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Masih Alinejad gehört zu den bekanntesten Aktivistinnen, die dem Regime in Teheran den Kampf angesagt haben.

© AFP/Ed Jones

Was wird aus dem Aufstand im Iran?: „Das Regime ist schwer erschüttert“

Die Frauenrechtlerin Masih Alinejad kämpft aus dem US-Exil gegen die Mullahs. Ein Gespräch über die Gewalt der Herrscher, die Gesichter der Revolution und das Versagen des Westens.

Frau Alinejad, Sie stammen aus dem Iran und kämpfen von den USA aus als weltweit bekannte Aktivistin für Frauenrechte und Demokratie. Wie ist es um ihre alte Heimat heute bestellt?
Nach dem gewaltsamen Tod der 22-jährigen Mahsa Jina Amini fegte der Zorn viral durch das Land. Die Menschen strömten auf die Straße, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen. Was passierte? Mehr als 600 Iranerinnen und Iraner wurden getötet, 22.000 unschuldige Demonstranten festgenommen. Jetzt sind die Proteste nicht mehr so heftig und weniger sichtbar.

Woran liegt das?
Die staatlichen Sicherheitsbehörden sind mit unfassbarer Brutalität gegen das Volk vorgegangen. Inzwischen verhängt und vollstreckt das Regime sogar Todesurteile gegen friedliche Demonstranten. Die Herrscher in Teheran wissen, dass die internationale Gemeinschaft und damit auch die Medien nicht mehr nach Iran schauen. Die Mullahs müssen keine Konsequenzen fürchten.

Lassen die Machthaber aus Furcht oder aus Stärke immer häufiger ihre Gegner hinrichten?
Nach der Islamischen Revolution 1979 saß die Angst 40 Jahre lang in den Herzen der Iranerinnen und Iraner. Dafür haben die Kleriker gesorgt. Heute ist es andersherum: Das Regime fürchtet das Volk, vor allem Frauen und Teenager. Genau deshalb greifen die Herrscher zum Mittel der Todesstrafe. Sie soll die Menschen davon abhalten, auf die Straßen zurückzukehren. Das macht deutlich, wie tief die Diktatur der Mullahs in der Krise steckt. Keine Frage: Das Regime ist schwer erschüttert.

Aber ist es nicht vielmehr so, dass die Herrscher die Lage wieder im Griff haben?
Das sehe ich nicht so. Denken Sie nur an die katastrophale wirtschaftliche Situation im Land. Arbeiter, Krankenschwestern, Busfahrer, Lehrer – sie sind empört und enttäuscht, weil es ihnen so schlecht geht. Sie zeigen das, indem sie protestieren. Und dann gibt es noch die mutigen Frauen, die sich nicht einschüchtern lassen, auch wenn ihnen wegen ihres zivilen Widerstands Haft oder sogar Tod droht.

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Überall hängen Kameras chinesischer Bauart, um den Kopftuchzwang zu überwachen. Und was machen die Frauen? Sie zeigen den gestreckten Mittelfinger in die Kameras! Der Zorn ist immer noch da, die Flamme der Revolution lodert weiter. Nur hat diese Revolution eben viele verschiedene Gesichter.

Es könnte schon sehr bald wieder eine Welle des Protests geben – eine, die noch viel mächtiger wird als jene, die wir gerade erlebt haben.

Masih Alinejad, Iran-Aktivistin und Frauenrechtlerin

Zum Beispiel?
Es mag zunächst merkwürdig klingen, aber Hinrichtungen gehören auch dazu.

Wie das?
Früher kamen sehr viele Menschen, wenn öffentliche Exekutionen stattfanden. Das ist vorbei. Nun fordern die Menschen vor Gefängnissen, keine Todesstrafen mehr zu vollstrecken. Das zeigt mir: Die Menschen sind bereit, auf die Straße zurückzukehren. Es könnte schon sehr bald wieder eine Welle des Protests geben – eine, die noch viel mächtiger wird als jene, die wir gerade erlebt haben.

Ist das nicht Wunschdenken?
Nein, das ist die Realität! Wir hatten einen großen Aufstand 2009 mit der „Grünen Bewegung“. Im Jahr 2017 gab es wieder einen, der nächste folgte 2019, also nur zwei Jahre später. Dann kamen schon die Unruhen wegen Mahsa Aminis Tod.

