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02.12.2024, Ukraine, Kiew: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, 2.v.r.) und Wolodymyr Selenskyj (2.v.l.), Präsident der Ukraine, besuchen im staatlichen Krankenhaus auf der Neurologie verwundete Soldaten.

© dpa/Kay Nietfeld

Update

„Wir haben einen langen Atem“: Scholz wendet sich in Kiew an Putin – CDU kritisiert Ukraine-Besuch harsch

Bei seinem nicht öffentlich angekündigten Besuch in Kiew sichert der Bundeskanzler weitere Rüstungslieferungen zu. Aus der CDU kommt harte Kritik.

Stand:

Bei seinem ersten Besuch in Kiew seit zweieinhalb Jahren hat Bundeskanzler Olaf Scholz der Ukraine anhaltende Unterstützung für den Abwehrkampf gegen Russland zugesichert. „Wir haben einen langen Atem. Und wir werden an der Seite der Ukraine stehen, solange wie das nötig ist“, sagte der SPD-Kanzlerkandidat bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

Noch in diesem Jahr sollen weitere Rüstungsgüter im Wert von 650 Millionen Euro aus bereits zugesagten Mitteln zur Verfügung gestellt werden - darunter Kampfpanzer, Raketen, Drohnen und Flugabwehrsysteme. Und: Man werde auch 2025 Waffen liefern, etwa Luftverteidigungssysteme und Panzerhaubitzen, sagte Scholz.  

Sein Besuch sei ein Zeichen der Solidarität mit einem Land, das sich seit mehr als 1000 Tagen „auf heldenhafte Art und Weise gegen den erbarmungslosen russischen Angriffskrieg“ verteidige. „Die Ukraine kann sich auf Deutschland verlassen. Wir sagen, was wir tun. Und wir tun, was wir sagen.“

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Scholz versicherte der Ukraine zudem, dass es keine Friedensverhandlungen ohne die Beteiligung Kiews geben werde. „Ich werde es nicht zulassen, dass über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg entschieden wird“, sagte Scholz am Montag bei einer Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Russland könne der Ukraine „keinen Diktatfrieden aufzwingen“.

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Selenskyj drängte derweil auf die Lieferung von weiteren Flugabwehrsystemen. „Wir suchen gerade Schutz für 20 spezielle Objekte. Der Schutz reicht nicht wegen der massiven (russischen) Raketenschläge“, erklärte Selenskyj auf der gemeinsamen Pressekonferenz in Kiew. Details zu den schutzbedürftigen Objekten wollte er nicht nennen. Es sei jedoch eine für Kiew sehr ernste Frage.

Selenskyj hob davor den deutschen Anteil bei der Lieferung von Flugabwehrsystemen wie Patriot, Iris-T und anderen hervor. „Die meiste Flugabwehr hat eben Deutschland der Ukraine gegeben“, unterstrich der Staatschef. Selenskyj bedankte sich ausdrücklich noch einmal bei Scholz (SPD) und Deutschland für diese Hilfe. „Das ist ein historischer Beitrag Deutschlands beim Schutz von Leben“, hob er hervor. Die russischen Angriffe erforderten aber weitere Lieferungen.

Selenskyj mahnte auch im Hinblick auf den anstehenden Machtwechsel in den USA an, bei der Unterstützung insgesamt nicht nachzulassen. „Für uns ist es eine prinzipielle Sache, dass Deutschland als Anführer diese auch im nächsten Jahr nicht verringert und dabei auch nicht die finanzielle Unterstützung - und das wird das richtige Signal für alle unsere anderen Partner“, betonte der Präsident.

Scholz trifft Selenskyj

Zum Auftakt seines Besuchs in Kiew hatte Scholz gemeinsam mit Selenskyj verwundete Soldaten in einem Krankenhaus besucht. Darunter waren auch einige, die im Krieg Gliedmaßen verloren haben. Selenskyj verlieh Orden an einzelne Soldaten.

Zwei Flugabwehrsysteme und zehn Leopard-Kampfpanzer

Anschließend sahen sich die beiden eine Präsentation von Drohnen an, die im Abwehrkampf gegen Russland eingesetzt werden. Dazu gehört auch eine deutsche Drohne der Firma Helsing, mit der an der Front gepanzerte russische Fahrzeuge bekämpft werden könne. 4000 davon werden ab Dezember ausgeliefert.

