemeine Wehrpflicht.

Knapp 4700 Dänen und Däninnen leisten Angaben des Kopenhagener Verteidigungsministeriums zufolge im Schnitt jährlich Dienst an der Waffe – ausschließlich freiwillig.

4700
Freiwillige treten in Dänemark jährlich den Wehrdienst an.

Auch, weil die knapp sechs Millionen Einwohner:innen ihrer Regierung – und auch ihren Streitkräften – in hohem Maße Glauben schenken, Dänemark selbst beschreibt sich als das „Land des Vertrauens“.

Musste auch mal dienen: Dänemarks amtierender König Frederik X. im Jahr 1986 als einfacher Soldat.

© Reuters/Ritzau Scanpix/Joergen Jessen

Laut einer Studie des US-Meinungsforschungsinstitutes Pew Research Center aus dem Jahr 2018 vertrauen drei von vier Dän:innen ihrer eigenen Armee, zugleich ist die Sorge über zu niedrige Verteidigungsausgaben in keinem anderen europäischen Land größer.

14
Prozent der Menschen in Dänemark sind gegen höhere Rüstungsausgaben.

Eine im Mai dieses Jahres im Auftrag des European Council on Foreign Relations durchgeführte Online-Umfrage unter dänischen Erwachsenen ergab, dass 70 Prozent von ihnen eine Erhöhung der nationalen Verteidigungsausgaben befürworten. Selbst unter Anhänger:innen der sozialistischen Volkspartei überwiegt der Anteil derer, die den Rüstungsetat ausbauen wollen.

Dänemark hat ausreichend Freiwillige

All das wirkt sich auf den Grundwehrdienst aus: Bereits seit 2018 liegt die Zahl derer, die sich selbstständig zum Dienst melden, kontinuierlich bei über 99 Prozent. Dabei musste noch 2006 etwa ein Viertel der Jungsoldaten in einem Losverfahren zwangsverpflichtet werden.

Ab 2026 wird die Zahl der Wehrpflichtigen auf etwa 7500 erhöht, und man muss elf Monate statt wie bisher vier Monate Wehrdienst leisten.

„In Dänemark hatten wir in den vergangenen 20 Jahren meist mehr freiwillige Bewerber, als die dänische Armee benötigt hat“, sagt Karina Mayland von der dänischen Verteidigungshochschule dem Tagesspiegel. Eine Diskussion über das Losverfahren gibt es im Land daher nicht.

Landesweiter Tag zur Musterung

Konkret ruft die Armee im Frühjahr zum landesweiten „Tag der Verteidigung“ auf, im kommenden Jahr müssen sich erstmals auch alle Frauen melden, die 2026 noch volljährig werden. „Ab dem kommenden Jahr wird die Zahl der Wehrpflichtigen somit auf etwa 7500 erhöht, und man muss elf Monate statt wie bisher vier Monate Wehrdienst leisten“, sagt Mayland.

Die Teilnahme ist für alle verpflichtend, unentschuldigt Fehlende können dem dänischen Wehrdienstgesetz zufolge auch „mit Unterstützung der Polizei“ zur Musterung chauffiert werden.

Ein echtes Problem ist das der Politikwissenschaftlerin Mayland zufolge aber nicht. Dennoch können bei Nichterscheinen „beim ersten Mal eine Geldstrafe von 1000 Kronen und beim zweiten Mal eine Geldstrafe von 2000 Kronen“ verhängt werden. Bei einem erneuten Fernbleiben der Musterung droht den 18-Jährigen eine Freiheitsstrafe.

23,6
Prozent aller Wehrdienstleistenden in Dänemark waren 2024 Frauen.

Gemustert werden also erst einmal sämtliche Dänen und Däninnen eines Jahrgangs. Genau darauf scheint auch Boris Pistorius viel Wert zu legen: „Die Bundeswehr braucht die flächendeckenden Musterungen ab 2027, die im aktuellen Kompromiss nicht enthalten sind“, sagte der Bundesverteidigungsminister am Dienstag dem Tagesspiegel.

Am Tag der Verteidigung werden in Dänemark dagegen alle 18-Jährigen auf Herz und Nieren geprüft: Neben einem schriftlichen Wissenstest müssen sie sich später unter anderem medizinisch untersuchen lassen. Erst dann beginnt das Lotterieverfahren.

So funktioniert das Losverfahren

Jeder und jede Gemusterte bekommt am Ende des „Verteidigungstages“ per Zufall eine Losnummer zugeteilt: Eine hohe Lotteriezahl bedeutet dann automatisch eine Freistellung, die Heranwachsenden werden nicht verpflichtet. Wurden sie zuvor als tauglich eingestuft, können sie sich jedoch weiterhin freiwillig zum Einsatz melden.

Der muss nicht zwangsläufig in der Kaserne absolviert werden, das Wehrdienstgesetz erlaubt Kriegsdienstverweigerern neben dem militärischen Dienst innerhalb der Streitkräfte aus Gewissensgründen auch Hilfsarbeit in Entwicklungsländern sowie Zivildienst.

Ziehen die 18-Jährigen bei der Lotterie eine „Vielleicht-Nummer“ müssen sie sich in Geduld üben: Erst, wenn die knapp 5000 Plätze im Grundwehrdienst nicht durch Freiwillige besetzt werden können, werden sie zum Dienst verpflichtet.

In den vergangenen drei Jahren war das Angaben des Verteidigungsministeriums in Kopenhagen zufolge aber nie der Fall.

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