Die Abstände zwischen den Revolten werden also immer geringer. Es gibt eine große Einigkeit, wenn es gegen die Machthaber geht. Das stimmt mich optimistisch.

Die Bundesregierung versteht nicht, dass die Islamische Republik wie ein gefährliches Virus ist.

Masih Alinejad, Iran-Aktivistin und Frauenrechtlerin

Was kann der Westen tun, um die Proteste zu unterstützen?
Ich sage es klipp und klar: Der Westen unterstützt das iranische Regime! Erst vor kurzem kam in Belgien ein verurteilter iranischer Drahtzieher eines Bombenanschlags aus dem Gefängnis frei – im Austausch für einen im Iran festgehaltenen belgischen Entwicklungshelfer. Ein schmutziger Deal.

Mit diesem Schritt haben die Belgier, hat der Westen nicht nur das iranische Volk verraten, sondern auch seine eigenen Werte. Das ist eine regelrechte Aufforderung an die Islamische Republik: Nehmt noch mehr Geiseln, ihr braucht keine Konsequenzen fürchten. Wir sind bereit, eure Gefangenen gegen bei uns Inhaftierte auszutauschen.

Sie haben sich sehr kritisch über Deutschlands Engagement für die Proteste geäußert. Was macht die Regierung in Berlin falsch?
Die Bundesregierung versteht nicht, dass die Islamische Republik wie ein gefährliches Virus ist. Eines, das nicht nur den Nahen Osten infiziert, sondern die ganze Welt. In Berlin scheint man zu glauben, die Führer in Teheran verstünden die Sprache der Diplomatie. Es ist ein großer Fehler, wenn Deutschland sich nicht der Vergangenheit besinnt.

Ich hoffe auf einen Tag, an dem der Westen geschlossen die Beziehungen zu diesem Killer-Regime beendet!

Masih Alinejad, Iran-Aktivistin und Frauenrechtlerin

Wie meinen Sie das?
Nachdem durch das vom iranischen Geheimdienst in Auftrag gegebene Attentat im Berliner Restaurant „Mykonos“ 1992 vier iranische Oppositionelle ums Leben gekommen waren, riefen Deutschland und andere EU-Staaten – wenn auch einige Jahre später – ihre Botschafter aus Teheran zurück. So etwas in dieser Art muss jetzt wieder passieren.

Was sollte konkret geschehen?
Zum Beispiel sollten iranische Diplomaten des Landes verwiesen werden, um ein Zeichen zu setzen. Schließlich sitzen auch Deutsche in iranischer Haft und werden als Druckmittel genutzt. Ich hoffe auf einen Tag, an dem der Westen geschlossen die Beziehungen zu diesem Killer-Regime beendet!

Das wäre ein Zeichen, dass die demokratischen Staaten endlich genauso geeint sind wie die Diktaturen, die schon lange gemeinsame Sache machen. Denken Sie nur an Russland und Iran, die im Ukrainekrieg militärische Verbündete sind.

Fakt ist aber: Die Mullahs halten sich an der Macht. Wird sich das in absehbarer Zeit ändern?
Wolodymyr Selenskyj und ich sind vor einiger Zeit mit einem Preis für Courage ausgezeichnet worden. Dem ukrainischen Präsidenten ist es gelungen, sich die Unterstützung des Westens zu sichern, in vielerlei Hinsicht.

Das reicht von Sanktionen gegen Russland und seinen Helfershelfern bis zum Satellitensystem Starlink, das der Ukraine den wichtigen Zugang zum Internet sichert. Beim Iran und seinem Machtapparat ist es ganz anders.

Was vermissen Sie?
Uns mangelt es an Unterstützung. Wir haben kein Starlink. Und warum sind die berüchtigten Revolutionsgarden, die für so viel Gewalt und Leid verantwortlich sind, noch immer nicht als Terrororganisation gelistet? Dabei sind es die Revolutionsgarden, die Wladimir Putin mit Drohnen helfen. Das macht mich zornig. Denn die Mullahs führen doch auch einen Krieg – gegen das eigene Volk.

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