Sie gehören zu dem von Scholz bis Ende des Jahres angekündigten Waffenpaket. Außerdem dabei: zwei Luftabwehrsysteme Iris-T, zehn Leopard-1A5-Kampfpanzer, 60 Schützen- und Kampfpanzer der Typen M84 und M80 sowie 6000 ungelenkte und 500 gelenkte Raketen.

Deutschland gilt nach den USA als wichtigster Waffenlieferant der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland. Nach deutschen Regierungsangaben wurden seit der russischen Invasion am 24. Februar 2022 deutsche Waffen und militärische Ausrüstung im Wert von rund 28 Milliarden Euro in die Ukraine geliefert oder zugesagt. Dazu gehören die 650 Millionen Euro für die Lieferungen bis Ende des Jahres.

„Deutschland macht in diesem Jahr mehr als Großbritannien und Frankreich zusammen. Da könnte man sogar noch ein paar Länder mit draufpacken“, hatte der Kanzler erst am Wochenende gesagt.

Ich möchte hier vor Ort deutlich machen, dass Deutschland der stärkste Unterstützer der Ukraine in Europa bleiben wird.

Olaf Scholz, Bundeskanzler

Der Besuch wurde aus Sicherheitsgründen vorher nicht angekündigt. Kiew wird derzeit immer wieder von russischen Drohnen attackiert. Der Kanzler war kurz vor der russischen Invasion im Februar 2022 erstmals in der ukrainischen Hauptstadt. Vier Monate nach dem russischen Angriff folgte im Juni 2022 ein weiterer Besuch zusammen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem damaligen italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi. Die drei machten dabei den Weg dafür frei, dass die Ukraine EU-Beitrittskandidat wurde.

Der Wunsch nach einer formellen Einladung in die Nato wurde der Ukraine dagegen bis heute nicht erfüllt. Selenskyj erhöhte angesichts der russischen Gebietsgewinne in den vergangenen Wochen allerdings den Druck. „Die Einladung in die Nato ist eine notwendige Sache für unser Überleben“, sagte er am Sonntag in Kiew.

Er machte deutlich, dass er sich einen entsprechenden Beschluss beim Nato-Außenministertreffen in Brüssel an diesem Dienstag und Mittwoch wünsche. Dass es dazu kommt, hält der Ukrainer allerdings für unwahrscheinlich. Als Grund nannte er explizit die Skepsis in den USA, Deutschland und Ungarn.

Vor allem die Länder an der Nato-Ostflanke wie Polen und die baltischen Staaten hatten schon im vergangenen Jahr beim Nato-Gipfel in Vilnius auf eine Einladung an die Ukraine gedrungen, während Deutschland und die USA noch nicht so weit gehen wollten.

Weitere Brisanz erhält der Besuch des Kanzlers durch den beginnenden Bundestagswahlkampf. Scholz hebt dabei seine Doppelstrategie in der Ukraine-Politik als Alleinstellungsmerkmal der SPD hervor: Einerseits sichert er der Ukraine weitere Waffenlieferungen für den Abwehrkampf gegen Russland zu. Andererseits will er verhindern, dass Deutschland und die Nato in den Krieg hineingezogen werden.

Konkret bedeutet das, dass Scholz die schon im Mai 2023 von der Ukraine erbetenen Marschflugkörper Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern nicht liefert und auch keine grundsätzliche Erlaubnis für den Einsatz der von Deutschland gelieferten Waffen gegen russisches Territorium erteilt. Einzige Ausnahme ist die Region um die ukrainische Großstadt Charkiw nahe der Grenze, wo die deutschen Raketenwerfer Mars II mit einer Reichweite von 84 Kilometern eingesetzt werden dürfen.

Beim Wahlkampfauftakt der SPD warf Scholz seinem Herausforderer Friedrich Merz (CDU) am Wochenende vor, mit seinem Ukraine-Kurs die Sicherheit Deutschlands aufs Spiel zu setzen. Der Unions-Kanzlerkandidat wolle der Nuklearmacht Russland mit Blick auf eine mögliche Taurus-Lieferung ein Ultimatum stellen, sagte Scholz. „Ich kann da nur sagen Vorsicht: Mit der Sicherheit Deutschlands spielt man nicht Russisch Roulette.“ Merz hatte im Bundestag vorgeschlagen, der russischen Führung mit der Lieferung von Taurus an die Ukraine zu drohen, falls sie die Angriffe auf die ukrainische Zivilbevölkerung nicht einstelle.

Selenskyj verärgert über Telefonat mit Putin

Für Irritationen sorgt in der Ukraine nicht nur Scholz' Haltung zum Einsatz weitreichender Waffen gegen Ziele auf russischem Gebiet, sondern auch das diplomatische Agieren des Kanzlers. Mitte November hatte Scholz zum ersten Mal seit knapp zwei Jahren wieder mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert. Selenskyj sagte anschließend, Scholz habe damit die „Büchse der Pandora“ geöffnet.

Bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz bekräftigte er die Kritik. Er befürchte eine Welle derartiger Gespräche, die einer Anerkennung Putins gleichkämen, sagte er. „Ich finde nicht, dass dies die Ukraine stärkt.“

Ähnlich äußerte sich der ukrainische Botschafter in Berlin, Oleksii Makeiev, am vergangenen Freitag. „Wir haben gesehen, dass Russland und Putin nicht auf Gespräche setzen, sondern auf harte Taten“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Russland müsse nun mit „harten Tatsachen“ dazu gezwungen werden, sich aus der Ukraine zurückzuziehen.

Sorge vor Amtsantritt Trumps

Auf dem Schlachtfeld sind die ukrainischen Streitkräfte derzeit stark unter Druck. Die russischen Truppen hatten zuletzt wieder signifikante Geländegewinne zu verzeichnen.

Sorge bereitet der Ukraine auch der Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump am 20. Januar. Unklar ist, ob er die Militärhilfe der USA fortsetzen wird. Die Europäer wären kaum in der Lage, in die Lücke zu füllen.

CDU kritisiert Ukraine-Besuch von Scholz als Wahlkampfmanöver

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter hat die Reise von Scholz mit scharfen Worten kritisiert. „Scholz macht Wahlkampf auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung und bedient zugleich russische Angst-Narrative“, sagte Kiesewetter der „Augsburger Allgemeinen“ (Dienstagsausgabe). „Das ist nicht nur schäbig, sondern er isoliert Deutschland zunehmend und gefährdet unsere Sicherheit“, kritisierte der Sicherheitspolitik-Experte der Unionsfraktion den Kanzler.

Mit seiner kurzfristigen Reise in die Ukraine wolle Scholz „der zunehmenden Kritik in Deutschland an seinem verantwortungslosen Wahlkampf“ begegnen, fügte Kiesewetter hinzu. Der CDU-Politiker erinnerte daran, dass die Ukraine auf eine sofortige Einladung in die Nato, weitreichende Waffen und die Freigabe des Angriffs auf militärische Ziele in Russland dränge.

„Alles drei lehnt Scholz kategorisch ab und hat seinem eigenen Verteidigungsminister mehrmals entsprechende Bitten abgeschlagen“, sagte Kiesewetter. „Deshalb ist die Reise vor allem beides: verlogen und Wahlkampf auf dem Rücken der Ukraine“, urteilte er. Scholz täusche die Bevölkerung, wenn „er meint, durch Selbstabschreckung und einen Sonderfrieden mit Russland den Krieg managen zu können“.

Kritik auch von Wagenknecht

BSW-Parteichefin Sahra Wagenknecht kritisierte die Waffenzusagen von Scholz an die Ukraine scharf. „Als Kanzler ohne Mehrheit schon wieder teure Waffengeschenke zu machen, ist nicht nur rücksichtslos gegenüber den deutschen Steuerzahlern, in deren Land Krankenhäuser schließen und Schulen verrotten, sondern bedeutet auch, dass das Sterben in der Ukraine weitergeht und noch mehr junge Männer an der Front ihr Leben verlieren“, sagte sie. Wagenknecht bekräftigte ihre Sicht, dass der Krieg „aussichtslos“ sei. Selbst in der Ukraine wolle eine Mehrheit Friedensgespräche, auch um den Preis von Kompromissen.

Die Sicherheitslage in Kiew hat sich seit September verschlechtert. Beinahe jede Nacht gibt es wegen russischer Drohnenangriffe stundenlange Luftalarme. Die ukrainische Flugabwehr kann die Angriffe zwar meistens abwehren, aber immer wieder werden Gebäude durch zumeist herabstürzende Trümmerteile beschädigt. Selten kommt es dabei zu Verletzten und Toten. Zusätzlich hat die russische Luftwaffe im November ihre massiven Raketenschläge gegen die Energieinfrastruktur wieder aufgenommen. (dpa/AFP)

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